Vier Blickwinkel auf den Krieg „Die Vermutung liegt nahe, dass Putin durch die Hand seiner engsten Vertrauten stirbt“

Wie kann der Krieg in Europa beendet werden? Quelle: AP

Wie geht es weiter im Ukraine-Krieg, wie sollte sich der Westen positionieren – und was sind die langfristigen Folgen des russischen Überfalls auf sein Nachbarland? In Gastbeiträgen für die WirtschaftsWoche präsentieren drei internationale Wissenschaftler und eine in Russland geborene Autorin ihre persönliche Sicht auf den Krieg.

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1. ANDERS ÅSLUND: „Putin wird nicht an der Macht bleiben“ 

Anders Åslund ist Senior Fellow am Stockholm Free World Forum und Verfasser von Russia’s Crony Capitalism: The Path from Market Economy to Kleptocracy (Yale University Press, 2019).

Putins grundloser Angriffskrieg gegen die Ukraine dürfte wohl als einer der törichtesten Kriege aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Die Ukraine wird den Krieg wahrscheinlich gewinnen und die russischen Truppen aus allen ukrainischen Gebieten, einschließlich der Krim, hinauswerfen. Dieser Meinung sind nicht weniger als 93 Prozent der Ukrainer. Wie rasch sich der Sieg einstellt, hängt von den Waffenlieferungen des Westens ab, der geschlossen hinter der Ukraine steht, die nun sowohl Mitglied der Nato als auch der Europäischen Union werden könnte.

Der Westen wird für die Ukraine wahrscheinlich einen mit einer halben Billion Dollar dotierten „Marshallplan“ aufstellen, wobei die Mittel hauptsächlich aus beschlagnahmten russischen Zentralbankreserven und Oligarchenvermögen stammen dürften. Die Ukraine kann dann endlich den Übergang vollziehen, wie ihn zum Beispiel Polen 1989 geschafft hat.

Das russische Militär ist verheerend geschlagen, wodurch Russlands Geltung als militärische Großmacht beendet ist. Die westlichen Sanktionen und Putins Kleptokratie ruinieren zugleich die russische Wirtschaft. Putin hat die Wirtschaft auf den erbärmlichen Zustand des Jahres 1991 zurückgeworfen, als die Sowjetunion zusammenbrach. Da Putin den Menschen in Russland dieses Chaos beschert hat, wird er wohl nicht an der Macht bleiben.

Die Vermutung liegt nahe, dass Putin durch die Hand seiner engsten Vertrauten stirbt. Dieses Szenario scheint er auch selbst zu befürchten, wie man an seiner extremen Isolation und den starken Sicherheitsmaßnahmen sieht. Einige Russen ziehen bereits Parallelen zum gescheiterten Zaren Paul I., der 1801 von einer Gruppe russischer Offiziere erdrosselt wurde. Sollte Putin ein ähnliches Schicksal ereilen, würde die Macht wohl auf den nationalen Sicherheitsrat übergehen, der aber kaum in der Lage wäre, sich zu behaupten. Wie 1991 würde die Macht wahrscheinlich wieder auf den Straßen landen.

Die Alternative wäre, dass Putin sein zunehmend stalinistisches Regime konsolidiert und Russland ebenso isoliert dasteht wie Nordkorea.

2. ANASTASIA EDEL: „Ein Sieg der Ukraine wird Russland noch tiefer in antiwestliche Hysterie und Faschismus treiben“

Anastasia Edel ist eine in Russland geborene Autorin. 2016 erschien ihr Buch „Putin's Playground: Empire, Revolution, and the New Tsar“.

Die Welt muss verstehen, dass es sich bei dem Krieg, den die Ukraine derzeit gegen Russland führt, nicht um den „Krieg zur Beendigung aller Kriege“ handelt. Selbst im optimistischsten Szenario, die Ukraine erobert alle besetzten Gebiete zurück, einschließlich Krim, bedeutet ein Sieg im Wesentlichen, Russland wieder in seine internationalen Grenzen zurückzudrängen. Es wird keine Kapitulation nach deutschem Muster und auch keinen Marshallplan geben, denn Russlands Atomwaffenarsenal würde einen „Krieg bis zum siegreichen Ende“ auf seinem Territorium verhindern.

Isoliert und gedemütigt durch die Niederlage, die die Propagandamaschinerie des Kremls den Einheimischen als Sieg verkaufen wird, wird Putins Regime Russland noch tiefer in antiwestliche Hysterie und Faschismus treiben. Die Sanktionen des Westens werden Russlands Bestrebungen um den Wiederaufbau seines Militärs erschweren, aber nur bis zu einem gewissen Grad, denn das Land verfügt über genügend menschliche und natürliche Ressourcen, um damit seine Raubtiermentalität und den Ehrgeiz seiner Machthaber zu stillen. Solange Russland ein imperialistisches Staatsgebilde bleibt, wird es eine Bedrohung für seine Nachbarn und die ganze Welt darstellen.

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Und die Ukraine wird Russlands immerwährendes Ziel bleiben. Ohne Kiew kann Russland nicht behaupten, eine tausend Jahre alte Kultur mit direkten historischen Verbindungen zu Byzanz, dem „dritten Rom“ und dem „spirituellen“ orthodoxen Reich zu sein, die als Antithese zum korrupten und materialistischen Westen präsentiert wird. Die Ukraine ist ebenso Teil der langfristigen geopolitischen Strategie Russlands wie die Bemühungen um eine „Wiedervereinigung“ von Ukrainern und Russen.

Das Engagement des Westens in der Ukraine hingegen wird von den Wahlzyklen in den wichtigsten Ländern beeinflusst werden. Was passiert hinsichtlich Amerikas Einsatz in der Ukraine nach den Zwischenwahlen im November 2022, wenn die Republikaner womöglich die Kontrolle über den Kongress übernehmen? Oder nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024, sollte es der offen Putin-freundliche Donald Trump wieder ins Amt schaffen? Einstweilen kämpft die Ukraine in einem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen Konflikt für den westlichen Traum von Demokratie. Der Westen wird diesen Krieg nicht gewinnen, wenn er keinen Weg findet, seine Unterstützung für die Demokratie im In- und Ausland auf Dauer sicherzustellen.

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