Wirtschaftskrise Drehkreuz Singapur im Leerlauf

Im Hafen von Singapur, dem größten Drehkreuz zwischen Ostasien und der westlichen Welt, kulminiert das gegenwärtige Drama der Containerschifffahrt.

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Containerschiffe im Hafen Quelle: Christian Jakimowitsch - Fotolia.com

Die Mittagssonne brennt unbarmherzig auf den Hafen von Singapur nieder. Container sind in langen Reihen aufgestapelt, bis zu sieben Stück aufeinander. Das Metall ist aufgeheizt, zahlreiche Container warten seit Wochen auf Ladung. Einer der vielen Stapel ist in sich zusammengefallen, die Metallkisten liegen in einem Haufen aufeinander. Ab und zu rattert ein Lastwagen vorbei, nimmt einen der beladenen Container mit und fährt ihn zu einem Frachter. Viele Schiffe zum Beladen gibt es nicht, fast jeder zweite Ladeplatz ist leer. Der Containerfrachter MSC Rita wartet schon seit drei Monaten auf Fracht. Es ist ruhig im Hafen von Singapur.

„Das ist die schlimmste Krise in der Geschichte der Containerschifffahrt“, sagt Jesper Praestensgaard, Südostasien-Chef der dänischen Reederei Maersk, der größten Containerschifffahrtsgesellschaft der Welt.

Welthandel auf Talfahrt

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat den Welthandel auf Talfahrt geschickt wie jahrzehntelang nicht mehr. Sie trifft Singapur nach einer langen Phase des Booms. Die Wirtschaft des Stadtstaats ist in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich fünf Prozent gewachsen. Die Durchgangsstelle zwischen dem Indischen Ozean und Europa im Westen sowie dem Fernen Osten hat sich zum größten Umschlaghafen der Welt entwickelt. Kleidung, Schuhe und Elektronik aus China, Vietnam und Taiwan werden hier umgeladen und Richtung Westen, gen Europa und die USA verschifft. Unternehmen wie Daimler, Hewlett-Packard oder Schering Plough haben hier Lagerhäuser, aus denen Ersatzteile und Medikamente nach ganz Asien geliefert werden. Im vergangenen Jahr hat der Hafenbetreiber PSA 29 Millionen Standardcontainer verladen – dreimal mehr als der Hamburger Konkurrent HHLA.

Doch die fetten Jahre sind vorbei. Im ersten Quartal brach das Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent ein, aufs Jahr gerechnet erwartet die Regierung ein Minus von bis zu neun Prozent.

Am härtesten trifft es die Reedereien

Nirgendwo schlägt sich das deutlicher nieder als im Hafen. Die Krise wird zur Zerreißprobe für die Transportwirtschaft. Denn in der Boomphase haben sich in Singapur 21 der weltweit 25 größten Logistikunternehmen angesiedelt, dazu kommen noch mehr als 200 Reedereien – und das in einem Stadtstaat kleiner als Berlin. Alles, was in der Branche Rang und Namen hat, ist hier vertreten, natürlich Maersk und der Hamburger Wettbewerber Hapag- Lloyd, die Deutsche-Post-Tochter DHL und die Deutsche-Bahn-Spedition Schenker. Der Kampf um Kunden ist unerbittlich geworden. Der Containerumschlag im Hafen von Singapur ist im Januar und Februar um 20 Prozent zurückgegangen. PSA hofft, dieses Jahr einen Umschlag von 24 Millionen Standardcontainer zu erreichen, das wären 17 Prozent weniger als 2008.

Am härtesten trifft das die Reedereien, die für die vergangenen 20 Jahre Zuwachsraten von durchschnittlich zehn Prozent vorweisen konnten. Wenn Maersk-Manager Praestensgaard jetzt aus seinem Bürofenster blickt, sieht er Containerschiffe, die seit Wochen in den Gewässern von Singapur ohne Fracht vor sich hin schaukeln. „Einen derartigen Einbruch hatten wir noch nie. Das Schlimmste, was wir in früheren Rezessionszeiten erlebt haben, war eine Zuwachsrate von vier Prozent“, sagt er. „Ende letzten Jahres sind die Bestellungen aus den USA und Europa plötzlich über Nacht ausgeblieben.“ Deswegen hat Maersk zwei Routen zwischen Asien und Europa stillgelegt, zwölf Frachter aus dem Verkehr gezogen und schon im vergangenen Jahr 3000 Mitarbeiter entlassen. Analysten von Morgan Stanley rechneten aus, dass Mitte April insgesamt zehn Prozent der weltweiten Containerkapazität stillgelegt waren.

Frachtpreise im freien Fall

Für die Reedereien ist jeder Transport zurzeit ein Minusgeschäft. Laut Morgan Stanley kostet der Transport eines Standardcontainers von Asien nach Europa jetzt zwischen 300 und 500 US-Dollar. Im Sommer 2008 konnten die Reeder noch bis zu 1800 Dollar verlangen. „Alle Reedereien verlieren im Moment Geld“, sagt Praestensgaard. Besonders deutlich zeigt das der Baltic Dry Index, der die Entwicklung der Seefrachtraten widerspiegelt: Von Sommer 2008 bis zum Jahreswechsel stürzten die Preise um mehr als 90 Prozent ab. In den letzten Monaten zogen sie zwar wieder leicht an, weil Unternehmen ihre Lagervorräte aufgebraucht hatten und Ware nachbestellen mussten. -Eine dauerhafte Erholung ist es aber nicht.

So sehr auch die Krise den Absturz ausgelöst hat, ganz unschuldig sind die Reeder daran nicht. Denn sie haben den Bau von viel zu vielen Schiffen veranlasst. Erst im vergangenen Jahr nahm Maersk acht der größten Frachter der Welt mit einem Fassungsvermögen von jeweils 13.000 Standardcontainern in Betrieb. Weltweit haben Werften Bestellungen für 1400 neue Containerschiffe, deren Fassungsvermögen entspricht 60 Prozent der heutigen Kapazität.

Überzählige Schiffe

Zwar wollen die Reedereien Bestellungen stornieren oder Auslieferungen hinauszögern. Doch so verschwindet kaum eines der überzähligen Schiffe. „Die größten Reedereien der Welt haben eine sehr gute Bilanz und wenig Schulden“, sagt ein Fondsmanager, der für eine Großbank die Logistikbranche beobachtet. „Die können es sich leisten, die Schiffe zu parken.“

Dabei kalkulieren die Reeder damit, dass die Hersteller von Spielzeug, PCs, Sportartikeln und Textilien die Produktion in Fernost nicht aufgeben werden. Sobald der Welthandel geringfügig anzieht, nehmen die Reeder ihre leeren Schiffe wieder schlagartig in Betrieb. Das bedeutet, dass die Preise weiterhin unter Druck bleiben. Die Containerschifffahrt dürfte Jahre brauchen, um sich zu erholen.

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