Verhaltensbiologin Barbara Niedner „Trump wäre kein Tier, das Sozialverhalten zeigt“

Die Verhaltensbiologin und Führungskräftetrainerin erklärt, was Manager von der Pusteblume lernen können, wann Algorithmen schädlich sind und was gewisse Spitzenpolitiker wie Donald Trump mit Brüllaffen gemeinsam haben.

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Wer als Führungskraft soviel Aufmerksamkeit bekommt, wie dieser Menschenaffe, tut gut daran, für die Angehörigen seiner Gruppe ebenso großen Nutzen zu stiften.

Düsseldorf „Haben Sie den Brüllaffen vor Augen?“ Barbara Niedner wartet die Antwort auf ihre Frage gar nicht erst ab. Sie macht ihn einfach, den Brüllaffen. Sie reißt Augen und Mund auf und schreit los. Ihre Arme und Hände fuchteln dabei wild herum. Barbara Niedner ist Verhaltensforscherin. Sie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Eigenheiten menschlichen Verhaltens: Wie wird Macht demonstriert? Wie Zu-, wie Abneigung? Ihre Analysen und Vergleiche sind unterhaltsam wie erhellend. Die 53-Jährige ist eine gefragte Managementberaterin und Rednerin. In Donald Trump hat sie, wie sie scherzt, „ein neues Anschauungsobjekt“ gefunden.

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Frau Niedner, Sie sind Verhaltensbiologin. Wenn Donald Trump ein Tier wäre, welches wäre er?
Alle Tierarten, die ein Sozialverhalten zeigen, fallen schon einmal raus. Es muss ein dominantes Tier sein, ein Einzelgänger. Vielleicht könnte er ein Krokodil sein. Nein, das ist zu ruhig. Dann ein Hahn. Nein, die Hackordnung ist zu krass. Denn etwas mehr Empathie als einem hackenden Hahn gestehe ich Donald Trump schon zu, auch wenn er sie öffentlich nicht zeigt. Schauen Sie sich mal einen Brüllaffen an, der kilometerweit hörbar ist. Ja, ein Brüllaffe signalisiert seine Anwesenheit lautstark und achtet auf eine strikte Hierarchie, wer oben und unten ist, und meidet so energieaufwendige Kämpfe.

Fühlen Sie sich angesichts mancher Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft manchmal wie im Affenhaus?
Ich liebe die Menschenaffen und bin immer wieder beeindruckt, wie nahe sie uns in ihrem Verhalten sind und wie raffiniert sie sich in der Gruppe durchsetzen und Einfluss gewinnen. Wir Menschen denken, dass wir weit weg wären und weiter entwickelt. Das ist eine dumme Arroganz. Gehen Sie mal ins Affenhaus, und beobachten Sie das Treiben dort eine Weile, und Sie werden sich und andere wiederfinden.

Was sagt der Aufstieg eines solch angriffslustigen Einzelgängers über unser Gesellschaftssystem aus? Ist das noch menschlich oder schon allzu tierisch?
In der freien Wildbahn entwickeln sich vielfältige Sozialsysteme, die angeführt werden von Alphas, die, angepasst an das jeweilige Umfeld, einen Nutzwert für jedes einzelne Individuum einer sozialen Gruppe bieten. In der menschlichen Gesellschaft wurden in den vergangenen Jahren aber einige allgemeingültige Werte sowie Regeln aufgeweicht. Die Unwahrheit zu sagen oder andere Menschen zu diskriminieren, wie es im amerikanischen Wahlkampf mehrfach vorkam, wird zwar in unseren Kindergärten sanktioniert, in den Spitzen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aber eben häufig genug nicht. Ganz im Gegenteil: Trump wurde von seiner Partei aufgestellt und von den Bürgern gewählt.

Gibt es ähnliche Tendenzen auch in der deutschen Politik?
Ja, durchaus. Bei uns haben sich politische Partner auch schon gegenseitig als „Gurkentruppe“ und „Wildsäue“ bezeichnet. Ich habe mich schon häufiger gefragt: Leben wir vielleicht bald auch in einer Rambo-First-Republik? Denn, und jetzt sind wir in der Verhaltensbiologie: in so einem rauen Klima kommen nur Typen wie Donald Trump an die Spitze. Das ist evolutionsmäßig gesehen ein negativer Selektionsmechanismus, der sich auch noch selbst verstärkt.

Trump ist mittels Twitter bekannt geworden. Welche tierischen Bedürfnisse befriedigt der Kurznachrichtendienst?
Aufmerksamkeit. Auf diese provozierende Art 140-Zeichen-Botschaften rauszuhauen ist vergleichbar mit dem Schreien und Brusttrommeln eines Menschenaffen. Der Inhalt ist dabei egal, Hauptsache laut und dauernd. Und wer die Aufmerksamkeit der anderen genießt, hat Macht und Einfluss. Alphas – ob Mensch oder Tier – sind bekannt, einzigartig und machen sich so wertvoll. Donald Trump bietet dazu noch seine dreisten Gewinnergesten und das selbstsichere Plusgesicht. In unserem Gehirn gibt es VIP-Plätze für uns bekannte, vertraute Personen. Das bringt gleich mehrere Vorteile mit sich: Wem vertraut wird, der muss nicht lange argumentieren oder detailgenaue Pläne abliefern – er kann gleich loslegen. Das spart viel Zeit, und löst weitere Begehrlichkeiten aus.


„In der Wirtschaft sind Alphas das Kapital“

Was bedeutet das für Unternehmen?
In der Wirtschaft sind Alphas, als Führungskräfte und Projektverantwortliche, das Kapital eines Unternehmens. Sie haben eine natürliche Sogwirkung, wie eine Marke, für die ich bereit bin, mehr zu zahlen. Alphas im Unternehmen wiederum sind gut beraten, dem Kunden, ihren Mitarbeitern und der Gesellschaft einen Nutzen zu liefern, um nachhaltig erfolgreich mitzuspielen und akzeptiert zu werden. Ramboverhalten reicht dafür nicht.

Für eine Verhaltensbiologin wie Sie war die Wahl Trumps also vorauszusehen?
Nein, ich halte aber auch nichts von Prognosen oder Plänen. Wir können die Vergangenheit und die Gegenwart beschreiben, aber nicht die Zukunft. Denken Sie nur an die Wetterprognose. Es gibt wohl keinen anderen Bereich, über den wir in den vergangenen 100 Jahren so viele Daten gesammelt haben. Big Data par excellence. Und? Es klappt nicht. Die Wetterprognose von gestern – bedeckt – stimmt mal wieder nicht. Strahlender Sonnenschein heute hier in Düsseldorf.

In einer Welt, die immer komplexer zu werden scheint, steigt aber der Wunsch nach Planbarkeit.
Das ist verständlich und allzu menschlich. Die Natur plant aber nicht. Es regieren der Zufall sowie Versuch und Irrtum. Nehmen Sie eine Pusteblume. Der Wind bläst die Früchte als Schirmflieger in alle Himmelsrichtungen. Kein Plan, nichts. Aber es funktioniert seit Jahrmillionen. Die Pusteblume pflanzt sich fort. Die Natur setzt verschwenderisch auf Vielfalt, um in einer ungewissen Zukunft agil – angepasst – zu sein. Die Natur spart dabei Kosten für die Planung. Was für eine Großzügigkeit, was für ein Selbstbewusstsein! Wenn wir die nur auch hätten. Zu aufwendige Planung bremst die Agilität eines Unternehmens.

Aber ohne Pläne geht es doch nicht …
Nein, das meine ich nicht. Aber häufig wird geplant, um zu planen … Ich plädiere nicht erst seit dem Wahlsieg von Donald Trump, den die Meinungsforscher übrigens nicht prognostiziert hatten, für eine Abkehr von diesem Planungswahn und Prognoseglauben. Es gibt Konzerne, in denen beschäftigen sich ganze Führungsetagen nur mit dem Aufstellen, Konkretisieren und Überarbeiten von Szenarien. Das ist Ressourcenverschwendung. Von dem komplexen System Natur können wir lernen, wie Unternehmen mit weniger Planung erfolgreicher sein könnten.

Wie sollten wir Ihres Erachtens mit zunehmender Unsicherheit umgehen?
Sie akzeptieren lernen. Im exponentiellen Fortschritt ist nur eines sicher: Die Unsicherheit wird zunehmen. Wenn die Zukunft ungewiss ist, dann ist die Schlüsselfähigkeit, mit Unsicherheit und Ungewissheit umzugehen. Auf jeder Geschäftsebene. Denn um zuversichtlich in eine ungewisse Zukunft zu reisen, braucht es Führungskräfte und Mitarbeiter, die darin eine Chance sehen, um vorwärtszukommen. Genau hier kann man von der Natur lernen. Statt Szenarien zu entwerfen, sollten wir mehr Ideen entwickeln. Um mit der Pusteblume zu sprechen: mehr Schirmchen fliegen lassen.

Inwiefern können wir von der Natur lernen?
Wir brauchen Vielfalt statt Einfalt, und die Nullfehlertoleranz gehört abgeschafft. Die digitale Transformation schafft schließlich größten Bedarf an Vielfalt und Kreativität. Und was tun wir? Wir lassen uns von Algorithmen leiten, die uns in eine Monokultur-Routine-Falle locken.


„Wir sind keine lebenden Fossilien“

Wie das denn?
Nehmen wir das Beispiel Buchkauf. Wir bestellen online bei Amazon. Algorithmen im Hintergrund empfehlen uns aufgrund unserer bisherigen Einkäufe und Aktivitäten im Internet passende Bücher. Eine tolle Sache! Doch genau betrachtet, ist das die Monokultur-Routine-Falle. Wir sehen und bestellen so nur Bücher, die mit unseren Interessen aus der Vergangenheit übereinstimmen. Dafür ist der Algorithmus gut. Warum gehen wir nicht in die örtliche Buchhandlung und schauen uns erst einmal um und entdecken Neues? Wir sind schließlich keine lebenden Fossilien, wie zum Beispiel die Urzeitkrebse, die sich nie ändern mussten und nie geändert haben. Sie sind übrigens eines der wenigen Beispiele für erfolgreiche Einfalt.

Vielfalt wird auch für Führungsetagen gefordert. Frauen und Männer sollen gleichermaßen vertreten sein. Inwiefern hat das Sinn?
Das Zusammenspiel zwischen männlichen und weiblichen Alphatieren erzeugt in der Natur nachhaltigen Erfolg für die gesamte Gruppe. Bei Schimpansen gibt es eine männliche und weibliche Hierarchie. Ein Schimpansen-Alphamännchen, das gerade mit übertriebener Gewinnerpose ein Jungtier überrennen will, wird von einem Blick des Alphaweibchens gebremst und streichelt daraufhin das Jungtier freundlich. Das reguliert egoistisch aggressives Auftreten zugunsten von prosozialem fairem Verhalten.

Ist solches Verhalten auch bei Menschen zu beobachten?
Männer sind mit ihren Hundertmillionen Spermien evolutionär auf die Masse ausgerichtet, auf das Höher, Schneller, Weiter. Frauen verfügen mit ihren nur rund 300 Eizellen, die sie von Geburt an haben, über knappe Ressourcen. Sie sind deshalb mehr auf Bewahrung, Kooperation und das Besondere aus. Die natürlichen Autoritäten beider Gruppen zusammenzubringen ist notwendig, weil wir in Anbetracht zunehmender Komplexität nicht länger auf 50 Prozent unseres Führungspersonals und unserer Lösungsansätze verzichten können. Der Gesamtprofit steigt bei Kooperation. Das Zusammenbringen ist aber auch eine Herausforderung. Eine passende Kultur für Frauen in den Vorstandsetagen der Unternehmen muss sich häufig noch entwickeln. Das ist ein ganz natürlicher Prozess, wenn wir Gewohntes ändern und uns auf Neues einlassen.

Was halten Sie von der Frauenquote? Unnatürlich …?!
Sie ist langfristig natürlich keine Lösung. Kurzfristig ist sie jedoch sinnvoll, weil so die Schieflage korrigiert wird und die Einfalt, die Monokultur, beendet wird.

Beißt sich so eine Vorgabe nicht mit dem Grundsatz des „Survival of the Fittest“?
Ja, dieser Grundsatz wird gerne bemüht, um zu verdeutlichen, dass nur der Stärkste im harten Konkurrenzkampf gewinnt. „Nur die Harten kommen in den Garten“, heißt es auch. Also nur die abgehärteten und widerstandsfähigen Typen überleben im Unternehmen und werden befördert. Das erhöht die Wettbewerbsfähigkeit auf dem freien Markt, so die Mär.


„Je höher der Wettbewerbsdruck, desto mehr Vielfalt brauchen wir“

Und wie sieht die Realität aus?
Von Natur aus ist der Mensch ein Säugetier und ein soziales Wesen. Unternehmen, die sich agil an verändernde Umweltbedingungen anpassen wollen, tun deshalb gut daran, bei der Zusammensetzung ihres Personals ebenso wie bei der Produktentwicklung nicht nur die Ideen der „Stärksten“ zu verfolgen. Je höher der Wettbewerbsdruck ist, desto mehr Vielfalt an Ideen brauchen wir, um auf eine ungewisse Zukunft reagieren zu können. Je mehr Optionen es gibt, desto höher die Chance, einen Volltreffer zu landen. Denken Sie an die Pusteblume …

Das klingt sehr nach Laisser-faire oder gar Chaos. Was bedeutet das für Führung in Unternehmen und in der Politik? Welche Führungskultur, welches Führungspersonal brauchen wir?
Nein, hierarchiefreies Chaos ist damit nicht gemeint. Ein Credo von mir: ohne Alphas kein Wandel! Für eine ungewisse komplexe Zukunft braucht es Alphas, die mit natürlicher Autorität durch unsicheres Terrain führen. Wir brauchen Unternehmen mit einer Spielführerkultur, in der spielerisch Neues ausprobiert wird. Gleichzeitig müssen Alphas diverse Fähigkeiten aus Querdenkern, Frauen und Männern, Jungen und Alten sowie kultureller Vielfalt im Unternehmen wertschätzen und damit die Überlebensfähigkeit in einer ungewissen Zukunft sichern.

In der Tierwelt herrscht das Prinzip „Fressen oder gefressen werden“. In Wirtschaft und Politik ist auch verstärkt die neue Losung „Disrupt or be disrupted“ zu hören, also „Zerstören oder zerstört werden“. Was ist da dran?
Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für eine Verhaltensbiologin. „Fressen oder gefressen werden“ stammt aus der Biologie und ist eine einfache Darstellung der Nahrungskette, wie zum Beispiel eine Löwin eine Gazelle zum Fressen jagt. Eine Gazelle, die zu viel frisst und langsam wird, steht auf dem Speiseplan der „fitten“ Löwin. Aber: Frisst die Löwin zu viel, wird sie zu träge, um Gazellen zu jagen. Die Löwin (fressen) und die Gazelle (gefressen werden) können träge oder agil sein. Das ist in der Evolution keine Frage von Entweder-oder, sondern ein ewiges Spiel, „fit“ zu bleiben à la „Survival of the Fittest“!

Und was bedeutet das für Unternehmen?
Bewährtes und Gutes sollte auf die Reise in eine ungewisse Zukunft mitgenommen werden. Stehen Sie also zum Beispiel in Sachen digitale Transformation an einem Punkt, wo ein Unternehmensbereich oder ein bisher bewährtes Modell nicht mehr aussichtsreich scheint, dann bitte nicht gleich alles umwerfen. Agil zu bleiben heißt, beweglich anpassungsfähig zu sein – nicht sprunghaft alles wegzuwerfen! Bewahren Sie Bewährtes, denn damit sind Sie in diesem Bereich gerade die „fitte“ Gazelle oder Löwin. Und halten Sie parallel agil Ausschau nach neuen Futterplätzen. Das stärkt Ihre Reisefähigkeit auf ungewissen Pfaden.

Frau Niedner, vielen Dank für das Gespräch.

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