Ware Lüge Fälscher profitieren vom Boom auf dem Kunstmarkt

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Links das Original, rechts die Quelle: dpa

Ökonomischer Druck lässt Museen oft zögern, die Echtheit publikumswirksamer Exponate in Zweifel zu ziehen. Kurz vor Eröffnung einer großen Jawlensky-Ausstellung 1998 im Museum Folkwang in Essen stellte sich heraus, dass ein Großteil der Aquarelle und Skizzen, die ein russischer Sammler zur Verfügung gestellt hatte, gefälscht war. Das Museum, das die Arbeiten im schon gedruckten Katalog noch als „von höchstem ästhetischen Wert“ gepriesen hatte, benannte die Ausstellung kurzerhand von „Das Auge ist der Richter“ in „Original und Fälschung“ um.

Das Hamburger Völkerkundemuseum musste Mitte Dezember 2007 eine als Weltsensation angekündigte Ausstellung chinesischer Terrakotta-Krieger abbrechen. Statt der originalen, mehr als 2000 Jahre alten Beigaben aus dem Grab des ersten chinesischen Kaisers Qin hatte sich die Direktion frisch gebrannte Tonmännchen andrehen lassen. Die Antikensammlung in Kassel erwarb 1979 einen vergoldeten Herakles. Eine Fälschung, wie die Direktion zugab – allerdings erst 2003. Und das renommierte, vor zwei Jahren prunkvoll wiedereröffnete Bode-Museum in Berlin lässt Besucher weiter in dem Glauben, dass Flora, eine Wachsbüste, die der Museumsstifter selbst vor 100 Jahren für 185 000 Goldmark erworben hatte, Leonardo da Vinci (1452-1519) zuzuschreiben sei. Dabei hatte eine chemische Analyse schon 1986 ans Licht gebracht: Die Büste enthält synthetisches Stearin – aus dem 19. Jahrhundert.

„Wir sollten mit dem Thema offensiver umgehen“, sagt Marina Sauer, Leiterin der Städtischen Galerie Albstadt. Das auf Grafik spezialisierte Museum entdeckte in seinen Beständen jüngst ein Porträt, das dem Expressionisten Erich Heckel zugeschrieben worden war und sich als Fälschung entpuppte. Jetzt tritt das Museum die Flucht nach vorn an – mit einer Ausstellung, in der Originale etwa von Picasso und Miró, Hundertwasser und Magritte direkt neben den jeweiligen Fälschungen hängen. Auch Dix’ „Kind mit Lupinen“ ist hier zu sehen. In der Hoffnung, dass so dem Besucher klar wird, was schon Ernst Bloch postulierte: „Die Fälschung“, sagte der Philosoph, „unterscheidet sich vom Original dadurch, dass sie echter aussieht.“

Allein das Gefühl für die Aura eine Werkes reicht meist nicht mehr, um Original von Fälschung zu unterscheiden. Manchmal aber lässt den Betrachter auch die Dreistigkeit der Fälscher staunen: Bei der Picasso-Lithografie „Das Atelier von Cannes“ etwa finden sich viele Unterschiede zwischen Original und Fälschung. Ob Farbauftrag, Motivtreue, Signatur – bei genauer Betrachtung scheint kaum etwas zu stimmen. Um „Wasserende am Dach“ von 1987 nachzuahmen, wurde Hundertwassers Farbholzschnitt erst per Farbkopierer reproduziert und dann manuell bearbeitet. Weil die Arbeit für damals gängige Kopierer zu groß war, musste sie aus mehreren Teilen zusammengesetzt werden. Die Signatur wurde mit blauer Farbe vorgezeichnet.

Bei Magrittes Zeichnung „Apfel und Birne“ ist nicht nur die Unterschrift gefälscht. Die Tinte ist bereits verblasst, das Papier bräunlich verfärbt – Folge künstlicher Alterungsprozesse, simuliert durch Behandlung mit Kaffee- oder Teelösung. Selbst die Rückseite wird zum Betrug genutzt. Dort steht eine angebliche handschriftliche Expertise von Magrittes Ehefrau Georgette, die die Echtheit des Bildes bestätigen soll („Je verifie ...“). Die Handschrift ähnelt jedoch verblüffend der ihres Gatten. Und den Vornamen René hat sie offensichtlich auch falsch geschrieben: der Accent fehlt.

Dabei hat der belgische Surrealist mitunter selbst zur Verwirrung beigetragen. Von seinem Ölgemälde mit dem bezeichnenden Titel „La Reproduction Interdite“ fertigte er zwei Versionen. Eine hängt im Rotterdamer Museum Boijmans van Beuningen, die andere in der Edward James Foundation in Sussex. Warum also sollte es aus der Hand Magrittes keine weitere Variante des sich im Spiegel betrachtenden Mannes geben? Doch Version Nummer drei konnte als Kujau-Fälschung entlarvt werden: Die Farben waren zu düster, der Blickwinkel des Betrachters war falsch, seine Frisur wich zu stark ab, die Leinwand war zu neu, die Signatur gefälscht. Manchmal erledigten Künstler die Fälschung gleich selbst: Michelangelo soll eine von ihm geschaffene Marmorskulptur zwei Jahre vergraben haben, um sie teurer verkaufen zu können – als antike Statue.

Um erfolglosen Künstlerfreunden zu helfen, signierte der französische Maler Maurice Utrillo deren Werke mit seinem Namen. Picasso erklärte gar einst eines seiner Werke für falsch – schließlich könne er seine Arbeit ebenso gut fälschen wie jeder andere. Und Salvador Dalí fühlte sich nicht nur durch Fälschungen seiner Werke geschmeichelt („niemand würde mich fälschen, wäre ich ein mittelmäßiger Künstler“). Er zitierte sich in seinem Spätwerk oft selbst, schrieb in hohem Alter seine Signatur auf Tausende leere Blätter und erklärte darauf gedruckte Reproduktionen für echt. Selbst von fremder Hand gefertigte Bilder, die seinen Stil mehr schlecht als recht nachahmten, adelte Dalí zum Original.

Sogar auf Testate ist nicht immer Verlass. Der Gutachter erhält bis zu fünf Prozent des Schätzpreises. Da winken, für ein paar dürre Zeilen Text, schon mal sechsstellige Summen. Ralf Michler etwa hatte als Dalí-Gutachter einen ausgezeichneten Ruf. Bis vor drei Jahren Dalí-Aquarelle auftauchten – angeblich aus Michlers Privatsammlung. Als Vorstudien wurden die Blätter angepriesen, erwiesen sich aber als plumpe Fälschungen. Unter den Farbschichten waren Reste von Bleistiftspuren entdeckt worden – als hätte Dalí wie ein Anfänger seine Aquarelle erst vorgezeichnet, die Linien nachgemalt und dann überstehende Bleistiftspuren wegradiert.

Heute setzen Ermittler auf hochkomplizierte Verfahren, um Fälschern das Handwerk zu legen. Durch die Dendrochronologie lässt sich das Alter einzelner Holzarten bestimmen, die zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert als Malgrund verwendet wurden. Mithilfe des Woodschen Lichts bringen Gutachter die Strukturen des benutzten Materials zum Vorschein – Ausbesserungen, Übermalungen, Klebestellen werden plastisch. Bei der Röntgenfluoreszenz-Analyse können künstlich aufgetragene Altersspuren entlarvt werden.

Per Thermolumineszenz-Analyse, die das Alter von gebranntem Ton messen kann, fanden Experten des Museums für Asiatische Kunst in Berlin heraus, dass sich zahlreiche Fälschungen in die Sammlung eingeschlichen hatten. Unter anderem die Figur eines trommelnden Gauklers aus dem frühen 3. Jahrhundert, die in den Felsengräbern der Provinz Sichuan die Toten amüsieren sollte. Sie bestand zwar aus altem Ton, war aber aus alten Scherben und Ziegelresten zusammengefügt worden – mit modernem Klebstoff. Der Pfusch wurde entdeckt – dank einer Computertomografie.

Ernst Schöller sind solche Methoden „viel zu aufwendig und viel zu teuer“. Der Kunstexperte des LKA Stuttgart vertraut auf Lineal und Lupe. Und seiner Erfahrung als Europas bester Jäger der gefälschten Schätze: Seit fast 30 Jahren spürt er Kunstfälschern nach – auf Auktionen, Ausstellungen, Flohmärkten, im Internet, mehr als 20 000 Werke hat er in einer Datenbank erfasst. In seinem kargen Büro hängt unter anderem ein Gemälde von Lucas Cranach – eine Fälschung, die er vor sechs Jahren beschlagnahmt hat. Ebenso wie einen zweitürigen Holzschrank, angeblich aus dem Jahr 1617, in Wahrheit ein Nachbau. „Die Holzwurmspuren“, sagt Schöller, „laufen in die falsche Richtung.“

Schöllers Spezialgebiet sind Grafiken. Die gröbsten Fehler der Fälscher kennt er im Schlaf. Er weiß, dass Fälschungen oft um einige Millimeter vom Original abweichen. Dass Fälscher mit Papiersorten oder Farben arbeiten, die noch gar nicht existierten, als das Original entstand. Dass Miró seine Arbeiten anfangs mit einem bescheidenen Namenszug versah und erst später mit Schwung signierte. Oder dass gleichmäßige braune Flecken auf dem Papier keine natürliche Alterserscheinung sind, sondern mit Kaffee oder Tee nachgeahmt wurden. 1992 führte Schöller die Amtshilfe bis nach New York. In einer Lagerhalle wurden Drucke von Dalí, Miró, Picasso und Chagall entdeckt – 75 000 Fälschungen im Wert von rund 1,8 Milliarden Dollar, produziert im Auftrag des New Yorker Verlegers León Amiel. Einige davon sind noch im Handel – für bis zu 25 000 Euro.

Manchmal hilft auch Kommissar Zufall: Dass der iranischstämmige New Yorker Antiquitätenhändler Ely Sakhai Paul Gauguins „Vase de Fleurs (Lilas)“ nicht nur im Original besaß, sondern auch eine Fälschung in Umlauf gebracht hatte, flog nur auf, weil beide Bilder zufällig am gleichen Tag zur Auktion kamen – das Original bei Sotheby’s, die Fälschung bei Christie’s. Weil er diese Masche auch mit Werken von Monet, Renoir, Chagall und Modigliani betrieben hatte, landete Sakhai für dreieinhalb Jahre im Gefängnis, musste 12,5 Millionen Dollar Entschädigung zahlen. Und alle elf Originale abgeben, von denen er Fälschungen hatte anfertigen lassen.

In Deutschland wäre so eine Strafe unmöglich. Als Betrug gilt nur der Handel mit Fälschungen. Die Produktion ist erst dann strafbar, wenn sie durch eine gefälschte Signatur zur Urkundenfälschung wird. So erhielt etwa Edgar Mrugalla, der Papier gern mithilfe eines „Haribo-Suds“ den nötigen Altersglanz verlieh, zwei Jahre auf Bewährung. „Fälschungen gehen an den letzten Eigentümer zurück“, sagt Schöller. „Oft ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder in Umlauf geraten. Dann geht das Spiel von vorne los.“

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