Wirtschaft von oben #47 – Corona und die Ölkrise Die Konferenz der Öltanker

Die Corona-Pandemie hat für einen dramatischen Einbruch der weltweiten Ölnachfrage gesorgt. Die Förderkürzungen der Opec+ reichen bei weitem nicht aus, um die Ölschwemme einzudämmen. Weil an Land die Lagerkapazitäten für überschüssiges Rohöl immer knapper werden, werden Tanker in schwimmende Öllager umfunktioniert. Exklusive Satellitenbilder zeigen die Auswirkungen auf den Weltmeeren und in den Häfen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Straße von Singapur

Die Welt schwimmt im Rohöl. Die Lager von Vopak aus Rotterdam, weltweit führendes konzernunabhängiges Tanklagerunternehmen, sind randvoll. Ausverkauft seien alle verfügbaren Kapazitäten, sagt Finanzchef Gerard Paulides. Vopak betreibt ein globales Netzwerk aus 68 Terminals mit einer Gesamtlagerkapazität von 35,5 Millionen Kubikmetern entlang wichtiger Handelsrouten.

Aber nicht nur in Rotterdam, sondern weltweit füllen sich die Lagerkapazitäten rasend schnell. Orbital Insight aus Palo Alto in Kalifornien berechnet anhand von optischen und Radarsatellitenbeobachtungen die Rohölmenge in schwimmenden Onshore-Dachtanks. Demnach seien dort mehr als 3,2 Milliarden Barrel Öl gelagert, gegenüber 2,95 Milliarden Barrel im Januar. Die Messungen decken etwa 70 Prozent der weltweiten Onshore-Speicherkapazitäten ab.

Diese Dynamik zeigt sich auch in exklusiven Satellitenaufnahmen von LiveEO von einem Areal im Hafen von Rotterdam. Rohöl oder Ottokraftstoffe lagern die Unternehmen aus Effizienzgründen häufig in Silos mit schwimmenden Deckeln. Der Schattenwurf in ihrem Inneren verrät auf den Satellitenbildern den jeweiligen Pegelstand. Ist das Silo voll, schwimmt der Deckel oben und der Rand wirft demnach auch keinen Schatten. Auf dem Satellitenbild lassen nur 15 der Silos mit Schwimmdach tief blicken, werfen somit einen Schatten und gelten als leer. 38 Rohöltanks sind hingegen voll, das gesamte Areal damit mit über 60 Prozent stark ausgelastet.

Ein Jahr zuvor sah die Situation noch ganz anders aus. Auf dem rund zwei Quadratkilometer großen Gelände standen nur 14 eher volle und 24 leer beziehungsweise gering befüllte Öltanks. Das entspricht einer Auslastung von nur 36 Prozent.

In Rotterdam stauen sich zudem Öltanker im Hafen als auch vor der Hafeneinfahrt. Laut Richard Matthews, Chef-Analyst beim Londoner Schiffsbroker Gibson, gibt es derzeit im Hafen Probleme, auflaufende Tanker zu löschen, das Öl also zu entladen, auch aufgrund mangelnder Lagerkapazitäten. Daher der Stau. Matthews glaubt, dass dieser in den kommenden Wochen noch zunehmen wird, da weitere Ladungen aus Indien und dem Nahen Osten auf dem Weg seien.

Der Hafen Rotterdams

Aber nicht nur in Rotterdam stauen sich die Öltanker. Dutzende treiben in der Nordsee und im Ärmelkanal, vor Amsterdam und Ostende stehen sie in Wartefeldern vor der Küste. Selbst im Mittelmeer vor kleineren Häfen wie Marseille sind Warteschlagen zu sehen.

In den USA könnten die Lagerkapazitäten für Öl schon im Mai zu 95 Prozent ausgeschöpft sein, sagt Energieanalyst Henik Fung vom Börsendienst Bloomberg. Das wären 735 Millionen Barrel – gegenüber dem Stand vom 10. April ein Anstieg um 46 Prozent. In Cushing in Oklahoma, dem wichtigsten Umschlagplatz für die US-Ölsorte West Texas Intermediate (WTI), sind die Lagerbestände seit Ende Februar um 48 Prozent auf 55 Millionen Barrel gestiegen. Die Gesamtkapazität dort liegt bei 76 Millionen Barrel.

„This is a great time to buy oil“, sagt Donald Trump. Der US-Präsident muss gerade zusehen, wie eine der wichtigsten Industriezweige der US-Wirtschaft den Bach runtergeht. Ohne Stützen aus Washington und Anleihekäufe der US-Notenbank Fed droht die gesamte US-Schieferölindustrie auf einen Schlag bankrott zu gehen. Die Förderer haben zusammen fast 1000 Milliarden Dollar Schulden angehäuft.

Trump will sich vom Kongress die Erlaubnis einholen, Öl anzukaufen und damit die strategischen Ölreserven der USA aufzustocken. Privaten Unternehmen will er zudem staatliche Lagerkapazitäten zur Verfügung stellen.

Weil die Lagerkapazitäten an Land bald ausgeschöpft sind, werden immer mehr Öltanker als schwimmende Öllager angemietet. Aktuell lagern auf See bereits über 200 Millionen Barrel, berichtet der weltweit führende Schiffsbroker Clarksons Plateau aus London. Gut zehn Prozent der weltweit 750 aktiven Supertanker werden als schwimmende Öllager genutzt. Ein Supertanker der Kategorie VLCC (Very Large Crude Carrier) hat ein Fassungsvermögen von zwei Millionen Barrel.

Häufig liegen diese dann nahe den Regionen, wo das Öl auch verbraucht wird, etwa in der Gegend rund um Singapur, wie der Gibson-Chefanalyst Matthews erläutert. „Wir haben zuletzt aber auch einen kleinen Anstieg in der Nordsee zum Beispiel an der Küste von Großbritannien oder Schottland beobachtet“, fügt er hinzu. Im Golf von Mexiko passiere derzeit noch nicht viel, dies dürfte sich aber in nächster Zeit ändern.

Hafen von Houston

Die Hafencity Singapur streckt sich über ein Gebiet auf einer Breite von rund 30 Kilometern mit einzelnen Teilabschnitten für die unterschiedlichen Frachtbereiche. Die vielen strukturell ausgebauten Nebeninseln dienen als Umschlag- und Verladeplätze. Eigentlich hat hier jeder Frachttyp ob Container, Massengüter oder Passagierschiff seinen eigenen Abschnitt. Aktuelle Satellitenbilder zeigen, dass über das ganze Gebiet Tanker mit petrochemischen Produkten in großen Gruppierungen liegen und warten. Welcher Tanker hier bereits als Öllager genutzt wird, ist aus dem All allerdings nicht zu erkennen.

Straße von Singapur

Statt das Rohöl auf den Markt zu werfen, macht es für Ölhändler, Hedgefonds, und Investmentbanken derzeit mehr Sinn, Rohöl physisch zu bunkern und zu einem höheren Preis in der Zukunft zu verkaufen. Das rechnet sich, so lange die Spanne zwischen aktuellem Preis und Terminpreis die Kosten für die Lagerung übersteigen. Aktuelles Beispiel: Ein Fass der Ölsorte WTI an der Nymex in New York zur Lieferung im Juni 2020 notiert aktuell bei 15,17 Dollar, der Kontrakt für Juni 2021 aber gut 100 Prozent höher, bei 32,68 Dollar. Notieren die länger laufenden Kontrakte über denen der früher fälligen, erhält man über einer Zeitachse eine steigende Terminmarktkurve, auch Contango genannt.

Hafeninsel Jurong

Für die Kalkulation sind aber auch die Kosten für die Lagerung zu beachten. Einen Tag vor dem gescheiterten Treffen der Opec+ Anfang März, als Russland und Saudi-Arabien begonnen haben, die Welt mit Öl zu fluten, lag die Tagesrate für einen modernen Supertanker der VLCC-Klasse bei 30.000 Dollar. Im Anschluss zogen die Tagesraten bis auf 300.000 Dollar, zeitweise sogar auf 400.000 Dollar an, und erreichten den höchsten Stand seit 15 Jahren. Aktuell haben sich die Raten bei 165.000 Dollar eingependelt. Ein Wert, der immer noch weit über dem langjährigen Durchschnitt liegt.

Die Pleite des Rohstoffhändlers Hin Leong Trading aus Singapur und dessen Tankergesellschaft Ocean Tankers engt das Angebot an Tankern zusätzlich ein und hält die Tagesraten oben. Ocean Tankers ist mit einer Flotte von 82 Schiffen, darunter 14 der VLCC-Klasse weltweit die Nummer 17 im Tankergeschäft. Zu den weltweit größten Eignern von Tankern der VLCC-Klasse gehören China Cosco, DHT, Euronav, Frontline, Mitsui OSK, NYK and Teekay. Die börsennotierten Tankergesellschaften sind auch für Anleger interessant.

Die enge des VLCC-Marktes wird zwangsläufig auch zu höheren Raten für Tanker der Suezmax- und Aframax-Klasse führen, weil wegen der geringen Verfügbarkeit von VLCC auf diese kleineren Schiffe ausgewichen wird. Tanker der Suezmax-Klasse haben ein Fassungsvermögen von 800.000 bis eine Million Barrel, Aframax-Tanker können 500.000 bis 800.000 Barrel laden.

Für die mittel- bis langfristigen Nachfrage nach Tankern ist entscheidend, ob die OPEC+ den Ölmarkt vor dem Hintergrund des weltweiten Lockdown wieder in den Griff bekommen kann und sich damit der Contango stark reduziert. Der Nachfrageausfall aber ist immens. Die OPEC+ dürfte mit Blick auf die Dimensionen der notwendigen Produktionskürzungen politisch überfordert sein.

Und geht man davon aus, dass das Coronavirus auf der nördlichen Halbkugel im Winterhalbjahr ein Comeback feiert, dürfte es bei dem Nachfrageausfall wohl auch langfristig bleiben und die Opec+ dauerhaft unter Druck stehen.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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