Wirtschaftspolitik Bosse gegen Schwarz-Gelb

Viele Manager wenden sich von ihrer politischen Heimat ab. Zu viele Versprechen wurden gebrochen.

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Rainer Brüderle Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Die Herzschlagader der baden-württembergischen Industrie ist die Autobahn A81. Links und rechts reihen sich die Fabriken. Im Süden von Stuttgart, gleich an der Ausfahrt Sindelfingen, liegt das große Daimler-Werk. Im Norden, entlang der Strecke hinauf nach Heilbronn, produzieren die großen Zulieferer, Maschinenbauer und Werkzeugmacher. Zehntausende Facharbeiter fahren jeden Morgen über die A81 zu ihren Betrieben.

Es gehört zu den Besonderheiten im Ländle, dass auch Arbeiter ihr Kreuz traditionell bei den bürgerlichen Parteien machten. Das ist nun anders. Viele haben am Wahlabend erstmals nicht CDU oder FDP gewählt – sondern die Grünen. Das mag mit der Atomkatastrophe in Japan und dem Streit um den deutschen Atomausstieg zu tun haben. Die Arbeitgeber dieser Arbeiter aber sind von Schwarz-Gelb schon länger enttäuscht.

Adenauer soll es richten

Überall in der Republik wächst der Frust über die schwarz-gelbe Regierungspolitik – nicht nur in Baden-Württemberg. Und so gilt diese Landtagswahl als Denkzettel für den Kurs von Union und FDP in Berlin. Als Wahl der Wut. Als Ausdruck der Enttäuschung.

Die Unterstützung durch die Unternehmen war seit jeher die Machtbasis der bürgerlichen Parteien. Nun fällt ausgerechnet die Wirtschaft vom Glauben ab. Nur wenige lassen sich in den ersten Tagen nach der Wahl mit ihrer Wut zitieren. Viele Unternehmer meiden die Medien. Politische Statements gelten als schlecht fürs Geschäft. Einer, der sich zitieren lässt, ist Patrick Adenauer, Chef der Kölner Baufirma Bauwens und Präsident des Verbands der Familienunternehmer. "Viele von uns Unternehmern haben durch die wankelmütige Politik der Bundesregierung ihre politische Heimat verloren", sagt er. Adenauer ist seit dreißig Jahren in der CDU, er ist der Enkel des ersten Bundeskanzlers, und seine Kritik ist deswegen bemerkenswert, weil vor der Wahl der selbst ernannte Enkel Konrad Adenauers – Helmut Kohl – die Regierung gerügt hatte. Nun legt der wirkliche Enkel nach.

Merkel hat sich für nichts eingesetzt

Patrick Adenauer ist Unternehmer und spricht für die Unternehmer. Er kennt deren Unzufriedenheit mit Schwarz-Gelb. »Politiker werden danach bewertet, ob sie etwas durchgefochten haben. Ob sie für etwas eingestanden haben«, sagt er. "Das vermisse ich – insbesondere bei der Euro-Rettung – bei Angela Merkel."

Wenn man mit Managern und Unternehmern über die Regierung spricht, dann ist viel von mangelnder Glaubwürdigkeit die Rede. Von fehlender Haltung. "Die Wirtschaft erwartet, dass man zu seinen Überzeugungen steht und nicht in vorauseilendem Gehorsam die Seiten wechselt", sagt der Vorstand eines Dax-Konzerns. Und der Geschäftsführer eines Familienunternehmens fragt: "Wofür habe ich bei der Bundestagswahl Schwarz-Gelb gewählt?" Es ist der typische Blick von Unternehmern, die von einer Regierung – zumal von einer bürgerlichen – vor allem eines verlangen: Verlässlichkeit. Aus Sicht der Bosse ist das Wirtschaftsleben schon unberechenbar genug.

Airbus-Chef Thomas Enders Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Vieles von dem, was die Regierung Merkel in den vergangenen anderthalb Jahren umsetzte – vor allem die Rettungspakte für den Euro –, war für die Kanzlerin "alternativlos". Und ohne Alternative war Schwarz-Gelb auch lange für die Wirtschaft. Die Große Koalition galt als Zwischenspiel, die rot-grüne Zeit als Betriebsunfall der Geschichte. Doch abgesehen davon, dass es der Wirtschaft weder unter Rot-Grün noch unter Schwarz-Rot schlecht erging, weil die einen die Steuern senkten und die anderen Milliarden von Euro in die Hand nahmen, um das Land – und die Betriebe – aus der Krise zu führen: Der schwarz-gelbe Schlingerkurs frustriert viele Bosse zutiefst. Aus Protest gegen die Regierungspolitik gab Airbus-Chef Thomas Enders vergangene Woche sein CSU-Parteibuch zurück.

Regierung enttäuscht bei Europa, den Steuern, der Gesundheit

Da ist die Europapolitik: Erst wollte die Kanzlerin nichts für Griechenland zahlen, dann stimmte sie zu. Als Preis für die Hilfe forderte Merkel automatische Strafen für Defizitsünder. Diese wird es aber nicht geben. Lange bestand die Kanzlerin darauf, dass kein Staat für die Schulden eines anderen Staates haften dürfe. Nun lässt sich Deutschland den gemeinsamen Rettungsfonds fast 190 Milliarden Euro kosten – den Großteil davon als Bürgschaft.

Da ist die Steuerpolitik: Von einer großen Steuerreform, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen war, spricht in Berlin niemand mehr. Doch selbst das schwarz-gelbe Minimalziel – die mittleren Einkommen dadurch zu entlasten, dass man den Anstieg des Steuertarifs weniger steil gestaltet – ist gefährdet: "Vorrang haben weniger Schulden", sagt Finanzminister Wolfgang Schäuble. Für Steuersenkungen gebe es "keinen nennenswerten Spielraum".

Streitfall Gesundheit: Laut Koalitionsvertrag wollte Schwarz-Gelb den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung festschreiben. Doch er stieg an.

Streitfall Soziales: Die Regierung lehnt einen flächendeckenden Mindestlohn ab, erklärt aber immer mehr freiwillige Lohnuntergrenzen für allgemeinverbindlich. Was früher als sozialistisches Teufelszeug galt, ist nun bürgerliche Politik. Auch die Debatte über eine Frauenquote hat viele Mittelständler verschreckt.

Im Frust über Schwarz-Gelb werden jetzt sehr viele Enttäuschungen zusammengerührt, große wie kleine. Am größten ist die Enttäuschung über den Kurswechsel in der Atompolitik. Hatte Merkel nicht im selbst ausgerufenen "Herbst der Entscheidungen" vor allem die Laufzeitverlängerung der Atommeiler in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt? War nicht Versorgungssicherheit das zentrale Argument? Hieß es nicht, dass im Falle des vorschnellen Atomausstiegs die Strompreise steigen würden?

Die Wirtschaft hasst steigende Preise. Und sie hasst Unklarheit. Die Deutsche Bahn etwa, der größte Stromverbraucher des Landes, gerät durch die Abschaltung des Atomkraftwerks Neckarwestheim 1 unter Druck. Bahnstrom hat eine andere Frequenz als der übliche Strom, und Neckarwestheim 1 und 2 sind die einzigen Meiler, in denen Atomenergie in Bahnstrom umgewandelt werden kann. Nun sucht die Bahn nach Alternativen.

Vielen Wirtschaftsbossen stieß das Atom-Moratorium sauer auf. Das erklärt auch die Protokollaffäre der vergangenen Woche: In einer Sitzung beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle das Aussetzen der Laufzeitverlängerung – laut BDI-internem Protokoll – mit den Wahlen erklärt. Viele Entscheidungen seien "daher nicht immer rational". Als das Protokoll öffentlich wurde, war die Atomwende der Regierung als taktisches Manöver entlarvt. In Unternehmerkreisen heißt es, das Protokoll sei gezielt durchgestochen worden – aus Ärger über Merkels Koalition, die ihre Politik prinzipienlos der Stimmungslage anpasse. In der Sitzung saßen rund 40 Wirtschaftsführer, darunter auch Chefs von Kernkraftbetreibern. Das Protokoll öffentlich zu machen sei der Versuch gewesen, Union und FDP "noch einen mitzugeben."

Der Herbst der Entscheidungen diente aus Regierungssicht dazu, das bürgerliche Lager – und damit auch die Wirtschaft – zu befrieden. Doch eine Rückkehr auf diesen Kurs wird es nicht geben, auch das ist nach den Landtagswahlen klar. FDP-Generalsekretär Christian Lindner fordert bereits, die acht stillgelegten Atommeiler gar nicht mehr ans Netz zu lassen. Die gelbe FDP ergrünt. Und auch die Kanzlerin wird ihre Partei noch mehr zu den Grünen hin öffnen – allein schon aus machttaktischen Überlegungen, weil auf die FDP als Stimmenlieferant kein Verlass mehr ist.

Die Situation erinnert an 2005: Damals verlor der Sozialdemokrat Gerhard Schröder den Rückhalt der Gewerkschaften, als er gegen deren Widerstand die Sozialreformen durchsetzte. Nun kündigt die bürgerliche Kanzlerin den Konsens mit ihrer ureigensten Unterstützergruppe auf – der Wirtschaft. Der Unterschied zu 2005: Schröder machte Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Merkels Schwenk nach links dagegen könnte der Mehrheit gefallen. Die Wirtschaft wäre nur noch Minderheit.

Schwarz-Grün wäre gut fürs Geschäft

Östlich der Autobahn A81, in der Gemeinde Mulfingen im Hohenlohekreis, bekam die CDU am Sonntag 52 Prozent der Stimmen. Dort, tief in der immer noch schwarzen Provinz, liegt der Firmensitz von ebm-papst, und dort wird mit grüner Technik Geld verdient. Das Unternehmen stellt energiesparende Motoren für Kühlanlagen her. Würde man überall in Europa solche Motoren einsetzen, könnte man auf einen Schlag drei Atomkraftwerke abschalten. Ebm-papst wird also ein Gewinner der Energiewende sein, und Firmenchef Hans-Jochen Beilke verheimlicht gar nicht, dass er die Grünen gut findet. "Ich hätte mir gewünscht, dass wir eine schwarz-grüne Regierung bekommen", sagt er. Die Kombination ist gut fürs Geschäft.

Gut möglich, dass am Ende sehr viele Unternehmer in Deutschland ganz genauso denken.

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