Zeitmanager Seiwert im Interivew Wie man Stress und Zeitdruck vermeidet

80 Prozent der Deutschen sind unzufrieden, weil sie sich gehetzt fühlen. Zeitdruck und Stress sind ein Massenphänomen, doch sie lassen sich bekämpfen. Lothar Seiwert hilft dabei. Er gilt als einer der führenden Denker und Redner zu Fragen des Zeitmanagements.

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Lothar Seiwert hat 27 Jahre Erfahrung mit Zeitmangement. Quelle: handelsblatt.com

Herr Seiwert, weniger ist mehr, lautet die Devise. Wir erkläre ich das meinem Chef oder dem Kunden?

Das Hauptproblem mangelnder Effektivität ist Verzettelung. Man beschäftigt sich ständig mit zu vielen falschen Dingen. Denn die sind meistens dringend, aber nicht wichtig. Studien fanden heraus, dass rund 60 Prozent der dringenden Dinge nicht wichtig sind und häufig gar nicht unbedingt erledigt werden müssten. Natürlich leiden darunter die wirklich wichtigen Dinge. Die Projekte, die strategische Implikationen haben, kommen erst dann zum Tragen, wenn sie dringend geworden sind. Wichtiges schnell zu machen, bedeutet, dass die Qualität leidet.

Was bedeutet das in Arbeitspraxis. Mein Schreibtisch liegt voll. Was tue ich nun?

Zeitprobleme sind immer Prioritätenprobleme. Fragen Sie sich: Was ist wirklich wichtig? Erstellen Sie immer eine Prioritätenliste, konsequent, egal ob per Zettel oder elektronisch. Wenn Sie sich unsicher sind, reden Sie mit Ihrem Chef und zeigen Sie ihm Ihre Liste. Objektiv ist die Liste meistens immer zu lang für die Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht. Das führt zu Stress.

Nun passiert es aber, dass ein Angestellter nicht nur von einem Chef Aufgaben bekommt. Wie soll er seine Zeit dann richtig einteilen?

Klar, manchmal muss man ja auch mehreren Herren gleichzeitig dienen. Und dann wird es für den Einzelnen umso schwieriger, die Prioritätenliste zu setzen. Denn es gibt ein Problem, dass Ärzte und Unfallchirurgen in Notsituationen allzu gut kennen und es mit drei Worten lösen: "Wer schreit, lebt!" Normalerweise wird der Lauteste als erster gehört, sprich bearbeitet. Aber dessen Aufgaben sind meistens nicht die wichtigsten. Lösen Sie sich davon, immer auf das zu reagieren, was wir den immanentesten Umweltreiz nennen. Das Wichtigste versteckt sich häufig ein wenig.

Emails kosten sehr viel Zeit. Was raten Sie?

Wenn ich ständig den Account auf Empfang habe, wird man zu oft gestört. Und es werden eher mehr Emails als weniger. Schauen Sie alle 30-60 Minuten nach, eher noch seltener. Bei vielen Managern reicht es, das wenige Male am Tag zu machen. Vieles erledigt sich von selbst. Wenn man dann aber die Emails bearbeitet, sollte man wenn irgendwie möglich alles sofort hinter sich bringen. Also nicht erst in Ordner sortieren und verschieben.

Oft stören auch Telefonate.

Bitten Sie Anruifer, in stressigen Situationen zurückzurufen. Arbeiten Sie ihre Telefonate in Blöcken ab. Und versuchen Sie es so hinzukriegen, dass sie ähnliche Themen hintereinander wegarbeiten.

Planen kostet Zeit. Wie kann ein Plan mehr Zeit sparen als kosten?

Man muss eben einfach und schnell sein, das kommt mit der Gewöhnung. Es gibt Exakt-Typen, die wollen solche Prioritätenlisten zu genau machen. Maximal fünf Minuten für einen kleinen Fahrplan sollten reichen.

Sie unterscheiden zwischen vier Zeit-Typen. Welche sind das?

Menschliche Persönlichkeiten sind zu komplex, um sie so einfach zu kategorisieren. Aber als grobe Richtung ist die einfache Einteilung für den Einstieg jedoch hilfreich: Der Turbotyp ist ständig auf der Überholspur, da muss alles fix gehen. Er sollte viel häufiger runterschalten. Der Ideentyp zieht ständig neue Prioritäten an, Planung ist nicht sein Ding, er legt sich ungern fest. Er neigt zum chaotischen Schreibtisch, weil es so viel Interessantes gibt. Der Machertyp ist immer pünktlich, plant gerne, setzt klare Prioritäten, organisiert sich. Aber er trennt sich nur ungern von unrealistischen Zielen und widmet sich zu selten den schönen Dingen. Der Exakttyp ist eher zu perfekt, und Perfektion weckt Aggression. Er ist überpünktlich, plant bis zum Gehtnichtmehr. Ihm fallen klare Entscheidungen schwer, weil er alles perfekt machen will.

Warum sollte man wissen, welcher Typ man am ehesten ist?

Viele Ratgeber geben pauschal Empfehlungen. Aber nicht jeder kann denselben Tipp gebrauchen. Daher habe ich in dem Buch zumindest einmal diese vier Typen unterschieden. Der Exakttyp lebt in einer anderen Zeitwelt als der Turbotyp, daher muss er anders planen.

Sie nennen sieben große Zeit-Irrtümer, denen wir häufig unterliegen. Welcher ist der Wesentlichste?

Der Irrglaube, wenn man Dinge schneller macht, dass es dadurch effektiver wird. Achten sie mal auf den Sprachgebrauch: "Ich mache mal schnell ..." Da steckt sehr in uns drin, inzwischen auch privat. Das ist ein Mythos. Gerade dieses Schnell-Schnell-Denken kostet uns Zeit - allein schon für alle die Korrekturen.

Sie warnen vor dem Internet, weil es nicht Zeit spart, sondern kostet. Inwiefern?

Man wird von der Fülle dessen, was angeboten wird, erschlagen. Soziale Netzwerke gehören ja auch dazu. Da vernachlässigt man vor lauter Facebook das Twittern und bei Linkedin und Xing sollte auch nicht fehlen. Und das alles hat ja nichts ersetzt oder abgelöst, das ist oben draufgekommen. Man telefoniert weiterhin und schreibt auch SMS.

Warum ist Multitasking keine Lösung?

Multitasking war lange schick. Doch aktuelle Ergebnisse aus der Hirnforschung belegen, dass wir das nicht können. wir sind langsamer und machen mehr Fehler. Produktiver sind Monotasker. Zum Beispiel tippen so viele Leute in Meetings auf ihrem Blackberry herum. Und das funktioniert nicht. Viele übertreiben es, dann wird es schnell zur Krankheit.

Was steckt hinter der Fifty-Fifty-Regel?

Die Erfahrung, dass wir dazu neigen, viel zu optimistisch einzuschätzen, wie lange etwas dauert. Man vertut sich schon beim Autofahren. In Wirklichkeit dauert jede Tätigkeit doppelt so lange wie man im Idealfall annimmt. Es haut nicht hin, ohne diese Fifty-Fifty-Regel zu planen. Das habe ich in 27 Jahren als Zeitmanager erlebt.

Welche Rolle spielt es, Aufgaben zu delegieren?

Wenn Sie nicht delegieren können, bleibt nur die Prioritätenliste. Man kann aber viel häufiger delegieren, als man denkt. Wer geeignete Kollegen oder externe Mitarbeiter hat, sollte man immer darüber nachdenken, wie Sie Aufgeben abgeben können. Das gilt gerade für die dringenden, aber nicht so wichtigen Aufgaben.

Sie sind ein Fan von Pausen und von Faulenzen. Warum kann es effektiv sein?

Vettel ist Weltmeister geworden, weil er zum richtigen Zeitpunkt Boxenstopps einlegte. So ist es auch im Leben: Jeder Arzt bestätigt, dass Mittagspausen mit warmen Essen in Ruhe eingenommen werden muss. Man muss auch von der Biorhythmik her Pausen machen.

Gibt es eigentlich typisch deutsche Phänomene beim Thema Zeitknappheit?

Bedingt ja: Wenn ich mal meine Bücher nehme und ihre Resonanz im Ausland, ist die in den asiatischen Ländern sehr viel höher als in Europa. Die Lizenzen gehen schnell weg. In Südeuropa verkaufen sie das Thema Zeitmanagement deutlich schlechter. Die Uhren ticken da anders. Die brauchen weniger Ratschläge als wir.

Inwiefern schadet die Neigung zur Perfektion?

Gerade wir Deutschen neigen zur Perfektion. Aber in der heutigen Zeit ist gut besser als perfekt. Man kann in dieser komplexen Welt nicht mehr perfekt sein, da setzt man automatisch die falschen Prioritäten. Wir sollten Dinge nicht eng sehen.

Kommen wir am Ende zum Vorwort Ihres Buches. Da steht "Ratgeber bringen nichts". Was ist damit gemeint?

Also das Buch zu lesen, bringt in der Tat nichts. Da ist es genauso wie mit den Abnehmbüchern. Man muss ins Handeln kommen. Man muss die Vorsätze leben. Bibliographie

Lothar Seiwert

Simplify Your Time. Einfach Zeit haben

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010

327 Seiten, 20,60 Euro

Auch als Hörbuch erschienen

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