Wirtschaft von oben #29 – Alang Hier verendet die Welthandelsflotte

Der Strand von Alang ist der größte Schiffsfriedhof der Welt. Arbeiter bauen hier unter Einsatz ihres Lebens Frachter und Tanker auseinander. Exklusive Satellitenbilder zeigen den Ort, an dem im kommenden Jahr noch mehr Schiffe landen dürften. Der Grund: strengere Umweltvorschriften für die Schifffahrt. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Alang Abwrackwerft

Die Vorzüge von Alang sind selbst aus dem All erkennbar: Der flache Strand zieht sich über Kilometer an der Küste entlang. An anderen Orten lockt das Touristen an. Doch statt Urlaubern liegen hier Schiffe im Sand.

Arbeiter zerschneiden die alten Kähne in Blöcke, zerlegen sie so Stück für Stück. Vom flachen Strand aus sind die Schiffe einfach zugänglich. Große und kleine, alte und neue, egal ob Containerschiff oder Tanker: Sie alle finden hier in Alang ihr Ende.

Die Stadt in Indien gilt als der größte Schiffsfriedhof der Welt. 248 Schiffe haben die Arbeiter in Alang im 2018 abgewrackt, berichtet die Organisation Shipbreaking Plattform. Das Geschäft ist dreckig und gefährlich. Chemikalien gelangen ungefiltert in den Sand oder ins Meer. Arbeiter stürzen von den hohen Schiffsruinen, sterben bei Explosionen oder weil Metallteile sie treffen.

Die Reeder interessierte das bisher wenig. Sie bringen ihre Schiffe trotzdem nach Alang – getrieben vom Kostendruck in der schon langen kriselnden Branche, angezogen von den hohen Stahlpreisen, den die Händler hier zahlen.


Nächstes Jahr könnte die Zahl der auseinandergebauten Schiffe sogar noch steigen: Ab Januar 2020 gelten in der Schifffahrt strengere Umweltvorschriften. Reeder müssen ihre Schwefel-Emissionen senken. Dazu müssen sie ihre Schiffe umrüsten – oder den wesentlich teureren schwefelarmen Treibstoff tanken. „Wenn der Brennstoff teurer wird, muss sich jeder Eigner gut überlegen, ob er seine Schiffe noch rentabel betreiben kann“, sagt Christian Denso vom Verband deutscher Reeder (VDR). „Es ist wahrscheinlich, dass ab kommenden Jahr mehr Schiffe recycelt werden.“

Schon seit der Finanzkrise im Jahr 2008 kämpft die Branche damit, dass es einfach zu viele Schiffe auf den Weltmeeren gibt. Vor der Krise bestellten die Reeder Schiffe wie verrückt, Landesbanken und Anleger verdienten gut mit. Insbesondere in Deutschland beteiligten sich viele Privatleute an den Schiffsneubauten. Doch dann brach der Welthandel ein. Auf einmal brauchte niemand mehr die schon bestellten Schiffe. Weltweit schlossen sich Reeder zusammen, andere gingen insolvent. Seit dem sind die Arbeiter in Alang oder Chittagong in Bangladesch gut beschäftigt.

Auch mindestens drei deutsche Schiffe landeten 2018 in Alang. 12 weitere Schiffe und Tanker verkauften deutsche Unternehmen an ähnliche Schiffsfriedhöfe in Bangladesch, Pakistan oder China, geht aus Listen der Organisation Shipbreaking Plattform hervor.

Die Schiffsholding Conti aus München verkaufte ein Containerschiff nach Alang. Die Wettbewerber Dauelsberg aus Bremen und Bunnemann gaben ihre Containerschiffe in die Hände von Recyclern in Bangladesch. Und die Reederei Peters etwa verkaufte gleich sieben Tanker nach Indien, Bangladesch und Pakistan.

Die Schiffe abwracken zu lassen, bringt den Reedern bares Geld. Etwa 370 Dollar die Tonne Stahl zahlten die Recycler in Indien gegen Ende des Jahres, berichten die Schifffahrtsanalysten von Allied Shipbroking. Je nach Größe des Schiffes können Reeder damit noch eine Millionen Dollar verdienen.


Gespart wird in Alang dafür an Arbeitsbedingungen und Umweltschutz. Immer wieder verunglücken Arbeiter tödlich. Im September dieses Jahres starb ein Arbeiter bei einer Explosion, ein anderer wurde schwer verletzt, berichtet Shipbreaking Plattform. Und erst im Juli verlor ein Arbeiter sein Leben, weil ihn eine herunterstürzende Metallplatte traf.

In den Vorjahren vermeldeten die Schiffsrecycler noch weit mehr Todesfälle. „Indien tut viel, um die Bedingungen in Alang zu verbessern“, sagt Denso vom VDR. Über die Hälfte der Recyclingunternehmen am Strand von Alang habe sich bereits zertifizieren lassen, dass sie nach den Standards der Hongkonger Konvention arbeiten. In der Konvention hatte die Weltschifffahrtsorganisation IMO schon im Jahr 2009 festgelegt, dass es mehr Umweltschutz und Arbeitssicherheit beim Recyceln von Schiffen geben soll.

Doch die Konvention tritt erst in Kraft, wenn genügend Staaten sie unterzeichnet haben. Mindestens 40 Prozent der weltweiten Frachtkapazität und drei Prozent der Recyclingkapazität sollen diese Staaten vertreten. Bisher sind diese Grenzwerte nicht erreicht. Deutschland trat der Konvention erst in diesem Jahr bei. Kurz darauf folgte Indien. Trotzdem fehlen noch weitere große Staaten. „Wann die Hongkonger Konvention tatsächlich in Kraft tritt, kann leider niemand sagen“, so Denso vom VDR.

Die Inder erhoffen sich von ihren Lizenzierungen trotzdem ein steigendes Geschäft. Die indische Regierung prognostizierte sogar eine Verdopplung der Marktanteile für die Branche, in der 40.000 Menschen arbeiten sollen. Denn in vielen Staaten gelten mittlerweile eigene Vorschriften zum Schiffsrecycling, auch in der EU. Die Unternehmen in Alang bewerben sich deshalb um eine Aufnahme in die Liste über von der EU zugelassenen Abwrackwerften. Wie Shipbreaking Plattform berichtet, gilt das auch für die beiden Unternehmen, die erst vor Monaten tödliche Unfälle vermelden mussten.

Der Kostendruck in der Schifffahrt allerdings könnte verhindern, dass der Wandel gelingt. Umweltschutz und Arbeitssicherheit kosten Geld. In der Türkei etwa, wo die EU bereits Werften lizenziert hat, können die Reeder aktuell mit nur knapp 250 Dollar die Tonne Stahl rechnen – mehr als 100 Dollar die Tonne weniger als in Indien oder Bangladesch.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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