Erfolg für die Verbraucherschützer im Prozess gegen die Volksbank Reutlingen: Nach Auffassung des Landgerichts Tübingen verstoßen die von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg beanstandeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank bei Altverträgen gegen wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung.
„Durch Allgemeine Geschäftsbedingungen kann nicht nachträglich bei bereits abgeschlossenen Einlagegeschäften einseitig durch die Bank eine Entgeltpflicht für den Kunden eingeführt werden, die es weder im Darlehensrecht noch beim unregelmäßigen Verwahrungsvertrag gibt“, so das Gericht. Eine Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverträgen habe das Institut nicht gemacht.
Mit Spannung wurde auf die Entscheidung des Gerichts gewartet. Schließlich könnte mit dem Urteil ein Präzedenzfall geschaffen werden in der strittigen Frage, unter welchen Umständen private Kunden mit Negativzinsen belastet werden können.
Streit um Negativzinsen
Deutschlands Bankenbranche ächzt unter der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank - sie vermasselt ihr gute Geschäfte. Gewisse Kosten will manche Bank an ihre Kunden weiterreichen - so müssen Firmenkunden mitunter Strafzinsen zahlen für hohe Guthaben. Das erscheint insofern logisch, als die Banken selbst wegen des Geldes, das virtuell bei der Notenbank eingelagert wird, Negativzinsen zahlen müssen. Privatkunden wurden bisher kaum zur Kasse gebeten - obwohl ihre Einlagen inzwischen eher zum Kostenballast geworden sind.
In einem Preisaushang hatte die Volksbank Reutlingen sich die Möglichkeit eingeräumt, pro Jahr 0,5 Prozent Minuszinsen auf komplette Guthaben auf dem Girokonto und ab 10.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto sowie auf Festgelder zu berechnen. Die Verbraucherzentrale protestierte und forderte die Bank, solche Zinsen auch künftig auszuschließen. „Nur eine Unterlassungserklärung stellt rechtsverbindlich sicher, dass Strafzinsen auch in Zukunft nicht eingeführt werden“, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Bank strich daraufhin zwar die Negativzinsen aus ihrem Verzeichnis, verweigerte aber die geforderte Erklärung. Weil die außergerichtliche Einigung ausblieb, klagte die Zentrale.
Man könne sich „nicht derart weitreichend verpflichten, da das künftige Zinsniveau ebenso ungewiss ist wie die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen“, hieß es im Juni in einem Schreiben des Vorstands der Volksbank. Aktuell will sich das Geldinstitut mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht zum Thema äußern. Hans-Peter Burghof, der den Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim leitet, zeigt Verständnis für den Standpunkt des Geldhauses: „Die Banken machen Verluste, weil sie ihre Kunden nicht verärgern wollen.“ Der Kunde könne nicht erwarten, dass sein Geld für alle Zeiten umsonst verwahrt werde.
Das Urteil werde richtungsweisend für die Branche sein, sind sich Verbraucherschützer Nauhauser und Ökonom Burghof einig. Nauhauser ist der Meinung, seine Klage habe schon vor dem Gerichtstermin Wirkung in gezeigt. „Manche Banken werden sich jetzt zweimal überlegen, ob sie Strafzinsen in ihr Verzeichnis schreiben“, sagt der Verbraucherschützer.
Bisher gab es nur Einzelfälle, die sehr wenige Privatkunden betrafen. Laut Nauhauser wollen andere Banken ähnliche Zinsen berechnen, teilweise unter undurchsichtigen Bezeichnungen wie „Verwahrungsentgelte“. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken machen beide keine Angaben über die Preise und Konditionen einzelner Banken. Sie halten jedoch die Einführung von Negativzinsen für Privatkunden für unwahrscheinlich - nicht zuletzt aus Gründen des Wettbewerbs.
Hintergrund der Auseinandersetzung ist die Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gegen die Volksbank Reutlingen. Im Sommer hatte das Institut eine Klausel in ihr Preis- und Leistungsverzeichnis eingeführt, durch die Negativzinsen möglich wären. So behielt sich die Bank vor, ab 10.000 Euro Tagesgeld und ab 25.000 Euro Festgeld Negativzinsen von 0,5 Prozent zu erheben. Zwar strich die Volksbank nach einer Abmahnung durch die Verbraucherschützer diese Klausel wieder, reagierte aber nicht auf die geforderte Unterlassungserklärung. Daher wurde Klage eingereicht.
Der Rechtsstreit zeigt, dass die Kreditinstitute unter Druck stehen. Die Banken müssen selbst Strafzinsen in Höhe von 0,4 Prozent zahlen, wenn sie über Nacht überschüssige Liquidität bei der Europäischen Zentralbank parken. Und angesichts eines Dauerniedrigzinses erodiert der Zinsüberschuss der Institute. Nicht wenige Banken denken darüber nach, ihre Kunden an der Belastung zu beteiligen. Ein knappes Dutzend Banken in Deutschland verlangt schon Verwahrentgelte zwischen 0,2 Prozent und 0,6 Prozent für Privatkunden, wenn das Guthaben die 100.000 Euro-Grenze übersteigt. Bei der Raiffeisenbank Naabtal werden 0,6 Prozent bei Einlagen ab 250.000 Euro fällig.
Die Volksbank Reutlingen hatte darauf verwiesen, dass die Kontoinhaber bei Vertragsabschluss variablen Zinsen auf Guthaben zugestimmt hätten. Das Argument ließen die Verbraucherschützer aber nicht gelten. „Für unser Verfahren ist es unerheblich, ob es sich um fixe oder variable Zinsen handelt, da nach unserer Auffassung negative Zinsen bei sämtlichen Darlehensverträge dem Gesetz nach nicht vorgesehen sind“, so Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Denn Verbraucher seien als Darlehensgeber anzusehen und können somit über eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht verpflichtet werden, Zinsen zu zahlen. Das Landgericht Tübingen stimmte dieser Interpretation zu.
Verbraucherschützer begrüßen das Urteil: „Das Gericht stellt klar, dass Negativzinsen für bestehende Geldanlageverträge nicht mit Klauseln, wie sie die Volksbank Reutlingen verwendet hat, eingeführt werden können. Die Bank kann nicht einseitig mittels des Kleingedruckten aus einer Geldanlage einen kostenpflichtigen Verwahrungsvertrag machen“, erläutert Nauhauser.