Unternehmenskultur bei Zalando Organisiertes Chaos

Zalando ist längst kein Start-up mehr, sondern ein börsennotierter Konzern mit harten Profitvorgaben und fast 10.000 Mitarbeitern. Trotzdem will das Unternehmen einfach nicht erwachsen werden.

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Zalando versucht, die Vorteile eines Start-ups zu erhalten. Quelle: Reuters

Berlin Auf das erste Vorstandsmeeting nach ihrem Amtsantritt bei Zalando hatte sich Frauke von Polier gewissenhaft vorbereitet. Die Personalchefin, die ihr Handwerk bei Konzernen wie Otto und Bertelsmann gelernt hat, brachte jede Menge Verbesserungsvorschläge mit in die Runde. Ihre Power-Point-Präsentation umfasste 20 Folien. Sie sei überrascht gewesen, sagt sie, wie schnell sie mit dem Vortrag durchkam, weil der Vorstand beinahe jedem ihrer Punkte zustimmte. „Das ging ja gut“, habe sie gedacht, während sie den Raum verließ. Da habe ihr einer der Vorstände noch nachgerufen: „Super, Frauke, aber das nächste Mal lass doch die Folien weg.“ Inhalt ist wichtiger als Verpackung, so interpretierte sie den Satz. Und machte ihn zur Maxime ihrer Arbeit: „Jeder muss sich fragen: Worum geht es? Sonst nichts.“

2011 war das, Zalando hatte 300 Mitarbeiter, riesengroße Ziele und ein genauso großes Minus auf dem Konto. Fünf Jahre später sind fast 10.000 Menschen bei dem Unternehmen beschäftigt, das längst kein Start-up mehr ist, sondern ein M-Dax-Konzern. Im letzten Geschäftsjahr stand ein Gewinn von 120 Millionen unter dem Strich, bei einem Umsatz von knapp drei Milliarden Euro. Und die größte Herausforderung für Personalchefin von Polier besteht ihre Ansicht nach noch immer darin, nicht zu viel Verpackung anzuhäufen – damit die Firma trotz ihrer Größe schnell und flexibel bleibt.

Sie sitzt auf einem bunten Würfelhocker, in der Hand hält sie Pappbecher mit Kaffee, obwohl es auch Tassen gäbe. Zalando hat 50 Journalisten in sein Hauptquartier in Berlin-Friedrichshain geladen, um ihnen die neue Strategie des Unternehmens einzutrichtern. Die Grundzüge haben die Vorstände Robert Gentz, Rubin Ritter und David Schneider zuvor erläutert. Zalando will nicht mehr länger nur ein Online-Händler sein, sondern eine Technologieplattform für Mode. Dass man Schuhe auch im Internet kaufen kann, haben die Konsumenten längst gelernt. Auf dem deutschen Schuhmarkt hat Zalando inzwischen einen Marktanteil von fünf Prozent. Da ist noch viel Spielraum, inzwischen aber auch viel Konkurrenz.

Modemarken wie Zara und H&M haben in den letzten Jahren viel in ihre Online-Shops investiert. Auch Amazon drängt in den Modemarkt, entwickelt sogar eigene Marken. Die größte Herausforderung für Zalando aber kommt von unten: Es sind die jungen, innovativen Start-ups, die dem ehemaligen Start-up gefährlich werden könnten.

Ob Shopping-Clubs, Einkaufs-Berater oder Apps, die der Kundin zeigen, in welchem Laden in ihrer Nähe sie die Jacke finden kann, die ihre zehn besten Facebook-Freundinnen kürzlich gekauft haben – es reicht heute nicht mehr, den Konsumenten in der Fernsehwerbung anzuschreien, wie Zalando das in seinen ersten, wilden Jahren getan hat. Geschrien wird ohnehin viel zu viel, auch Banner oder Pop-ups reißen kaum noch jemanden heraus aus der Informationsüberflutung.

Mit Metrigo, einem Hamburger Start-up für Datenanalyse, hat sich Zalando im letzten Jahr schon innovatives Know-How dazugekauft. Mit Hilfe der Spezialisten und der Daten seiner 135 Millionen Besucher pro Monat will sich die Plattform als eine Art Werbeberater für Modemarken positionieren. Um die eigene Kundschaft bei Laune zu halten, setzt Zalando auf Entwicklungen aus dem eigenen Haus. Der Stilberater Zalon oder die neue App Fleek, die modebewusste Menschen inspirieren soll und mittels GPS-Daten die passende Kleidung zum Wetter empfiehlt, sind nur einige davon.

„Wir sind noch lange nicht fertig“, sagt Finanzchef Rubin Ritter. „Wir sind immer noch ein unternehmerisches Unternehmen.“ Soll heißen: Wir sind vielleicht kein Start-up mehr, aber erwachsen sein wollen wir auch nicht.

Das zu verhindern, ist auch der Job von Frauke von Polier – und der ist nicht immer einfach. Vor dem Börsengang im Jahr 2014 wurde Zalando nicht auf Innovation, sondern auf Profitabilität getrimmt. Das Wort Budgetkontrolle hielt Einzug bei dem Start-up, es wurden auch wieder Power-Point-Präsentationen erstellt. Externe Prüfer wollten zum Schutz der Aktionäre wissen, welche Prozesse im Unternehmen wie ablaufen. Die Frage war nicht mehr: Worum geht es? Sondern: Wie lautet die Regel dafür?


Der Vorstand stellt sich den Mitarbeitern

In dieser Zeit des Umbruchs sei die Fluktuation im Unternehmen deutlich angestiegen, sagt von Polier, gleichzeitig sank die Innovationsfreude. Regeln würden eine Organisation dazu verleiten, stärkere Kontrolle auszuüben. Gleichzeitig verführten sie die Mitarbeiter dazu, sich zurückzulehnen und in Sicherheit zu wiegen. „Wir wollen den Selbstantrieb fördern“, sagt die ehemalige Konzernfrau. Innovation brauche es aber auch ein gewisses Maß an Chaos.

Man könnte es ein geregeltes Chaos nennen, das Zalando zu bewahren versucht. So gibt es im Unternehmen Zielvereinbarungen, aber die Mitarbeiter sollen ihre Ziele selbst festlegen, und zwar im Dialog, nicht nur mit den Vorgesetzen, sondern auch mit den Kollegen. Die Ziele von jedem sind für alle einsehbar, das gilt auch für die Vorstandschefs. So soll sichergestellt werden, dass jeder versteht, wozu was in dem großen Ganzen gut ist – und sich möglichst selbstbestimmt darin bewegen kann.

Die Mitarbeiter bei Zalando sind im Durchschnitt 29 Jahre alt, ein Alter, in dem die Träume noch groß sind und die Angst vor Veränderung klein. Ein Karriereberater soll dabei helfen, dass sich jeder individuell entwickeln kann – durch einen Auslandsaufenthalt, ein Sabbatical oder die Gründung eines Unternehmens im Unternehmen.

Der Vorstand stellt sich alle zwei Wochen zum Gespräch. Jede Frage werde beantwortet, sagt von Polier, ob es um die Saftsorten im Kühlschrank gehe, die Fahrradständer oder den Sinn und Zweck eines neuen Geschäftsfeldes. Fragen können auch per Mail und anonym geschickt werden. Anfangs hätten viele davon Gebrauch gemacht, mittlerweile würden kritische Fragen immer öfter auch öffentlich gestellt. Und die Fragesteller dafür gelobt.

Teilnehmen an diesen Runden kann jeder, der einen Internetanschluss am Arbeitsplatz hat. Das ist etwa die Hälfte der Belegschaft. Die Mitarbeiter in den Logistikzentren, die Schuhe packen und Päckchen sortieren, sind davon ausgenommen. Um sie muss Zalando auch nicht so werben wie um die begehrten Programmierer, von denen bis Jahresende 800 neue dazu kommen sollen.

Auch in der IT liegt der Fokus auf Innovationskultur. „Radical Agility“ heißt das Konzept, umgesetzt wird es von Eric Bowman. „Wir geben den Leuten ein Problem und fragen, wie sie es lösen wollen“, erklärt Bowman. Die Probleme würden auf kleine Teams verteilt, innerhalb derer die Entscheidungen möglichst autonom getroffen werden sollen. Bei Zielkonflikten wie Zeit- oder Budgetüberschreitungen dürfe er als Vorgesetzter nicht nur Ansagen machen, sondern müsse in den Dialog treten. So erziele man nicht nur bessere Ergebnisse, sondern gewinne auch bessere Mitarbeiter.

Also alles super bei Zalando? In der Raucherecke vor dem Gebäude stehen zwei Mitarbeiter und motzen. Es geht um das Übliche, um „die da oben“, und dass sie bei einem ihrer Ansicht nach wichtigen Projekt nicht um ihre Meinung gefragt wurden. Frauke von Polier stellt ihren Kaffeebecher auf den Boden. Der nächste Interviewer wartet, der Zeitplan ist streng durchgetaktet. Auch das Chaos muss organisiert werden.

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