Gefängnis-Report Nadelstreifen hinter Gittern: Manager berichten aus dem Knast

Finanzkrise, Untreue, Korruption – der Gang ins Gefängnis wird für immer mehr Manager zur realen Gefahr. Ein Report über den Absturz aus der Chefetage, den Horror hinter Gittern und Haft light für gehorsame Täter in Nadelstreifen.

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Arrestzelle: Dasein ohne Quelle: dpa/dpaweb

Ulrich Beckheuer, Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Euskirchen, stellt den Mann im dunkelgrauen Hemd vor. „Das ist Herr Sommer.“ Der Endvierziger mit dem kurzrasierten Schädel blickt freundlich-neugierig. Er war Vorstandsvorsitzender eines namhaften deutschen Unternehmens mit vierstelliger Belegschaft und hieß natürlich ganz anders. Gut sieben Monate saß er in Untersuchungshaft und wurde wegen Kapitalanlagebetrugs zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die verbringt er zurzeit im offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt Euskirchen unweit von Köln.

Wo und wann Sommer verhaftet wurde, behält er für sich, nicht aber, wie er es empfand: „Ein Schock.“ „Schatz, so isses“, habe er zu seiner Ehefrau gesagt, als die Polizei ihn abholte. Von einem Tag auf den anderen verschwand Sommer hinter Schloss und Riegel, in einer anderen Welt. Eine Stunde Hofgang am Tag, die ersten sechs Wochen kein Besuch, dann endlich ein Wiedersehen mit den beiden Kindern, die inzwischen über Papas Sünden Bescheid wussten. Seine U-Haft-Zeit verbrachte Sommer in Zwei- und Drei-Mann-Zellen. „Lieber das, als allein zu sein“, sagt er. Über Wochen kümmerte er sich um einen drogensüchtigen Epileptiker und pflegte einen albanischen Kriminellen, der zusammengeschlagen im Etagenbett unter ihm lag: „In der Aufgabe bin ich aufgegangen.“

Die Finanzkrise, aber auch Schmiergeldaffären, Veruntreuungen und Betrugsdelikte rücken ins Blickfeld, was für die meisten Manager undenkbar war: den Gang ins Gefängnis – ein Absturz vom Glamour in den Schmuddel, vom Designer-Bett auf die Pritsche, aus saturierter Stellung ins bodenlose Nichts.

„An der glitschigen Außenfassade klebte der Schmodder, unten sammelte er sich in einer Kloake, in der auch Essensreste schwammen.“ So beschreibt der frühere Immobilienjongleur Jürgen Schneider in seiner Biografie „Bekenntnisse eines Baulöwen“ die Gefängnisanlage Frankfurt-Preungesheim, in der er nach seiner Verurteilung wegen Betrugs von 1996 bis 1999 einsaß.

Der Fall ist Legende, aber aktueller denn je. Wegen Betrugs ermittelt die US-Bundespolizei FBI gegen große und kleine Namen der Wall Street. In Deutschland haben Staatsanwälte und Richter spätestens seit dem Siemens-Schmiergeldskandal und seit der VW-Affäre um den ehemaligen Personalchef Peter Hartz jede Scheu abgelegt, Wirtschaftsprominente hart anzupacken.

Managern droht mehr Ungemach als früher

Als der damalige Post-Chef Klaus Zumwinkel im Februar dieses Jahres wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung zum Verhör abgeführt wurde, standen Kamerateams vor seiner Kölner Villa. Die U-Haft blieb ihm vermutlich nur durch ein teilweises Geständnis erspart. In Frankreich pferchten Pariser Ermittler den früheren Airbus-Chef Gustav Humbert und den ehemaligen EADS-Co-Chef Noël Forgeard zwei Tage lang in Arrestzellen mit nach Urin stinkenden Wolldecken und dreckigen Klosettlöchern, um sie zu möglicherweise illegalen Insidergeschäften mit EADS-Aktien zu befragen. Ähnliches muss wohl Airbus-Chef Thomas Enders fürchten, gegen den ebenfalls ermittelt wird.

Die Liste der Manager mit solchen Erfahrungen dürfte in Zukunft länger werden, glaubt der Kölner Strafrechtsexperte Norbert Gatzweiler. Einige Staatsanwälte setzten die U-Haft vor allem gegen Wirtschaftskapitäne gern „als Instrument ein, um Geständnisse zu erzwingen“, sagt er. Apokryphe, also unechte, Haftgründe nennen das Insider. Verschärft wird die Stimmung gegen Wirtschaftskapitäne durch Politiker wie den Linke-Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, Peter Sodann. Der würde am liebsten Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann „verhaften“, wie er der „Sächsischen Zeitung“ sagte.

Auch international droht Managern mehr Ungemach als früher. Nahezu alle Regierungen haben die Gesetze verschärft. Schmiergeldzahlungen an ausländische Kunden – in Deutschland einst legal und steuerlich absetzbar – sind heute strafbar. Steuerhinterzieher fliegen dank Datenhandel und unzufriedener Bankmitarbeiter gleich reihenweise auf.

Kein Schutz der hervergohobenen Position für Manager

Dass die hervorgehobene Position sie schützt, können Manager nicht erwarten. Im Gegenteil. „Für Wirtschaftsstraftäter dauert die Untersuchungshaft oft länger als für andere“, sagt der Düsseldorfer Staranwalt Sven Thomas. Offiziell begründen Staatsanwälte und Haftrichter dies mit der Komplexität von Wirtschaftsstraftaten. Doch die „Komplexität der Ermittlungen“ werde inzwischen „floskelhaft“ als Grund genannt, meint Thomas, um die Untersuchungshaft immer wieder zu verlängern. So saß Alexander Falk, der Hamburger Erbe des gleichnamigen Stadtplanherstellers und Internet-Pleitier, den Thomas zeitweise verteidigte, 22 Monate im Hamburger Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis, bevor er wegen gemeinschaftlichen versuchten Betruges zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Die Zeit will der frühere New-Economy-Star, der gegen das Urteil Berufung einlegte, als „Besinnung wie im Kloster“ erlebt haben. Drogendealer und Gewaltverbrecher seien ihm zu Freunden geworden, „mit denen ich mich heute noch treffe“, verriet er im Frühjahr der „Bild“-Zeitung.

Wen es so erwischt wie Falk, der tönt in der Regel nicht herum, sondern schweigt. Die WirtschaftsWoche fand dennoch Unternehmer und Manager, die ernsthaft über den Albtraum Gefängnis sprechen wollten – über Demütigungen, Selbstmordgedanken, Verlust an Individualität. Wirtschaftskriminelle empfinden, so sehr sie die Strafe auch verdient haben, aufgrund ihrer gewohnten Lebensumstände den Absturz hinter Gittern als besonders brutal und erniedrigend. Bodo Schnabel, Ex-Chef der Pleitefirma Comroad, der 2002 wegen Betrugs zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, erinnert sich albtraumhaft an die Prozedur, die er über sich ergehen ließ, wenn Frau und Kinder ihn in der JVA Straubing besuchten. Er musste sich komplett ausziehen und untersuchen lassen, bevor er den Besucherraum betrat. „Es war demütigend“, sagt er.

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