Vom Land zum Bund Merkels Schicksalswahl

In NRW  treten mit Kraft, Röttgen und Lindner drei Polit-Alphatiere gegeneinander an. Der Wahlausgang entscheidet nicht nur über ihr politisches Schicksal, sondern auch darüber, wer künftig im Bund das Sagen hat.

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Angela Merkel (CDU). Quelle: dpa

Berlin Wenn in Nordrhein-Westfalen gewählt wird, dann ist das auch eine kleine Bundestagswahl, die dann stattfindet. Denn von NRW kann ein politisches Beben ausgehen, wie das in der Vergangenheit schon häufiger der Fall war.

So nahm beispielsweise der einstige Kanzler Gerhard Schröder 2005 das historische Debakel für die SPD in Nordrhein-Westfalen zum Anlass, die Bürger bei einer vorgezogenen Wahl auch über die Bundesregierung entscheiden zu lassen. „Mit dem bitteren Wahlergebnis für meine Partei in Nordrhein Westfalen ist die politische Grundlage für die Fortsetzung unserer Arbeit in Frage gestellt“, hatte Schröder damals seine Entscheidung begründet.

Für die SPD war es damals die elfte Wahlniederlage in Folge. Mit dem Regierungswechsel in Düsseldorf gelang es der Union ihre Dominanz im Bundesrat auf 43 von 69 Stimmen auszubauen. Heute ist die Lage eine andere: die schwarz-gelbe Bundesregierung hat nur noch 25 der 69 Stimmen. Die Parteien der Opposition kommen auf 26 Stimmen, der sogenannte neutrale Block auf 19.

Damit ist die Lage für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht so verheerend wie einst bei Schröder. Dennoch steht für sie nach Einschätzung des Bonner Parteienforschers Gerd Langguth genauso viel auf dem Spiel wie für alle anderen Parteien.

Welche Auswirkungen für den Bund möglich sind, zeigt folgender Überblick.

Kanzlerinnen-Dämmerung

Fährt Hannelore Kraft bei der NRW-Wahl einen hohen Sieg ein, dürfte das die Kanzlerin nicht kalt lassen. Es spricht vieles dafür, dass Angela Merkel unter Druck geraten könnte, sollte sie nicht mit einer sichtbaren Änderung ihrer Regierungspolitik reagieren. Tatsache ist, dass im Falle eines rot-grünen Wahlsiegs in Düsseldorf die Handlungsfähigkeit der schwarz-gelben Bundesregierung durch das leichte Übergewicht der Opposition im Bundesrat einerseits sowie durch koalitionsinterne Zweifel an der Richtigkeit der Merkelschen Politik andererseits eingeschränkt sein dürfte.

De facto zeigten sich deutliche Auflösungserscheinungen der schwarz-gelben Koalition bereits in der Kandidatenfrage des Bundespräsidenten. Beim Griechenlandpaket hat Merkel zudem keine Kanzlermehrheit mehr zustande bekommen. Es ist demnach offensichtlich, dass die Gemeinsamkeiten dieser Koalition eher abnehmen als zunehmen.  Merkel könnte diesem Zustand mit Neuwahlen auf Bundesebene begegnen. Sie würde dann dieselben Konsequenzen ziehen wie Gerhard Schröder im Jahr 2005. Und sie hätte angesichts guter Sympathiewerte sogar die Chance, wiedergewählt zu werden und damit auch die Gelegenheit, den liberalen Koalitionspartner abzuschütteln. Eine große Koalition wäre dann wohl die wahrscheinlichste Variante.

Es ginge aber auch anders. Merkel könnte über eine Kabinettsumbildung zum Befreiungsschlag ansetzen. Eine veränderte Personalpolitik gäbe ihr möglicherweise Kraft für die anstehenden Wahlkampfauseinandersetzungen mit der Opposition. Für eine Neusortierung ihrer Ministermannschaft müsste sie sich jedoch von einigen Ressortchefs trennen. Zwei Veränderungen deuten sich jetzt schon an: Umweltminister Norbert Röttgen, CDU-Wahlkämpfer in Nordrhein-Westfalen, könnte durch die frühere Stuttgarter Umweltministerin Tanja Gönner ersetzt werden. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stellt seinen Posten zur Verfügung, sobald er Chef der Euro-Gruppe wird.

Verliert Röttgen die Wahl in NRW, hat das für Merkel auch einen positiven Nebeneffekt. „Wird er schlechter als erwartet abschneiden, wird sein strahlender Stern deutlich weniger leuchten und seine Chance, Angela Merkels Nachfolger zu werden, einen erheblichen Dämpfer erleiden“, ist sich Parteienforscher Langguth sicher. Die Frage werde dann vor allem sein, inwieweit seine Weigerung, Oppositionsführer in Düsseldorf zu werden, zu Konsequenzen innerhalb der Landespartei führt. „Der Unmut an der Parteibasis ist riesig“, so Langguth.


Politisches Erdbeben bei der FDP

Dass die NRW-Wahl bei der FDP zu grundlegenden (personellen) Veränderungen führen wird, davon kann man jetzt schon ausgehen. Darauf deuten auch die Wortmeldungen einiger Spitzen-Liberaler hin, die wie Parteichef Philipp Rösler und NRW-Spitzenkandidat Christian Lindner, den Urnengang an Rhein und Ruhr zur Schicksalswahl für die malade FDP erklärt haben.

Parteienforscher Langguth gibt der NRW-FDP mit Frontmann Lindner gute Chancen, in den Düsseldorfer Landtag einzuziehen. Er sagt aber auch: „Sollte er auch verlieren, wird das zweifelsohne Auswirkungen auf die Stellung Philipp Röslers haben, der dann nicht zu halten sein wird.“ Gleichwohl ist Langguth überzeugt, dass das ungeschickte Auftreten von CDU-Konkurrent Norbert Röttgen insbesondere in der CDU-Wählerklientel dazu führen werde, dass Lindner gewählt wird, weil man anerkenne, dass er mit Haut und Haaren sich der Landespolitik verschreibt.

Lindner versucht auch damit zu punkten, indem er den Urnengang am 13. Mai zur Existenzfrage für seine Partei erklärt. „Es geht um die Frage: Wird es in Deutschland weiter eine Liberale Partei geben?“, sagt er. Die Rechnung könnte aufgehen, sagt Langguth. „Es kann sein, dass auch solche Wähler, die von der Bundes-FDP enttäuscht sind, die Landes-FDP deshalb wählen, weil sie das Verschwinden der einzig marktwirtschaftlich orientierten Partei bedauerten“, erklärte der Politikwissenschaftler.


SPD droht neue K-Debatte

Eigentlich geht es den Sozialdemokraten ganz gut.  Mit der Regierungsbeteiligung im Saarland sitzt die SPD künftig in 11 von 16 Landesregierungen. Und auch Parteichef Sigmar Gabriel kann zufrieden sein. In allen neun Wahlen seit seinem Amtsantritt vor gut zwei Jahren konnten Erfolge verbucht werden - entweder verteidigte die SPD die eigenen Bastionen, schaffte Machtwechsel in Hamburg und NRW oder sicherte sich zumindest die Regierungsbeteiligung. Mit dem Erfolg bei der Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt vom Sonntag steht außerdem in acht der zehn größten deutschen Städte künftig ein Sozialdemokrat an der Spitze.

Trotzdem will sich die erwünschte Wechselstimmung im Bund bislang nicht einstellen, was in der SPD zunehmend für Unruhe sorgt. Hinter den Kulissen wird daher schon nachgedacht, ob die Kanzlerkandidatur nicht doch schon nach der NRW-Wahl geklärt werden sollte. Der Urnengang in Nordrhein-Westfalen könnte tatsächlich Bewegung in die K-Debatte bringen, meint auch Parteienforscher Langguth. „Vermutlich wird die SPD einen schönen Sieg einfahren, doch wird das niemand auf die Gabriel-SPD zurückführen“, sagt er und fügt hinzu: „Es kann aber den Zwang verstärken, dass die SPD in der Frage des Kanzlerkandidaten schneller entscheiden muss als bislang geplant.“

In diese Richtung lässt sich auch die Aussage der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) deuten, die jüngst erklärt hatte, sie erwarte vom Ausgang der Landtagswahl im Mai auch ein Signal für den erhofften Machtwechsel im Bund 2013. Ein Signal könnte sein, dass die SPD schon bald ihren Herausforderer für Merkel kürt. Kraft betont zwar immer, dass sich durch die NRW-Wahl nichts am Fahrplan für die Aufstellung des SPD-Kanzlerkandidaten ändern wird. Doch das könnte sich schnell ändern, sollte Merkel bei einer Fortsetzung von Rot-Grün in Düsseldorf eine vorgezogene Bundestags-Neuwahl anstreben.

Dann müsste auch die SPD Farbe bekennen. Kraft machte schon mal deutlich, dass sie als Partei-Vize in der K-Frage ein Wort mitreden wolle. Sie selbst strebt nach eigenen Worten keiner Kanzlerkandidatur an. Dann wird es in jedem Fall einer der SPD-Troika werden – entweder Gabriel, Frank-Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück.


Grüne als Gewinner und Verlierer zugleich

Für die Grünen könnte die NRW-Wahl dann kein Spaß werden,  wenn die Piratenpartei den Sprung in den Landtag schaffen sollte. Denn das würde unter Umständen eine klare Mehrheitsbildung von SPD und Grünen erschweren. Ähnliches hatte sich auch bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin abgespielt mit dem Ergebnis, dass dort nun eine große Koalition regiert. Dass es dazu auch in Düsseldorf  kommt, glaubt allerdings kaum jemand. Die Wahrscheinlichkeit, dass Rot-Grün weiterregieren kann ist groß.

Für die Bundesgrünen hat der Wahlausgang aber keine große Bedeutung. Denn im Bund sind sie eher zum Abwarten verdammt, was künftige Machtoptionen angeht. Einen entscheidenden Einfluss haben sie nicht. Zudem sieht es laut jüngsten Umfragen ohnehin so aus, als ob die Merkel-CDU 2013 als dann stärkste Partei wieder die Regierung bilden kann. Angesichts der gewaltigen politischen Herausforderungen (Euro-Krise, Energiewende) wird die Kanzlerin den Weg der sicheren Regierungsmehrheit einschlagen und erneut ein Bündnis mit der SPD anstreben.

Der Wiedereinzug der FDP in den Bundestag ist derzeit unsicher. Und die Grünen dürften nicht so stark werden wie vielleicht von ihnen erhofft, um für Merkel eine weitere Koalitionsoption darzustellen. Ihre Chancen auf eine Regierungsbeteiligung könnten zudem vollends zunichte gemacht werden, wenn die Piraten ins Parlament einziehen sollten. Außerdem haben die Grünen ihre Führungsfrage noch nicht geklärt. Eine Urwahl soll nun Gewissheit bringen, welche Spitzenkandidaten die Partei im Bundestagswahlkampf anführen werden.


Piraten auf Siegeszug und in der Erfolgsfalle

Die Abgeordnetenhauswahl in Berlin war ein großer Überraschungserfolg. Doch die Euphorie verpuffte nicht. Im Gegenteil: Die Polit-Freibeuter setzten ihren Siegeszug im Saarland fort und haben auch gute Chancen in Schleswig-Holstein am 6. und in Nordrhein-Westfalen am 13. Mai in weitere Landesparlamente einzuziehen.

Die Wahlerfolge in den Ländern setzen die Bundespartei unter Druck, für ein ähnliches Erfolgserlebnis bei der Bundestagswahl zu sorgen.  Bundesweit liegt die Partei derzeit bei zwölf Prozent. Die Piraten wollen daher auf mehr politischen Gebieten konkrete Konzepte entwickeln. „Wir müssen jetzt noch stärker als vorher darauf achten, dass wir grundsätzliche Positionen auch zu neuen Themen verabschieden“, sagt Parteichef Sebastian Nerz. Der bundesweite Langzeittrend konstant über fünf Prozent seit der Wahl in Berlin zeige, dass die Arbeitsweise der Piratenpartei und ihr Verständnis von offener Politik bei den Menschen ankämen, fügte er hinzu.

Die Bundesgeschäftsführerin der Partei, Marina Weisband, sieht in dem raschen Erfolg der Piraten jedoch auch Gefahren und befürchtet, das Tempo des Wachstums könne die Partei überfordern. „Wir haben das Geld einer 0,2-Prozent-Partei, Programm und Struktur einer 2-Prozent-Partei - aber an uns werden die Erwartungen einer 12-Prozent-Partei gestellt“, sagt Weisband. „Anscheinend treffen wir einen Nerv und werden gebraucht“, fügt sie hinzu. Deshalb sei es nun wichtig, sich schnell weiter zu entwickeln.


Lafontaines politische Zukunft steht auf dem Spiel

Während die Linkspartei 2010 noch mit 5,6 Prozent in den Landtag einzog, liegt sie nach jüngsten Umfragen nur noch bei drei Prozent. Das verheißt nichts Gutes für die Partei – auch im Bund. „Sollte die Linke nicht in das Parlament des größten Bundeslandes einziehen, wäre die Partei von Lafontaine, Gysi und Lötzsch im Westen Deutschlands irreversibel beschädigt“, ist Parteienforscher Langguth überzeugt.

Entscheidend für Lafontaines Parteikarriere werde die Wahl in Nordrhein-Westfalen sein, heiß es auch an mehreren Stellen der Linkspartei. Während an der Saar nach parteiübergreifender Einschätzung eigene Gesetzmäßigkeiten gelten, wird die NRW-Wahl als „kleine Bundestagswahl“ gewertet.  

Hier muss Lafontaine aus Sicht vieler Parteimitglieder sein Meisterstück abliefern. Zwar steht er dort nicht zur Wahl, aber er engagiert sich in dem Wahlkampf des fundamentalistisch ausgerichteten Landesverbandes. Er muss beweisen, dass er auch hier noch ein Zugpferd ist. Die Aufgabe ist ziemlich schwierig.

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