Warten und waschen Der wunderbare Waschsalon

Liegen lernen im Belgischen Viertel: Die Kölner Szene trifft sich im „Cleanicum“, einem Waschsalon mit Lounge.

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Wenn Alexander Grabolle morgens auf dem Weg zur Kanzlei Osborne Clarke am Brüsseler Platz vorbeikommt, kauft er ein Brötchen, kaut genüsslich im Gehen, knüllt die Tüte zusammen – und weiß nicht, wohin damit. Die Stadt Köln spare an Papierkörben, es sei kein Wunder, dass die City so schmutzig ist, sagt der Rechtsanwalt. Zu seiner Verblüffung hat er in Köln eine der saubersten Adressen Deutschlands entdeckt, gleich um die Ecke: Das Cleanicum, den wunderbaren Waschsalon mit Lounge in der Brüsseler Straße, der für Leute wie Grabolle wie maßgeschneidert ist. 

Der 32-Jährige wohnt ganz in der Nähe, in einem möblierten Apartment in der Genter Straße, wo die Mietpreise die Schmerzgrenze überschreiten. Seit vier Monaten ist er Wahlkölner, „ohne Waschmaschine und Mutti in der Nähe“. Hemden und Anzüge bringt er in die Reinigung. Den Rest erledigt er im Cleanicum, stopft seine Wäsche in eine der 16 Maschinen und versinkt mit Zeitung und Milchkaffee im roten Ledersofa. 

„Chillig, witzig und sehr gemütlich“, findet er den Laden. Das Cleanicum ist ein Treffpunkt für Sitz- und Liegehedonisten, eine Agora für Freunde des öffentlichen Waschens, ein zweites Wohnzimmer für alle, die keine Lust haben, vorm Bullauge der Waschmaschine zu brüten. Nach der Kneipe, dem Friseur, der Galerie und der Buchhandlung mutiert nun auch der Waschsalon zur Lounge, in der man das halböffentliche, möglichst lässige Sofaliegen pflegt. 

Seit Anfang der Neunzigerjahre breiten sich in den Citys die gepolsterten Liegelandschaften aus – eine Wiederkehr der Matratzenkultur der Siebzigerjahre, freilich auf ungleich höherem Niveau, und, bitte schön, ohne Brennnesseltee und anstrengende Diskussionen. Selbstverständlich haben auch die beiden Chefs des Cleanicum, Sascha Franczak und Dirk Martens, zu allererst an möglichst bequeme Sitzgelegenheiten gedacht. Die blitzenden Miele-Waschmaschinen im vorderen Bereich sind die „Visitenkarte“, so Franczak, die roten Sofas weiter hinten das „Programm“, das jeder Gast intuitiv versteht. 

Die Spielzeugaquarien auf den Waschmaschinen zitieren ironisch den Trend zur neuen Häuslichkeit. Eine ausgefeilte Lichtregie zaubert alle möglichen Farbeffekte herbei – von zartem Hellblau bis zum glühenden Rot eines Sonnenuntergangs. An besonders trüben Tagen projiziert der Videobeamer ein Lagerfeuerbild an die Wand. Will sagen: Die Cleanicum-Familie wärmt sich am gemeinsamen Herd, besorgt die Wäsche und verabschiedet sich nebenbei vom Coolness-Ideal der späten Neunziger. 

Im kleinbürgerlich geprägten Nippes ginge das Konzept kaum auf. Im innenstadtnahen Belgischen Viertel, wo die Lebensstilgesellschaft ihre Bühne findet, sind die Voraussetzungen dagegen ideal. Das Viertel zieht die Medien-Boheme an, die auch in fortgeschrittenem Alter noch eine studentische Lebensweise pflegt, und die jungen so genannten Kreativen, mit und ohne Waschmaschine. Sie kommen zum Wäschemachen, zum Kaffeetrinken oder zum Internetsurfen ins Cleanicum. 

Zum Beispiel die 23-jährige Friederike alias Jana Brandner aus der Fernseh-Schmonzette „Verbotene Liebe“. Sie sagt, immer noch reichlich cool, „ich mach’ hier meine Ego-Sachen“: E-Mails lesen, Fanpost beantworten und im Netz auf Wohnungssuche gehen. Zum Beispiel die 28-jährige Taxifahrerin und Fotografin Virginia, die das Cleanicum nicht nur als Waschsalon schätzt, sondern auch als „Austauschbörse“, die „supporting“ sei für Leute, die ihr eigenes Unternehmen auf die Beine stellen wollen. Zum Beispiel die Fernseh-Aufnahmeleiterin Elke, die alle zwei Wochen ihren „Hausfrauentag“ einlegt und ihre Wäsche zum Trocknen bringt. „Man schlägt die Zeit hier wunderbar tot“, sagt sie, „ und lernt sogar Leute kennen.“ Auf den roten Sofas ist mindestens Platz für zwei. Dazusetzen wird nicht als Anmache verstanden. Sogar Nachbarn, die sich kaum auf dem Treppenabsatz grüßen, sind auf dem roten Sofa schon ins Plaudern gekommen und haben darüber beinah ihre Wäsche vergessen. 

Dass Gäste manchmal einschlafen, darauf ist Dirk Martens besonders stolz. Das sei ein „Vertrauensbeweis“, meint er. „Wir warten ja ständig auf alles Mögliche“, philosophiert der Cleanicum-Chef, „als Kunde am Schalter warten wir auf das Ticket, als Verliebter auf den ersehnten Anruf, als Schauspieler beim Drehen auf die Klappe.“ Dieses Warten könne man sich auch „schönmachen“, findet Martens, der selber im Hauptberuf Schauspieler ist und einen großen Teil seiner Lebenszeit in Waschsalons zugebracht hat, in München, Hamburg oder Paris – aber nirgendwo ein gastliches Exemplar fand. 

Das soll nun anders werden in der Brüsseler Straße. Am Wochenende steht Martens selber hinter der Theke, wienert stündlich die Waschmaschinen und macht alles, „nur nicht den Fernsehpromi“, der er als Held der SAT-1-Krimiserie „SK-Kölsch“ nebenbei auch noch ist. 

Franczak und Martens wollen die flippigen und die „ganz normalen Leute, auch die Familien“. Der Architekt aus Erftstadt kommt am Wochenende mit Frau und Kind, weil das Cleanicum auf der koeln.de-Seite als „kindgerechtes“ Café empfohlen wird. Die Anglistikstudentin kommt alle zwei Wochen mit ihrem Sohn, weil er niemanden stört und weil man sich „verwöhnt fühlt“ durch den aufmerksamen Service. 

Die Besucherzahlen steigen kontinuierlich. 55 Prozent der Einnahmen erzielt die Bar, 40 Prozent der Waschbetrieb, der Rest kommt durchs Internet herein. Events sorgen für zusätzliche Aufmerksamkeit, von der Modenschau bis zum „Aktionstag Waschen für Menschenrechte“. Der Erlös ging an Amnesty International. 

Der Kölner Oberbürgermeister hat es sich denn auch nicht nehmen lassen, aus Anlass der Designerausstellung „Passagen“ im Cleanicum vorbeizuschauen. Als Dirk Martens ihm erzählte, dass er das Konzept demnächst auch in Paris erproben wolle, frohlockte der Oberbürgermeister: „Wieder ein Stück Kölner Kultur, das in die Welt hinausgetragen wird.“ 

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