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Zeitarbeit Unternehmen drohen milliardenteure Sozialbeitrags-Nachforderungen

Das gestrige Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin, das der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) die Tariffähigkeit abspricht, hat für hunderte mittelständischer Zeitarbeitsunternehmen und tausende ihrer Kunden weit reichende Folgen. Den Unternehmen drohen „Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen in Milliardenhöhe“, sagt der renommierte Münsteraner Arbeitsrechtsprofessor Peter Schüren gegenüber der WirtschaftsWoche, wenn das Bundesarbeitsgericht (BAG) das gestrige Urteil im kommenden Jahr bestätigen sollte.

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Werbung für Zeitarbeit: Den Quelle: dpa

Auf eins bis drei Milliarden Euro schätzt Schüren die Höhe der Nachforderungen: „Für die Beitragsrückstände müssen die betroffenen Verleihunternehmen mit Rückstellungen vorsorgen, sonst haften bei Zahlungsunfähigkeit ihre Kunden."

Die Nachforderungen ergeben sich aus der Differenz der Löhne, die den Zeitarbeitnehmern aufgrund von CGZP-Tarifen gezahlt wurden, und den Löhnen, die der entleihende Betrieb seinen gewöhnlichen Beschäftigten zahlte. Waren die CGZP-Tarifverträge unwirksam, müssten die Sozialbeiträge der zu niedrig bezahlten Zeitarbeitnehmer nachträglich für vier Jahre an die Sozialbeiträge der anderen Beschäftigten der entleihenden Unternehmen angepasst werden. Pro Arbeitnehmer und Jahr macht die Beitragsnachzahlung laut Schüren zwischen 10.000 und 16.000 Euro aus. Da in den vergangenen Jahren rund 200.000 der zeitweise über 800.000 Zeitarbeitnehmer auf Basis von CGZP-Tarifverträge entlohnt wurden, ergibt sich rechnerisch die mögliche Milliarden-Nachforderung von Renten- und Krankenkassen sowie Bundesagentur für Arbeit und Berufsgenossenschaften.

Der gewerkschaftsunabhängige Arbeitsrechtler meint:  „Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bundesarbeitsgericht der CGZP letztinstanzlich die Tariffähigkeit aberkennt, ist sehr groß, da das CGZP-Modell so grob auf Missbrauch abzielt". "Zweck der CGZP“, so Schüren, „war von vornherein  die Befriedigung von Arbeitgeberwünschen durch noch vorteilhaftere  Tarifverträge.“ Deswegen gab es schon seit Jahren Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP, gegen die Verdi und die Berliner Arbeitssenatorin Carola Bluhm nun  auch in zweiter Instanz erfolgreich klagen.

Die niedrigen CGZP-Flächen- und Hausverträge sind wegen des Vorwurfs des Lohndumpings seit Jahren umstritten. Stundenlöhne unterhalb von fünf Euro sind dokumentiert. Besonders niedrige Haustarifverträge wurden inzwischen gekündigt. Die Zahl ihrer Haustarifverträge hat die CGZP nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren schon von ursprünglich über 100 auf 33 reduziert. Viele der alten Haustraifverträge wirken aber noch nach und werden genutzt. Ein großes Zeitarbeitsunternehmen, Trenkwalder in München mit fast 6000 Beschäftigten in Deutschland und 60.000 europaweit, ist im Mai dieses Jahres aus der CGZP-Tarifgemeinschaft ausgeschieden und hat sich dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA) und seinen Tarifen angeschlossen.

Auch Schlecker-Zeitarbeitspartner Meniar betroffen

Das derzeit vermutlich größte Unternehmen mit auf dem CGZP-Tarif beruhenden Arbeitsverträgen ist die ebenfalls in München ansässige Neptun-Gruppe mit über 70 einzelnen CGZP-Haustarifverträgen. Ob Trenkwalder und Neptun für die zurückliegenden Jahre Rückstellungen bilden, haben die Unternehmen noch nicht entschieden.

Betroffen vom Berliner CGZP-Urteil sind aber auch namhafte Unternehmen außerhalb der Zeitarbeitsbranche. Die Drogeriekette Schlecker etwa beschäftigt immer mehr Verkäuferinnen über das Zwickauer Zeitarbeitnehmen Meniar, das ebenfalls auf Basis von CGZP-Tarifen zahlt. Meniar muss sich nun  eventuell einen neuen Partner suchen, höhere Löhne zahlen  und sich ebenfalls auf Nachzahlungen einstellen .  

Kippt die Tariffähigkeit der CGZP endgültig, hätten theoretisch auch hundertausende von Zeitarbeitnehmern ein Anrecht auf nachträglichen Lohnausgleich - allerdings nur gegenüber dem Leih-Arbeitgeber, nicht gegnüber dem entleihenden Betrieb. Arbeitsrechtsprofessor Schüren schätzt diese theoretischen Forderungen auf vier bis sieben Milliarden Euro, hält aber tatsächliche Klagen von Beschäftigten in größerem Umfang für unwahrscheinlich.

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