Was zuvor bei Karstadt geschah Wie Missmanagement KarstadtQuelle ruinierte

Die Anatomie der Arcandor-Krise: wie die Konzernchefs Walter Deuss, Wolfgang Urban und Thomas Middelhoff den früheren KarstadtQuelle-Konzern ruiniert haben. Ein Lehrstück über Missmanagement, Interessenkonflikte und strategische Fehler.

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Walter Deuss, ehemaliger Vorstandschef des Einzelhandelsriesen KarstadtQuelle Quelle: REUTERS

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist am 8. Juni 2009 erstmals erschienen und wird nochmals zu Dokumentationszwecken gezeigt. Nach dem Erscheinungsdatum wurden keine Akutalisierungen vorgenommen.

1999–2000: Die Fusion
Düsseldorf, 30. Juli 1999. Walter Deuss hat es geschafft. 93 Seiten Manuskript hat er verlesen, hat Kritik abperlen lassen und ist Fragen ausgewichen. Nun sind auch die letzten Nörgler verstummt, das Gros der Kleinaktionäre ist schon vor Stunden geflüchtet. Deuss sitzt unverdrossen auf dem Podium und lächelt sich dem Höhepunkt seiner Karriere entgegen. Gegen 23 Uhr ist es so weit: Der Karstadt-Chef kann die Entstehung eines neuen Handelsgiganten verkünden.

Seine Aktionäre haben der Verschmelzung von Karstadt und Quelle zugestimmt und damit einen Koloss geschaffen, der 16,5 Milliarden Euro umsetzen soll, 116.500 Mitarbeiter beschäftigt und mit einem Unternehmenswert von 4,5 Milliarden Euro zu den 30 Titeln im Deutschen Aktienindex Dax zählt. Nicht nur die Kernmarken Karstadt und Quelle, auch die Hertie-Warenhäuser, der Neckermann-Versand, die Runners-Point-Filialen, die Textilkette Wehmeyer und die WOM-Musikgeschäfte gehören zum fusionierten Unternehmen, das Deuss nun in die Zukunft führen soll.

Karstadts Krisen-Chronik

Wohl niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass der Zusammenschluss der Auftakt zu einem in der deutschen Handelshistorie beispiellosen Drama um Managementversagen, strategische Fehler und Interessenkonflikte ist, dass mit der Fusion die Kernschmelze eines Konzerns beginnt.

Zehn Jahre später steht Arcandor, wie das Unternehmen nun heißt, vor dem GAU. Das Management bettelt in Berlin um Staatsbürgschaften und -kredite, ansonsten drohen Pleite oder Abwicklung. Doch selbst mit millionschweren Staatshilfen ist ein Kahlschlag unabwendbar – zu gründlich wurde der Konzern von seinen Spitzenkräften ruiniert.

Wenig Gegenliebe für den „Kuschelkurs“

Dass KarstadtQuelle innerhalb einer Dekade auf dem Grabbeltisch landen könnte, ist 1999 undenkbar. Das frisch fusionierte Unternehmen soll Online- und Auslandsmärkte erobern und die Marktführerschaft im Warenhausgeschäft verteidigen. Der Zusammenschluss sei ein „Geschenk des Himmels“, jubelt Deuss. Vor allem für ihn selbst.

Deuss ist ein Mann barocker Lebensart. Der 64-Jährige liebt Zigarren, geht mit seinem Aufsichtsratschef regelmäßig zur Jagd und führt die Firma, als gehöre sie ihm. Seit 1965 arbeitet Deuss bei Karstadt, 1982 übernimmt er das Vorstandszepter für 17 Jahre, in denen er sich meist auf das Verwalten beschränkt. Bei seinen Mitarbeitern ist „Papa Deuss“ beliebt. Denn mit Sparmaßnahmen oder gar Schließungen unrentabler Häuser mag der Handelsveteran seine sorgsam austarierten Beziehungen zu Gewerkschaften und Betriebsräten nicht belasten.

Bei den bisherigen Anteilseignern stößt der Kuschelkurs von „Mister Karstadt“ jedoch auf immer weniger Begeisterung, seit die Umsätze schwinden. Wohl auch deshalb treibt Deuss die Karstadt-Quelle-Fusion voran: Der Konzern bekommt mit dem fränkischen Schickedanz-Clan einen Großaktionär, der auf Deuss’ Dienste nicht verzichten mag. Immerhin ist er ein Garant für Ruhe im Unternehmen. Mit der Beförderung des Karstadt-Mannes an die Konzernspitze vermeiden die Quelle-Erben Schickedanz zudem den Eindruck einer feindlichen Übernahme. Um der Liaison aber Tempo mitzugeben, wird Deuss der Schickedanz-Manager Wolfgang Urban zur Seite gestellt. Während Deuss über das Gesamtgebilde wacht, soll sich Urban um die Warenhäuser kümmern.

Hersbruck, August 1999. In der fränkischen Kleinstadt Hersbruck nimmt man das „Geschenk des Himmels“ kaum wahr. Deutschland fiebert der großen Sonnenfinsternis entgegen, der Sommerschlussverkauf geht in die zweite Woche, es gibt Wichtigeres als KarstadtQuelle. Ein bisschen stolz sei man aber schon, dass der Name Schickedanz jetzt so oft in den Zeitungen stehe, hören die 68 Mitarbeiter des Schickedanz-Kaufhauses von ihren Kunden.

Die 12.500 Einwohner Hersbrucks können in dem zweistöckigen Gebäude am Markt Wäsche und Kleidung kaufen, ohne dafür ins 30 Kilometer entfernte Nürnberg zu fahren. Viel Geld verdient der Betreiber – der Quelle-Versand – zwar nicht. Doch das Haus hat nostalgischen Wert. Das „Lädle“, wie das Geschäft bei den Hersbruckern heißt, war einst die Lebensversicherung der Quelle-Inhaber. Gustav Schickedanz hatte den Versandhandel 1927 gegründet. Nach dem Krieg wurde er von den Amerikanern wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft kaltgestellt. Das ist die Stunde seiner Frau Grete. Sie eröffnet in Hersbruck ihr „Lädle“, ein kleines Textilgeschäft, mit dem sie die Familie über Wasser hält, bevor sie 1948 mit dem Quelle-Versand in Fürth neu startet. Die Tochter des Gründerpaars, Madeleine Schickedanz, hat noch immer einen Wohnsitz in der elterlichen Fachwerkvilla in Hersbruck.

Stellungskrieg im Konzernumbau

„Samstag war immer die Frage: Fahren wir ins gemütliche Hersbruck oder stürzen wir uns ins Getümmel in Nürnberg“, erinnert sich der damalige Quelle-Manager Wolfgang Herbrig. An seinen Aufgaben ändert sich nach der Fusion nichts. Zwar ist das Filialgeschäft bei Quelle, um das sich Herbrig kümmert, ein ungeliebtes Anhängsel. Die Filialen führen nur Katalogware in den Regalen und schreiben Verluste. Doch eine Zusammenlegung mit dem Filialspezialisten Karstadt steht nicht zur Debatte.

Denn in der Essener Zentrale liefern sich Konzernchef Deuss und sein Warenhausvorstand Urban einen Stellungskrieg. Alle Ansätze, die frisch fusionierten Unternehmen enger zu verzahnen, ersticken im Stillstand.

Urban will mit den Sportfachmärkten im Ausland expandieren – Deuss scheut das Risiko. Urban will den Einkauf stärker bündeln – Deuss pocht auf unabhängige Töchter. Urban drängt ins Online-Geschäft – Deuss wartet ab. Einzelne Sparten erstarren, bei anderen bricht Hektik aus, zwischen Fürth und Essen herrscht Eiszeit.

Nicht einmal der Neckermann-Versand, der von Karstadt in die Fusion eingebracht wurde, und die Schwesterfirma Quelle nähern sich an. Die beiden Versandhäuser leisten sich jeweils eigene Versandlager, eigene Callcenter und einen eigenen Einkauf.

Hamburg, Juni 2000. Ganz geheuer ist ihm seine neue Rolle nicht. Alexander Otto spricht zwar von der „tollen Aufgabe“ und der „Herausforderung“, auf die er sich freue. Doch der Druck, der auf dem 33-Jährigen lastet, ist immens. Der jüngste Sohn des Versandhausgründers Werner Otto soll in Kürze die Führung der Hamburger ECE übernehmen. ECE ist Marktführer beim Bau und Betrieb von Einkaufszentren in Deutschland.

Die größten Baustellen von Karstadt
Der neue Karstadt-Eigentümer René Benko übernimmt ein Unternehmen in der Krise. Die Karstadt-Warenhäuser schreiben rote Zahlen und kämpfen mit sinkenden Umsätzen. Ein Teil der Probleme ist auf den Strukturwandel im deutschen Einzelhandel zurückzuführen. Andere Schwierigkeiten sind hausgemacht. Welche Herausforderungen erwarten den Immobilieninvestor. Quelle: dpa
Übermächtige KonkurrenzDie Warenhäuser in Deutschland haben in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt massiv an Marktanteilen verloren. Denn Konkurrenten wie H&M, Zara und zuletzt Primark haben sich mit preiswerten, schnell wechselnden Kollektionen einen immer größeren Teil des Einkaufsbudgets der Verbraucher gesichert. Außerdem geht der Siegeszug der Einkaufszentren zulasten der Warenhäuser. „Alles unter einem Dach“ gibt es dort in der Regel in weitaus größerer Auswahl als in den Warenhäusern. Quelle: dpa
Schwaches Online-GeschäftDer Online-Handel ist zurzeit der mit Abstand größte Wachstumsträger im Einzelhandel. Doch auch hier kann Karstadt bislang mit der Konkurrenz nicht mithalten. Im Gegenteil: Während die meisten Online-Anbieter im vergangenen Weihnachtsgeschäft zweistellige Zuwachsraten verzeichneten, schrumpften die Verkäufe des Essener Unternehmens über das Internet. Quelle: dpa
Unklare MarkenpositionierungDer bis Ende 2013 amtierende Karstadt-Chef Andrew Jennings versuchte Karstadt mit der Brechstange ein jugendlicheres Image zu verpassen. Er wollte den Konzern stärker auf Mode ausrichten, setzte auf neue trendige Marken und gab ganze Sortimentsbereiche wie etwa Elektronik auf. Das verschreckte die ältere Stammkundschaft. Doch neue Zielgruppen wurden dennoch nicht im erhofften Umfang erreicht. Quelle: dpa
Verunsicherte MitarbeiterDie Unsicherheit der vergangenen Jahre und der schleichende Personalabbau in den Filialen ist an den Karstadt-Mitarbeitern nicht spurlos vorübergegangen. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert vor allem den bisherigen Eigentümer Nicolas Berggruen: „Die Beschäftigten sind von diesem angeblich sozialen Investor Berggruen bitter getäuscht worden“, sagt Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Wenn Benko die Karstadt-Mitarbeiter auf einem harten Sanierungskurs mitnehmen will, muss er das Vertrauen der Beschäftigten zurückgewinnen. Quelle: dpa
Großer InvestitionsstauDie meisten Handelsexperten sind sich einig, dass bei Karstadt in den letzten Jahren viel zu wenig investiert wurde. Heinemann schätzt den Investitionsstau sogar auf mindestens 1,5 Milliarden Euro. Soviel Geld wäre nach seiner Auffassung nötig, um das Unternehmen zukunftsfähig auszurichten - im stationären, wie im Internethandel. Quelle: ZB

Mit 60 Centern scheint ECE jedoch die Wachstumsgrenze erreicht zu haben. Die Zahl der Shoppingmalls kletterte seit dem Mauerfall von 93 auf 279. Die Ränder vieler Städte sind zugebaut, Bürgermeister fürchten die Verödung ihrer Innenstädte und verweigern Baugenehmigungen in den Vororten – die Goldgräberzeiten sind vorbei. Und nun soll ausgerechnet Otto ECE auf Wachstumskurs halten? Viele trauen dem Harvard-Absolventen den Job nicht zu – zu jung, zu wenig Erfahrung, kaum Durchsetzungskraft.

Das Duell mit Kaufhof nimmt Fahrt auf

Essen, Juni 2000. Walter Deuss sieht aus, als leide er unter einer hartnäckigen Migräne. Grimmig legt er die Stirn in Falten und bläst Rauchwolken in die Luft, bevor er die erste Bilanz des fusionierten Konzerns vorstellt. KarstadtQuelle hat die eigene Gewinnprognose verfehlt. Statt der geplanten 360 Millionen Euro verdiente das Unternehmen 1999 rund 100 Millionen Euro weniger.

Der Aktienkurs bricht ein, der Konzern steht kurz davor, aus dem Dax zu fliegen. Analysten der Deutschen Bank diagnostizieren in Deutschlands Innenstädten einen „Überbesatz an Kaufhäusern“ und in der KarstadtQuelle-Chefetage eine Mischung aus Realitätsverlust und Lethargie. Dem Erzrivalen Kaufhof bescheinigen sie dagegen, durch „deutlich größere Aggressivität eine bessere Profitabilität“ zu erreichen.

Als Deuss einen Monat später zur Hauptversammlung gestehen muss, die Prognosen auch im aktuellen Jahr um 235 Millionen Euro zu verfehlen, ist er seinen Posten los. Der Deuss’sche Dämmerschlaf ist vorbei. Binnen Minuten schnellt der Aktienkurs um zehn Prozent hoch. Die Börse feiert den neuen KarstadtQuelle-Chef Wolfgang Urban.

2001 bis 2004: Ein Konzern auf Abwegen

Essen, Frühjahr 2001. Die Urbanisierung von KarstadtQuelle beginnt mit einem Paukenschlag. Für rund 200 Millionen Euro kauft der neue Chef die Mehrheit an der Textilkette SinnLeffers. „Wir werden damit die Nummer eins am deutschen Modemarkt“, freut sich Urban. Zugleich erweist er seinem Großaktionär einen Dienst: Verkäufer sind die Schickedanz-Erben, die sich rechtzeitig von den 43 Modehäusern trennen. Wenige Monate nach der Übernahme zeigt sich, dass SinnLeffers erhebliche Verluste schreibt und dramatisch an Umsatz verliert. Doch da kämpft Urban längst an anderen Fronten.

Der ehemalige Quelle: dpa/dpaweb

Auf den Fluren der Essener Zentrale wird er selten ohne Handy am Ohr gesichtet, seine Mitarbeiter behelligt er vorzugsweise nachts und an Wochenenden mit Nichtigkeiten. Allenfalls wenn der bullige Vorstandschef sein Mobilgerät aus Ärger mal wieder am Schreibtisch zerschellen lässt, haben Urbans Leute ein wenig Ruhe. Der Mann steht mächtig im Stress, zumal er in Personalunion die Holding und die Warenhaustochter führt.

Der Workaholic kauft das französische Modeversandhaus Afibel, setzt bei Lieferanten die Daumenschrauben an, streicht Tausende Stellen, gliedert die Immobilien aus und geht später reihenweise neue Kooperationen ein. Mit der Telekom startet Urban die Happy-Digits-Kundenkarte, verkauft mit dem Ergo-Konzern Versicherungen, mischt beim Deutschen Sportfernsehen (DSF) mit, betreibt Fitnessstudios und paktiert mit dem US-Coffeeshop-Imperium Starbucks, um den trendigen Kaffeeausschank in den Karstadt-Häusern zu etablieren. Dabei wirkt Urban für den Konzern wie ein doppelter Espresso: belebend – bis zum Herzinfarkt.

Filialumbau gerät ins Stocken

Denn das Kerngeschäft gerät ihm aus dem Blick. Der Umbau der Karstadt-Filialen zu Themenhäusern mit einem größeren Bekleidungssortiment stockt. Urban investiert lieber in schicke Kaffeeläden als in schnöde Rolltreppen und neue Kassen. Aber wie lange machen die Kunden den Verfall mit? „Im Warenhaus werden manche schon unfreundlich, wenn sie drei Minuten an der Kasse stehen“, bemerkt Urban zwar in einem Interview und findet das „merkwürdig“. An seiner Strategie ändert er aber nichts.

Womöglich hegt Urban zu diesem Zeitpunkt auch schon andere Pläne. Im Geheimen laufen ab Februar 2001 Gesprächsrunden für einen pikanten Deal: Gemeinsam mit seinen Großaktionären will er den Karstadt-eigenen Immobilienschatz heben.

Fürth, 17. Juni 2002. Madeleine Schickedanz verabscheut öffentliche Auftritte. Ihr Ehemann Leo Herl kümmert sich um das Tagesgeschäft, er sitzt im Aufsichtsrat von KarstadtQuelle. Doch dieses Mal kann sich die Milliardärin nicht wehren: Sie muss feiern. Quelle, das Unternehmen ihrer Eltern, wird 75 Jahre alt. Die Belegschaft hat sich im Fürther Stadtpark versammelt, selbst Alt-Bundespräsident Roman Herzog gratuliert. Für ihn ist der Quelle-Katalog ein „Leitfossil unseres Zeitalters“.

Wie recht der Mann hat. Jeder dritte Haushalt in Deutschland besitzt ein Exemplar des 1500 Seiten starken Traditionswälzers, und doch steht es um die Zukunft nicht gut. Das Online-Geschäft wächst, kann aber den Rückgang bei den Katalogbestellungen nicht auffangen. Auch im Ausland kommt Quelle nur mühsam voran. Immerhin rücken die Versender Neckermann und Quelle endlich näher zusammen, und das Jubiläumsjahr übertüncht die tristen Aussichten.

Dank Sonderangeboten und üppiger Werbung schreibt Quelle 2002 Rekordumsätze von 8,2 Milliarden Euro. „Wir hatten Tage, an denen die Leute nicht mehr bestellen konnten, weil die Systeme zusammengebrochen sind“, erinnert sich Ex-Quelle-Manager Herbrig. Auch er hat Grund zum Feiern: Herbrig wird 2002 zum Leiter des stationären Quelle-Vertriebs befördert. Er soll die rund 150 Technikcenter, in denen Kunden ihre Waschmaschinen und Kameras begutachten und bestellen können, auf Vordermann bringen. Auch das Stammhaus in Hersbruck fällt nun in seinen direkten Aufgabenbereich.

Die Probleme sind nicht länger zu übersehen

Essen/Köln, Anfang 2003. Die Probleme bei Karstadt sind nicht länger zu übersehen. Um 9,1 Prozent sind die Filialumsätze im vergangenen Jahr eingebrochen. Schuld seien die Rabattschlachten und die Einführung des Euro, sagt Urban. Die wahren Gründe liegen tiefer. Die Kunden meiden die Einkaufsbunker von Karstadt – bei der Metro-Tochter Kaufhof laufen die Geschäfte deutlich besser. Zudem rächt sich, dass der Konzern noch immer 90 Prozent seiner Umsätze im Inland erwirtschaftet. Metro verdankt bereits die Hälfte des Umsatzes den Auslandstöchtern.

Madeleine Schickedanz, Tochter Quelle: dpa

Doch Urban drängt längst auf eine große Lösung für Karstadt. Gemeinsam mit Schickedanz’ Ehemann Leo Herl, dem Troisdorfer Immobilienentwickler Josef Esch und Matthias Graf von Krockow, Chef der Privatbank Sal. Oppenheim, will Urban in das Immobiliengeschäft einsteigen. Jahre später wird der „Spiegel“ über Geheimverträge berichten, nach denen die Runde damals plante, KarstadtQuelle von der Börse zu nehmen, um anschließend einen großen Teil der Konzernimmobilien zu verwerten.

So weit kommt es zwar nicht. Doch immerhin verkauft Urban fünf Karstadt-Immobilien an die gemeinsame Fondsgruppe von Sal. Oppenheim und Esch. Anschließend mietet KarstadtQuelle die Häuser in München, Leipzig, Wiesbaden, Karlsruhe und Potsdam von den Fonds zurück – zu bemerkenswerten Konditionen.

Als üblich gelten Mieten von sieben bis neun Prozent vom Jahresumsatz. Für die fünf Oppenheim-Esch-Häuser muss KarstadtQuelle bis zu 17,2 Prozent zahlen. Auch die Personenkonstellation wirft Fragen auf: Esch ist als Testamentsvollstrecker von Madeleine Schickedanz ein enger Vertrauter der Großaktionärin. Urban wiederum hatte bereits vor dem Immobiliengeschäft einen Teil seines privaten Vermögens in einem Oppenheim-Esch-Fonds geparkt. Fest steht: Das Duo hat dem Konzern Mietverpflichtungen von 42,6 Millionen Euro pro Jahr aufgehalst. Die Verträge laufen über 20 Jahre.

Middelhoff wird zum Chef

Essen, Mai 2004. Für Urban ist Schluss: Dass die Warenhäuser chronisch darnieder liegen, hatten die Anteilseigner noch verwunden. Dass nun aber auch der Versandhandel einbricht, ist den Schickedanz-Erben zu viel. Der Rumpelstratege wird „aus gesundheitlichen Gründen“ entsorgt. Nachfolger wird der bisherige Chef der Versandsparte, Christoph Achenbach. Wichtiger ist ein Wechsel im Aufsichtsrat: Der frühere Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff wird fast zeitgleich zum Chef des Kontrollgremiums ernannt.

Der Auftrag des Gespanns ist klar, die Rollenverteilung weniger: Aufsichtsratschef Middelhoff zieht in Urbans Büro ein und gibt fortan den obersten Krisenmanager und Visionär, Achenbach darf exekutieren und Urbans Trümmerlandschaft von Coffeeshops bis Sportstudios zu Geld machen.

Zumindest die Mietstruktur des Unternehmens kennt Middelhoff zu diesem Zeitpunkt schon recht gut: Auch er ist ein Kunde von Esch. Schon 2002 investiert Middelhoff in vier der fünf Oppenheim-Esch-Fonds, die Karstadt-Häuser besitzen, und profitiert von den üppigen Mieten. Esch soll es auch gewesen sein, der Schickedanz den smarten Manager für den Aufsichtsrat empfahl.

September 2004 bis Februar 2009: Die Ära Middelhoff

Berlin, September 2004. Middelhoffs Arbeit beginnt mit einem Hilfeschrei. Per Interview gibt er die Tonlage für die kommenden Monate vor: Der Patient Karstadt liege „auf der Intensivstation“, es „geht ums Überleben“. Damit schockiert er Belegschaft und Politik und düpiert nebenher Vorstandschef Achenbach. Dass es schlimm steht, hatte man geahnt, aber so schlimm? Nach einem Essen mit Middelhoff poltert auch Kanzler Gerhard Schröder los, bei KarstadtQuelle sei „Managementversagen in seiner krassesten Form“ zu beobachten gewesen. Dieses Desaster dürfe der Politik „nicht einfach vor die Füße gekippt“ werden. Damit sind die Positionen klar – die Bundestagswahl ist noch ein Jahr hin, von der sozialdemokratischen Regierung ist keine Hilfe zu erwarten.

Der ehemalige Quelle: dpa

Gut möglich, dass der Konzern tatsächlich vor der Pleite steht. Möglich aber auch, dass Middelhoff die schlagzeilenträchtige Zuspitzung der Krise bewusst inszeniert hat. Denn erstmals frisst sich so die Insolvenz-Bedrohung in die Köpfe der Mitarbeiter. Betriebsrat und Gewerkschaft sind nun bereit, die Personalkosten bis 2007 um rund 760 Millionen Euro zu drücken. Die Anteilseigner schießen eine halbe Milliarde Euro frisches Kapital nach.

Hamburg, Oktober 2004. Alexander Otto meldet Interesse an den Filetstücken von Karstadt an. „Zehn bis zwölf Standorte könnten interessant sein“, sagt der Chef des Shoppingcenterbetreibers ECE.

Der Hamburger Konzern kann es sich leisten. Die anfängliche Skepsis der Branche gegenüber Otto ist längst der Überzeugung gewichen, dass er sein Unternehmen im Griff hat. Otto hat die Expansion nach Osteuropa vorangetrieben und damit ECE weniger anfällig für Konjunkturschwankungen im Inland gemacht. Dabei läuft es auch auf dem Heimatmarkt bestens. Während Karstadt ums Überleben kämpft, vermeldet ECE Umsatzzuwächse. Shoppingcenter hätten sich zum „Marktplatz einer Sonderkonjunktur entwickelt“, schreiben Fachmagazine.

Marktführer ECE profitiert davon besonders. Denn Ottos Strategie ist aufgegangen. Statt weiter auf der grünen Wiese zu wachsen, hat sich der ECE-Chef für neue Häuser die besten Innenstadtlagen gesichert. Das nimmt den örtlichen Bürgermeistern nicht nur die Angst vor verwaisten Citys, sondern erschließt auch ECE eine neue Zielgruppe: die Warenhaus-Kundschaft.

Die größten Unternehmensinsolvenzen 2013
Platz 1Als die größte und namhafteste Unternehmensinsolvenz 2013 ist Praktiker in die Statistiken eingegangen. Die Krise des Unternehmens begann schon 2009. Ein Personal- und Filialabbau setzte ein und Unternehmensberater wurden hinzugezogen. Doch alle Reformbemühungen blieben ohne Erfolg - Ende 2012 stand ein satter Jahresfehlbetrag und im Juli 2013 meldete Praktiker schließlich Insolvenz für die verbliebenen 200 Praktiker-Filialen in Deutschland an. Rund 7600 Mitarbeiter waren davon betroffen. Bemühungen einen rettenden Investor für die marode Baumarktkette blieben erfolglos. Anfang September gab der Insolvenzverwalter dann bekannt, alle Märkte endgültig zu schließen. Quelle: dpa
Platz 2Großpleite im Callcenter: Die Walter Services GmbH aus Ettlingen, die mit rund 6.000 Mitarbeitern zahlreiche Outsouring-Dienstleistungen anbietet, stellte im Juli am Amtsgericht Karlsruhe einen Insolvenzantrag. Grund dafür war die drohende Zahlungsunfähigkeit des Betreibers Callcenter-Geschäften. Überkapazität am Markt und ein hoher Margendruck führten den Konzern tief in die Krise. Jetzt will das Unternehmen, das aus 20 Gesellschaften an 16 deutschen Standorten besteht, ein Schutzschirmverfahren durchführen und sich neu aufstellen. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 3Er folgte Praktiker in die Insolvenz: Max Bahr aus Hamburg, den Praktiker 2007 übernommen und seitdem als Tochtergesellschaft mitfinanziert hat. Am 25. Juli 2013 wurde meldete der Baumarkt unter Verweis auf die fehlende finanzielle Unterstützung der Lieferanten Insolvenz an. Zu diesem Zeitpunkt waren in den rund 100 Max-Bahr-Märkten 3.200 Beschäftige tätig. Auch hier scheiterten alle Rettungsversuche: die ursprünglich als Käufer gehandelten Konkurrenten Hellweg und Globus hatten 2013 kein Interesse mehr an der Premium-Marke. Im November begann die Abwicklung des 130 Jahre alten Unternehmens. Nur für vereinzelte Märkte besteht noch Hoffnung. Quelle: dpa
Platz 4Kunert Fashion GmbH, Hersteller von Socken- und Strumpfwaren eröffnete am 1. Mai 2013 das Insolvenzverfahren. Dem Unternehmen machten vor allem Pensionsverpflichtungen zu schaffen, aber auch die hohen Produktionskosten in Deutschland. Der Textilhersteller mit Sitz in Immenstadt wurde im Zuge einer sogenannten übertragenden Sanierung durch die Grosso Holding übernommen. Kunert Fashion hatte zu diesem Zeitpunkt 1.150 Mitarbeiter, etwa jeder zehnte Arbeitsplatz wurde nun gestrichen. Leiter des Insolvenzverfahrens war Arndt Geiwitz, der auch die Schlecker-Insolvenz betreute. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 5Solarunternehmen ohne Zukunft: die Conergy AG aus Hamburg verlor in diesem Jahr den Kampf gegen die Krise der Solarbranche und meldete am 25. Juli Insolvenz an. Dabei ging es dem Unternehmen zwischenzeitlich richtig gut: Seit 2005 war Conergy an der Frankfurter Börse notiert. Die Aktie war zeitweise mehr als 160 Euro wert, doch das ist lange her. Zuletzt ging es für das Unternehmen eher bergab. Der Umsatz sank um fast 40 Prozent, das Eigenkapital war aufgezehrt. Rund 1.100 Mitarbeiter, davon 800 in Deutschland, sind von der Pleite betroffen. Dennoch gibt es Hoffnung, dass das Unternehmen weiter bestehen könnte. Mit seinem Schicksal ist die Conergy AG kein Einzelfall: Mehrere Schwergewichte der deutschen Solarbranche mussten aufgrund des internationalen Wettbewerbsdrucks vor allem aus Fernost aufgeben. Quelle: dpa
Platz 6 Vor einigen Jahren noch hat sie beim Bau der Allianz-Arena in München mitgeholfen, jetzt ist sie insolvent: Die Alpine Bau AG mit Sitz in Echingen. Die deutsche Firma geriet in den Abwärtsstrudel der österreichischen Muttergesellschaft und schrieb rote Zahlen. Jetzt will die Geschäftsführung des Unternehmens mit etwa 1.000 Beschäftigten ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung durchführen. Ziel ist die Sanierung sowie die Suche nach einem finanzkräftigen Investor. Quelle: dpa
Platz 7Nach 90 Jahren Firmengeschichte steht der TV-Hersteller Loewe 2013 vor dem Aus. Nach monatelangen Rettungsversuchen stellte der Betrieb am 1. Oktober einen Antrag auf Planinsolvenz in Eigenverwaltung. Schon länger leidet Loewe unter dem Preiskampf in der Branche und steht angesichts der hohen Preise für seine Geräte unter Druck. Seit Jahren schreibt Loewe Verluste und leidet unter der harten koreanischen Konkurrenz wie Samsung und LG Electronics. Allein in der ersten Jahreshälfte brach der Umsatz um fast 40 Prozent auf 76,5 Millionen Euro ein, die Anleger flohen in Scharen, die Aktie sackte um ein Drittel auf 4,10 Euro ab. Ende Oktober wurde gemeldet, dass ein erster Investor gefunden wurde. Ob alle der zuletzt noch 760 Mitarbeiter bleiben können, ist noch offen. Quelle: dpa

Denn vor allem die natürlichen Fressfeinde der Warenhäuser – Textilhändler wie H&M und Zara – siedeln in Ottos Einkaufskathedralen. Gegen die wendigen Konkurrenten, bei denen die Sortimente oft im Wochenrhythmus wechseln, haben die Kaufhausbunker aus den goldenen Sechzigern und Siebzigern keine Chance.

Achenbach wird öffentlich demontiert

Essen, Frühjahr 2005. Selten wurde ein Vorstandschef derart öffentlich demontiert wie Christoph Achenbach. Immer wieder entdeckt der Mann sein Konterfei in den Zeitungen, garniert mit Meldungen über neue Liquiditätsnöte und alte Fehler. Genüsslich wird vermerkt, dass Achenbach sich trotz aller Sanierungsaufgaben mehrfach Urlaub gegönnt hat. Als Quellen dienen „Unternehmenskreise“. Nach nicht einmal einem Jahr im Amt reicht es Achenbach, Anfang April quittiert er den Dienst. Middelhoff lässt sich nach kurzer Schamfrist vom Aufsichtsratsvorsitz auf den Vorstandsposten delegieren und managt selbst drauf los.

Desinvestitionen, Portfoliobereinigung, Freisetzung – solche Vokabeln beherrschen fortan die Zentrale. Ausgestattet mit einem permanenten Siegerlächeln, korrekt gescheiteltem Haar und reichlich Anglizismen im Sprachschatz gibt „Big T“ eher den kühnen Finanzinvestor als den bodenständigen Handelsmann ab. Innerhalb von drei Monaten schlägt er die Einzelhandelsketten SinnLeffers, Wehmeyer, Runners Point und Golf House los. Der wichtigste Deal ist der Verkauf von 75 kleineren Warenhäusern, die später den Traditionsnamen Hertie verpasst bekommen, an den britischen Finanzinvestor Dawnay Day. Für die maroden Häuser erzielt KarstadtQuelle die erstaunliche Summe von knapp 500 Millionen Euro.

Ein Taschengeld im Vergleich zu Middelhoffs Verkauf des Tafelsilbers ein Jahr später – den Warenhausimmobilien. Mit rund 1,3 Milliarden Euro steht das Paket in den Büchern. Doch mit der Investmentbank Goldman Sachs und später weiteren Geldgebern findet Middelhoff Investoren, die insgesamt 4,5 Milliarden Euro lockermachen. Auf den ersten Blick ein grandioses Geschäft, im Nachhinein ein toxischer Deal.

Denn durch den Immobilienverkauf wächst die Mietbelastung immens. Und Karstadt wird der Möglichkeit beraubt, unrentable Standorte dichtzumachen. Die neuen Verträge laufen über Jahrzehnte – Schließungen werden nun schlicht unbezahlbar.

Der Middelhoff-Effekt setzt ein

Berlin/Essen, Mai 2006. Madeleine Schickedanz rauscht mit ihrem Ehemann und einem Tross von Sicherheitsleuten ins Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe. In ihrem Armani-Hosenanzug sieht sie „wunderschön aus“, vermerkt die Gesellschaftspresse, es werden Thunfisch-Pralinés und Jacobsmuscheln  gereicht. Auch Middelhoff hat sein Blendax-Lächeln aufgesetzt. Gilt es doch, dass 125-jährige Jubiläum von Karstadt zu feiern. 1881 hatte Rudolph Karstadt sein erstes Geschäft in Wismar eröffnet.

Ende 2008 hat Thomas Quelle: AP

Doch Schickedanz hat noch mehr zu feiern: Der Middelhoff-Effekt setzt ein. 25.000 Mitarbeiter verbannte er von den Gehaltslisten, und nach den zahlreichen Beteiligungsverkäufen schnellt auch der Aktienkurs wieder nach oben und marschiert auf die 20-Euro-Zone zu. Es läuft wieder.

Der Schickedanz-Clan hatte sich zuvor bei Sal. Oppenheim und anderen Banken Geld gepumpt, kräftig Aktien zugekauft und disponiert nun über deutlich mehr als die Hälfte der Anteile. Middelhoff verspricht, dass der Höhenflug anhält. Ein Jahr nach der KaDeWe-Gala gibt er das neue Kursziel aus: „40 Euro plus x halte ich für durchaus möglich und erreichbar.“ Denn er verordnet ein neues Geschäftsmodell.

Aus einem Handelskonzern wird eine Touristik-Größe

Mit dem Geld aus dem Immobiliendeal tilgt er einen Teil der Schulden, kauft den britischen Reiseveranstalter MyTravel und übernimmt von der Lufthansa deren Anteil am gemeinsamen Reiseunternehmen Thomas Cook. Beide Firmen fusioniert er. Aus dem Handelskonzern KarstadtQuelle wird nun auch ein globaler Spieler im Touristikgeschäft. Damit sich das Image passend dazu ändert, verpasst Middelhoff dem neuen Gebilde im März 2007 den Kunstnamen Arcandor und schmückt ihn mit dem Zusatz „committed to creating value“. Zu Deutsch: „verpflichtet, Werte zu schaffen“.

Fürth, Herbst 2006. Harald Herbrig reicht’s. Eigentlich schien sein Berufsleben in geordneten Bahnen zu verlaufen. Die Sanierung des Filialgeschäfts von Quelle kommt voran, die schwarze Null ist in Sicht, und Herbrig ist sich sicher, „dass es die nächsten Jahre so weitergeht“. Fünf oder sechs Jahre will er noch bei Quelle arbeiten, dann vielleicht in Altersteilzeit gehen. Doch daraus wird nichts.

Quelle, so ist die neue Devise im Konzern, soll plötzlich andere Kundengruppen ansprechen. In Herbrigs Technikcentern sollen weniger Geräte stehen und die Filialen zu einer Art Showroom für den Online-Shop mutieren. „Unsere Kundschaft ging durch alle Schichten“, sagt Herbrig, „vom Sozialhilfeempfänger bis zum Professor.“ Jetzt soll er mit Quelle-Eigenmarken wie Privileg und Universum verstärkt die zahlungskräftige Zielgruppe ins Visier nehmen. Herbrig hält das so genannte Trading-up-Konzept für falsch und zieht die Konsequenz: Nach 30 Jahren verlässt er Quelle.

Überall bei KarstadtQuelle alias Arcandor macht sich Unruhe breit. Langjährige Mitarbeiter verabschieden sich, das Management einzelner Sparten wird im Jahrestakt ausgetauscht. Erfahrung fließt ab.

Hersbruck, 2. Mai 2007. Auch die fränkische Provinz entdeckt das „Trading up“. Beim Landratsamt Nürnberger Land reicht Madeleine Schickedanz einen „Bauantrag für die Errichtung des Kaufhauses Schickedanz Arkaden“ ein. Für einen Millionenbetrag soll das „Lädle“ im 12.500-Einwohner-Städtchen zum glamourösen Weltstadthaus samt verglastem Giebel, Rolltreppen und großem Parkplatz aufgemotzt werden.

Middelhoff vermeldet: „Sanierung geglückt“

Essen, 2008. Middelhoff ist sich seiner Sache sicher: Als der Konzern „kurz vor dem Abgrund stand“, habe er das Ruder übernommen. Doch nun sei „die Sanierung geglückt“, predigt Middelhoff landauf , landab. Doch der Umsatz von Karstadt sinkt dramatisch.

Nun rächt sich der Verkauf der Immobilien – Karstadt ist an seine eigenen Filialen gefesselt. Jenseits der Luxushäuser verbreitet das Gros der Standorte allenfalls musealen Charme. Doch zu den Niederungen des operativen Geschäfts wahrt „Majestät“, wie der Vorstandschef intern genannt wird, Abstand wie sonst wohl nur zu Wühltischen im Schlussverkauf. Lieber versucht Middelhoff mit Partnern anzubandeln, um sich des Karstadt-Problems per Verkauf oder Fusion zu entledigen. Doch alle Verhandlungen scheitern.

Wie schlimm es um Arcandor steht, wird im September überdeutlich: Die Gläubigerbanken wollen die Kreditlinien streichen. Erst als Middelhoff sein wertvollstes Investment, die Beteiligung am florierenden Touristiker Thomas Cook, verpfändet und Sal. Oppenheim als neuen Großaktionär an Bord holt, verlängern die Banken die Kredite.

Hersbruck, Ende 2008. Eine Tafel an der Gustav-Schickedanz-Straße verkündet zwar noch den baldigen Baubeginn, doch das Arkaden-Projekt ist längst beerdigt. Das Stammhaus soll abgewickelt werden, 55 von 65 Arbeitsplätzen fallen weg. Neben der Bautafel stellen die Mitarbeiter ein Schild auf: „Frau Schickedanz, retten Sie das Kaufhaus.“ Doch die Versandhauserbin hat andere Sorgen. Die Arcandor-Aktie hat binnen Jahresfrist 90 Prozent an Wert verloren und aus der Milliardärin eine Millionärin gemacht.

Ihr Vertrauter Middelhoff hat bei den Banken allen Kredit verspielt und ist für die neuen Finanzierungsrunden 2009 ein Risiko. Nun soll es ein Mann richten, dem der Kapitalmarkt und der Großaktionär Sal. Oppenheim vertrauen: Karl-Gerhard Eick, langjähriger Finanzvorstand der Telekom. Ausgestattet mit einem Fünf-Jahres-Vertrag, tritt Eick am 1. März 2009 an. Vielleicht hätte auch ein Fünf-Monats-Vertrag ausgereicht.

März 2009 bis heute: Der Kampf ums Überleben

Essen, Mai 2009 Kein Blatt Papier liegt herum, kein Computer surrt, nur ein chinesisches Schriftzeichen schmückt Raum 314 in der Arcandor-Zentrale. Das Zeichen stehe für „Krise“, bedeute aber auch „Chance“, erläutert der Arcandor-Sprecher als wie aufs Stichwort sein Chef das Zimmer betritt.

Arcandor-Chef Karl-Gerhard Quelle: dpa

Eick wirkt erstaunlich wach und kämpferisch für einen Mann, der in den vergangenen Nächten kaum mehr als vier Stunden geschlafen hat und dessen Tagesablauf sich auf einen simplen Dreisatz herunterbrechen lässt: Bitten, Betteln, Drohen in Berlin.

650 Millionen Euro Staatsbürgschaften muss Eick auftreiben. Andernfalls würden die Banken ihre Kredite nicht verlängern. „Es gibt keine Alternative“, sagt Eick. „Wenn der Antrag abgelehnt wird, muss ich spätestens am 12. Juni Insolvenz anmelden“.

Anfangs scheint Eicks Strategie aufzugehen. Er räumt Fehler seiner Vorgänger ein, begründet die Schieflage aber vor allem mit der Finanzkrise und der damit verbundenen Kreditklemme bei den Banken. Auch einen Sanierungsplan hat Eick parat: Zwölf Warenhäuser, darunter das KaDeWe in Berlin, will er in eine Verwertungsgesellschaft abschieben und binnen drei Jahren verkaufen oder zu Shoppingcentern umrüsten.

Die Politik entdeckt das Thema

Noch größere Sparmöglichkeiten sieht Eick in einer Bündelung des Einkaufs von Warenhaus- und Versandsparte. Zehn Jahre nach der Fusion will der Konzern endlich umsetzen, was Deuss den Aktionären im Verschmelzungsprospekt versprochen hatte: die „Bündelung der Einkaufsvolumina“.

Womöglich wäre Eick mit seiner Krisenlegende und dem Sanierungsansatz im Wahljahr durchgekommen, hätte nicht Eckhard Cordes interveniert, der Chef des Konkurrenten Metro. In einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erklärt Cordes seine Bereitschaft zu Gesprächen „über eine privatwirtschaftliche Lösung“, die auch „einen möglichen Zusammenschluss von Karstadt und Galeria Kaufhof beinhaltet“. Kurz: Würden Karstadt und die Metro-Tochter Kaufhof fusionieren, wäre Staatshilfe nicht mehr notwendig.

Berlin, Mai 2009. Die Politik entdeckt das Thema – auch weil Cordes Stimmung macht. In Hintergrundrunden mit Politikern und Journalisten trommelt der Manager – nebenher Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrats – für die Warenhausallianz und gegen Staatshilfen. Eick hält dagegen: „Herr Cordes “, poltert der Arcandor-Mann, „will uns in der Insolvenz sehen und dann würde er zum Nulltarif die Teile übernehmen, die interessant sind.“

Prompt wird Arcandor zum Wahlkampfthema. Während FDP- und Unions-Politiker vor einem „VEB Einzelhandel“ warnen, mahnen SPD und Linke einen staatlichen Rettungsversuch an. „Die Beschäftigten bei Karstadt und Quelle haben es nicht verdient, dass ein ordnungspolitisches Exempel an ihnen statuiert wird“, sagt SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.

Das Aus für Karstadt und Quelle droht

Brüssel, 3. Juni 2009. Der Bürgschaftsausschuss soll zwar erst am 8. Juni klären, ob der Staat Arcandor hilft. Doch in der EU-Wettbewerbskommission in Brüssel fällt eine Vorentscheidung. Der Konzern sei „nicht förderungswürdig“, weil er schon vor der Finanzkrise in Schwierigkeiten gesteckt habe. Das Veto aus Brüssel schränkt die Möglichkeiten für den Bürgschaftsausschuss drastisch ein. Ist das das Aus für Karstadt und Quelle?

Die Bilanz von Deuss, Urban und Middelhoff wäre verheerend. Innerhalb von nur zehn Jahren hätten die drei Großmanager den Konzern ruiniert. Von einst 100.000 Arbeitsplätzen bliebe ein Bruchteil bestehen, für die Aktionäre – allen voran Schickedanz – hätten sich Milliardenwerte in Luft aufgelöst.

Hersbruck, Sommer 2009. In der fränkischen Kleinstadt hat Harald Herbrig seinen Spitznamen weg: „Bellheim von Hersbruck“. Tatsächlich erinnert der 55-Jährige an die Figur des „großen Bellheim“ aus der ZDF-Serie, an den altgedienten Unternehmer, der mit ein paar Weggefährten im Schlepp aus dem Ruhestand einfliegt, um seine Kaufhauskette vor dem Bankrott zu retten.

Bei Herbrig läuft es eine Nummer kleiner: Gemeinsam mit zwei früheren Quelle-Managern will er das „Lädle“ wieder eröffnen – als Regionalkaufhaus mit hoher Technikkompetenz und ganz ohne Weltstadt-Chichi. In den vergangenen Wochen hat Herbrig mit den Eheleuten Schickedanz-Herl, denen die Immobilie gehört, die Mietverträge ausgehandelt. Bis 15. Oktober soll der Umbau fertig sein. Dann will Herbrig die Wiedereröffnung feiern – gemeinsam mit Madeleine Schickedanz.

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