Was zuvor bei Karstadt geschah Wie Missmanagement KarstadtQuelle ruinierte

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September 2004 bis Februar 2009: Die Ära Middelhoff

Berlin, September 2004. Middelhoffs Arbeit beginnt mit einem Hilfeschrei. Per Interview gibt er die Tonlage für die kommenden Monate vor: Der Patient Karstadt liege „auf der Intensivstation“, es „geht ums Überleben“. Damit schockiert er Belegschaft und Politik und düpiert nebenher Vorstandschef Achenbach. Dass es schlimm steht, hatte man geahnt, aber so schlimm? Nach einem Essen mit Middelhoff poltert auch Kanzler Gerhard Schröder los, bei KarstadtQuelle sei „Managementversagen in seiner krassesten Form“ zu beobachten gewesen. Dieses Desaster dürfe der Politik „nicht einfach vor die Füße gekippt“ werden. Damit sind die Positionen klar – die Bundestagswahl ist noch ein Jahr hin, von der sozialdemokratischen Regierung ist keine Hilfe zu erwarten.

Der ehemalige Quelle: dpa

Gut möglich, dass der Konzern tatsächlich vor der Pleite steht. Möglich aber auch, dass Middelhoff die schlagzeilenträchtige Zuspitzung der Krise bewusst inszeniert hat. Denn erstmals frisst sich so die Insolvenz-Bedrohung in die Köpfe der Mitarbeiter. Betriebsrat und Gewerkschaft sind nun bereit, die Personalkosten bis 2007 um rund 760 Millionen Euro zu drücken. Die Anteilseigner schießen eine halbe Milliarde Euro frisches Kapital nach.

Hamburg, Oktober 2004. Alexander Otto meldet Interesse an den Filetstücken von Karstadt an. „Zehn bis zwölf Standorte könnten interessant sein“, sagt der Chef des Shoppingcenterbetreibers ECE.

Der Hamburger Konzern kann es sich leisten. Die anfängliche Skepsis der Branche gegenüber Otto ist längst der Überzeugung gewichen, dass er sein Unternehmen im Griff hat. Otto hat die Expansion nach Osteuropa vorangetrieben und damit ECE weniger anfällig für Konjunkturschwankungen im Inland gemacht. Dabei läuft es auch auf dem Heimatmarkt bestens. Während Karstadt ums Überleben kämpft, vermeldet ECE Umsatzzuwächse. Shoppingcenter hätten sich zum „Marktplatz einer Sonderkonjunktur entwickelt“, schreiben Fachmagazine.

Marktführer ECE profitiert davon besonders. Denn Ottos Strategie ist aufgegangen. Statt weiter auf der grünen Wiese zu wachsen, hat sich der ECE-Chef für neue Häuser die besten Innenstadtlagen gesichert. Das nimmt den örtlichen Bürgermeistern nicht nur die Angst vor verwaisten Citys, sondern erschließt auch ECE eine neue Zielgruppe: die Warenhaus-Kundschaft.

Die größten Unternehmensinsolvenzen 2013
Platz 1Als die größte und namhafteste Unternehmensinsolvenz 2013 ist Praktiker in die Statistiken eingegangen. Die Krise des Unternehmens begann schon 2009. Ein Personal- und Filialabbau setzte ein und Unternehmensberater wurden hinzugezogen. Doch alle Reformbemühungen blieben ohne Erfolg - Ende 2012 stand ein satter Jahresfehlbetrag und im Juli 2013 meldete Praktiker schließlich Insolvenz für die verbliebenen 200 Praktiker-Filialen in Deutschland an. Rund 7600 Mitarbeiter waren davon betroffen. Bemühungen einen rettenden Investor für die marode Baumarktkette blieben erfolglos. Anfang September gab der Insolvenzverwalter dann bekannt, alle Märkte endgültig zu schließen. Quelle: dpa
Platz 2Großpleite im Callcenter: Die Walter Services GmbH aus Ettlingen, die mit rund 6.000 Mitarbeitern zahlreiche Outsouring-Dienstleistungen anbietet, stellte im Juli am Amtsgericht Karlsruhe einen Insolvenzantrag. Grund dafür war die drohende Zahlungsunfähigkeit des Betreibers Callcenter-Geschäften. Überkapazität am Markt und ein hoher Margendruck führten den Konzern tief in die Krise. Jetzt will das Unternehmen, das aus 20 Gesellschaften an 16 deutschen Standorten besteht, ein Schutzschirmverfahren durchführen und sich neu aufstellen. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 3Er folgte Praktiker in die Insolvenz: Max Bahr aus Hamburg, den Praktiker 2007 übernommen und seitdem als Tochtergesellschaft mitfinanziert hat. Am 25. Juli 2013 wurde meldete der Baumarkt unter Verweis auf die fehlende finanzielle Unterstützung der Lieferanten Insolvenz an. Zu diesem Zeitpunkt waren in den rund 100 Max-Bahr-Märkten 3.200 Beschäftige tätig. Auch hier scheiterten alle Rettungsversuche: die ursprünglich als Käufer gehandelten Konkurrenten Hellweg und Globus hatten 2013 kein Interesse mehr an der Premium-Marke. Im November begann die Abwicklung des 130 Jahre alten Unternehmens. Nur für vereinzelte Märkte besteht noch Hoffnung. Quelle: dpa
Platz 4Kunert Fashion GmbH, Hersteller von Socken- und Strumpfwaren eröffnete am 1. Mai 2013 das Insolvenzverfahren. Dem Unternehmen machten vor allem Pensionsverpflichtungen zu schaffen, aber auch die hohen Produktionskosten in Deutschland. Der Textilhersteller mit Sitz in Immenstadt wurde im Zuge einer sogenannten übertragenden Sanierung durch die Grosso Holding übernommen. Kunert Fashion hatte zu diesem Zeitpunkt 1.150 Mitarbeiter, etwa jeder zehnte Arbeitsplatz wurde nun gestrichen. Leiter des Insolvenzverfahrens war Arndt Geiwitz, der auch die Schlecker-Insolvenz betreute. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 5Solarunternehmen ohne Zukunft: die Conergy AG aus Hamburg verlor in diesem Jahr den Kampf gegen die Krise der Solarbranche und meldete am 25. Juli Insolvenz an. Dabei ging es dem Unternehmen zwischenzeitlich richtig gut: Seit 2005 war Conergy an der Frankfurter Börse notiert. Die Aktie war zeitweise mehr als 160 Euro wert, doch das ist lange her. Zuletzt ging es für das Unternehmen eher bergab. Der Umsatz sank um fast 40 Prozent, das Eigenkapital war aufgezehrt. Rund 1.100 Mitarbeiter, davon 800 in Deutschland, sind von der Pleite betroffen. Dennoch gibt es Hoffnung, dass das Unternehmen weiter bestehen könnte. Mit seinem Schicksal ist die Conergy AG kein Einzelfall: Mehrere Schwergewichte der deutschen Solarbranche mussten aufgrund des internationalen Wettbewerbsdrucks vor allem aus Fernost aufgeben. Quelle: dpa
Platz 6 Vor einigen Jahren noch hat sie beim Bau der Allianz-Arena in München mitgeholfen, jetzt ist sie insolvent: Die Alpine Bau AG mit Sitz in Echingen. Die deutsche Firma geriet in den Abwärtsstrudel der österreichischen Muttergesellschaft und schrieb rote Zahlen. Jetzt will die Geschäftsführung des Unternehmens mit etwa 1.000 Beschäftigten ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung durchführen. Ziel ist die Sanierung sowie die Suche nach einem finanzkräftigen Investor. Quelle: dpa
Platz 7Nach 90 Jahren Firmengeschichte steht der TV-Hersteller Loewe 2013 vor dem Aus. Nach monatelangen Rettungsversuchen stellte der Betrieb am 1. Oktober einen Antrag auf Planinsolvenz in Eigenverwaltung. Schon länger leidet Loewe unter dem Preiskampf in der Branche und steht angesichts der hohen Preise für seine Geräte unter Druck. Seit Jahren schreibt Loewe Verluste und leidet unter der harten koreanischen Konkurrenz wie Samsung und LG Electronics. Allein in der ersten Jahreshälfte brach der Umsatz um fast 40 Prozent auf 76,5 Millionen Euro ein, die Anleger flohen in Scharen, die Aktie sackte um ein Drittel auf 4,10 Euro ab. Ende Oktober wurde gemeldet, dass ein erster Investor gefunden wurde. Ob alle der zuletzt noch 760 Mitarbeiter bleiben können, ist noch offen. Quelle: dpa

Denn vor allem die natürlichen Fressfeinde der Warenhäuser – Textilhändler wie H&M und Zara – siedeln in Ottos Einkaufskathedralen. Gegen die wendigen Konkurrenten, bei denen die Sortimente oft im Wochenrhythmus wechseln, haben die Kaufhausbunker aus den goldenen Sechzigern und Siebzigern keine Chance.

Achenbach wird öffentlich demontiert

Essen, Frühjahr 2005. Selten wurde ein Vorstandschef derart öffentlich demontiert wie Christoph Achenbach. Immer wieder entdeckt der Mann sein Konterfei in den Zeitungen, garniert mit Meldungen über neue Liquiditätsnöte und alte Fehler. Genüsslich wird vermerkt, dass Achenbach sich trotz aller Sanierungsaufgaben mehrfach Urlaub gegönnt hat. Als Quellen dienen „Unternehmenskreise“. Nach nicht einmal einem Jahr im Amt reicht es Achenbach, Anfang April quittiert er den Dienst. Middelhoff lässt sich nach kurzer Schamfrist vom Aufsichtsratsvorsitz auf den Vorstandsposten delegieren und managt selbst drauf los.

Desinvestitionen, Portfoliobereinigung, Freisetzung – solche Vokabeln beherrschen fortan die Zentrale. Ausgestattet mit einem permanenten Siegerlächeln, korrekt gescheiteltem Haar und reichlich Anglizismen im Sprachschatz gibt „Big T“ eher den kühnen Finanzinvestor als den bodenständigen Handelsmann ab. Innerhalb von drei Monaten schlägt er die Einzelhandelsketten SinnLeffers, Wehmeyer, Runners Point und Golf House los. Der wichtigste Deal ist der Verkauf von 75 kleineren Warenhäusern, die später den Traditionsnamen Hertie verpasst bekommen, an den britischen Finanzinvestor Dawnay Day. Für die maroden Häuser erzielt KarstadtQuelle die erstaunliche Summe von knapp 500 Millionen Euro.

Ein Taschengeld im Vergleich zu Middelhoffs Verkauf des Tafelsilbers ein Jahr später – den Warenhausimmobilien. Mit rund 1,3 Milliarden Euro steht das Paket in den Büchern. Doch mit der Investmentbank Goldman Sachs und später weiteren Geldgebern findet Middelhoff Investoren, die insgesamt 4,5 Milliarden Euro lockermachen. Auf den ersten Blick ein grandioses Geschäft, im Nachhinein ein toxischer Deal.

Denn durch den Immobilienverkauf wächst die Mietbelastung immens. Und Karstadt wird der Möglichkeit beraubt, unrentable Standorte dichtzumachen. Die neuen Verträge laufen über Jahrzehnte – Schließungen werden nun schlicht unbezahlbar.

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