Zeitarbeit Wie Unternehmen ihre Beschäftigten in Leiharbeiter verwandeln

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Tabelle: Konzerninterne Zeitarbeitsfirmen

Erhebliche Zweifel an dieser Sicht hegt Peter Schüren, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Münster. Der Spezialist für Zeitarbeit, der als Koryphäe dieses Spezialgebiets und nicht als gewerkschaftsnah gilt, sieht in einer Leiharbeitsfirma unter dem eigenen Konzerndach eine „rechtsmissbräuchliche Strohmann-Konstruktion“. Im Arbeitsrecht seien „alle Instrumente vorhanden, um das auffliegen zu lassen“. Den Unternehmen drohten weitreichende finanzielle Risiken, etwa das Nachzahlen von Sozialbeiträgen.

Dabei verfolgten die Pioniere des Drehtüreffekts eigentlich unverfängliche Ideen, im Vordergrund stand vor allem mehr Flexibilität im Personaleinsatz. Die ältesten und bisher größten hauseigenen Personalverleiher entstanden, noch bevor der damalige Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) die Arbeitnehmerüberlassung Ende 2003 weitgehend liberalisierte: zwei Tochterunternehmen des Volkswagen-Konzerns. 1999 etwa gründete der Autobauer mit der Stadt Wolfsburg das Gemeinschaftsunternehmen Wolfsburg AG. Das verleiht heute 3800 Zeitarbeiter an Unternehmen, die zur Marke Volkswagen gehören, aber auch an externe Betriebe in Wolfsburg, die wiederum häufig VW-Zulieferer sind. 2001 gründete VW die Tochter Autovision GmbH, die neben anderen Geschäftsfeldern rund 1700 Zeitarbeiter beschäftigt und an VW-Konzerngesellschaften oder extern verleiht. Für die Zeitarbeitnehmer gilt ein gemeinsam mit der IG Metall ausgehandelter Tarifvertrag mit jeweils nach Kunden variierenden Zulagen.

Ziel ist die "atmende Belegschaft"

Die Staatsunternehmen Deutsche Telekom und Deutsche Bahn wiederum legten sich eigene Zeitarbeitsunternehmen zu, um Personal abzubauen, ohne Mitarbeiter auf die Straße zu setzen. Zusammen mit der Tochter DB Jobservice funktioniert DB Zeitarbeit wie ein unter-nehmensweiter Arbeitsmarkt. Ein Drittel der bis zu 2500 Zeitarbeiter findet im -Jahresverlauf feste Arbeitsverträge im Konzern. Die Verleihtätigkeit hat sich aber verselbstständigt. Die Deutsche Bahn erklärt heute, sie brauche die DB Zeitarbeit, um flexibel Zugbegleiter, Eisenbahningenieure, Lokführer und Kauf-leute mit eisenbahnrechtlichen Kenntnissen abrufen zu können, die es in klassischen Zeitarbeitsunternehmen nicht gebe. Acht Euro pro Stunde mindestens garantiert die Bahn ihren Zeitarbeitern – plus regionale Zulagen. Ziel sei die „atmende Belegschaft“.

Vivento Interim Services, die Leiharbeitstochter der Deutschen Telekom mit rund 1400 Mitarbeitern, übernimmt nach Auskunft des Konzerns überzählige Auszubildende, die sonst arbeitslos würden: „Für die kann das eine Brücke ins feste Arbeitsverhältnis sein.“ Ohne das Instrument könne die Telekom nicht „deutlich über Bedarf“ ausbilden.

Nach Bahn und Telekom griffen andere Unternehmen die Idee auf. Ob der Reisekonzern TUI und der Chemieriese BASF, Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes und der Arbeiterwohlfahrt, Krankenhäuser, Abfallentsorger und Immobiliengesellschaften: Neben dem gängigen Outsourcing, bei dem ganze Abteilungen wie IT oder Rechnungswesen rechtlich verselbstständigt werden, gilt der konzerninterne Arbeitnehmerverleih als das neueste Mittel gegen nach unten starre Tariflöhne und teuren Kündigungsschutz.

In den Krankenhäusern etwa wird die Flucht aus dem öffentlichen Tarifvertrag TVÖD von der Ausnahme zur Regel. Bei der Uniklinik Essen, rechnet Personalrat Stephan Gastmeier vor, sind rund 200 Leihmitarbeiter zu bescheidenen Konditionen bei der Personalservice GmbH (PSG) beschäftigt. In ein paar Jahren könnten es 3000 sein. Mehr als die Hälfte der 5500 Uniklinik-Mitarbeiter wären dann hauseigene Leihkräfte. „Es ist nicht Aufgabe einer Uniklinik, Zeitarbeit zu organisieren“, schimpft Gastmeier und beklagt die „Spaltung der Belegschaft“. Die Krankenhausleitung, die mit dem Kostendruck im Gesundheitswesen fertig werden muss, sieht dagegen keinen anderen Weg. „Wir werden künftig nur noch Ärzte und Krankenschwestern fest einstellen“, sagt Kliniksprecher Burkhard Büscher, „ansonsten machen wir das über die PSG.“

Auch private Ketten wie die Ameos-Gruppe aus Zürich, die in Deutschland 37 überwiegend psychiatrische Kliniken betreibt und 6000 Mitarbeiter hat, beschäftigt 400 davon über eine eigene Zeitarbeitsfirma und will bei Fluktuation weitere Stamm-Jobs „auch durch Zeitarbeit ersetzen“, sagt Michael Dieckmann, Ameos-Geschäftsführer in Schleswig-Holstein.

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