Wirtschaft von oben #48 – Borkenkäfer Wo der Borkenkäfer ganze Wälder vernichtet

Der trockene und warme Frühling bietet Borkenkäfern perfekte Lebensbedingungen. So droht nun flächendeckend, was mancherorts bereits zu besichtigen ist: die Rodung aus purer Not, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Waldstück in Lüdenscheid

Sind die Bäume erstmal weggeräumt, lässt sich schwer sagen, warum sie verschwinden mussten. Ob ein Forst gerodet wurde, um aus den Bäumen Brennholz zu machen, Möbel oder Fußböden, sieht man den kahlen Flächen ebenso wenig an wie das, was dort vorher passiert ist. Hat vielleicht ein Sturm gewütet? Oder fiel so wenig Regen, dass die Bäume schlichtweg verdurstet sind? Oder gab es einen Waldbrand?

Immer öfter dürfte die wahre Erklärung in den kommenden Jahren eine andere sein: Hier war der Käfer drin. Borkenkäfer, jeder für sich genommen höchstens so groß wie ein Fingernagel, sind inzwischen eines der größten Lebensrisiken für deutsche Bäume, vor allem für die immer noch sehr verbreiteten Fichten. Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen zwei Waldgebiete, die Waldbesitzer im Kampf gegen die Käfer roden ließen.

So warm und trocken wie der Frühling 2020 begonnen hat, spricht vieles dafür, dass die Käfer bereits das dritte Jahr in Folge ausgezeichnete Vermehrungsbedingungen erleben dürften. Aus jedem einzelnen Käferweibchen werden dann im Lauf eines Sommers Zehntausende. Die ohnehin schon reichlichen Populationen dürften erneut explosionsartig wachsen.

Dass am Ende dieser Vermehrungsphasen gerodete Waldflächen zurückbleiben, liegt an dem tückischen Zusammenspiel von Käfer, Baum und Klima. Da ist zunächst die Fichte selbst. Aufgrund ihres schnellen und geraden Wuchses und der einfachen Verarbeitung wurden über Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg weite Teile Deutschlands mit Fichtenplantagen überzogen. Bis in die Neunzigerjahre hinein verrichteten sie zumeist einen guten Dienst. Je spürbarer aber die Auswirkungen des Klimawandels hierzulande wurden, desto mehr kam die eigentlich in höheren Lagen und nordischen Ländern heimische Fichte in Bedrängnis.

Vor allem lange warme Perioden ohne viel Niederschlag machen dem Baum zu schaffen. Die Reaktion der Fichte auf solche Bedingungen ist so nachvollziehbar wie oft tödlich: Sie hält das wenige Wasser zusammen, wo es geht. Und spart deshalb vor allem an der Produktion des Harzes. Genau da aber kommt der Käfer ins Spiel: Wo sonst reihenweise Buchdrucker und Kupferstecher, so die Namen zweier häufiger Sorten von Borkenkäfern, im Harz verenden, legen sie nun ihre Brutstätten zwischen Stamm und Rinde an. Der kranke Baum wird dadurch nicht nur selbst vom Käfer befallen, sondern zur Keimzelle für viele weitere Borkenkäfer-Attacken.

Ist es erstmal so weit, bleiben den Waldbesitzern nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie lassen den Käfer wüten. Dann entsteht in einigen Jahrzehnten zwar ein ökologisch wertvoller, aber ökonomisch unbrauchbarer Wald. Oder sie roden die gesamte Fläche, so wie es auf den beiden Waldstücken geschehen ist, die hier abgebildet sind. Sowohl auf der Fläche nahe Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen als auch im Forst bei Goslar im Harz hatten die Käfer im vergangenen Jahr kranke Bäume befallen und damit quasi ein Basislager geschaffen, von dem aus sie in diesem Jahr den umgebenden Wald erobert hätten. Die Waldbesitzer entschlossen sich daher zur Rodung.

Die Gefahr ist damit allerdings noch nicht gebannt. Auch auf den Holzlagerplätzen, den sogenannten Poltern, lassen sich Käfer gerne nieder. Die schnelle Fällung befallener Bäume ist daher für Waldbesitzer nur der erste Schritt. Erst wenn das Holz tatsächlich aus dem Wald geschafft ist, haben sie Ruhe vor den Käfern – zumindest bis zum folgenden Frühling.

Neben den Fehlern der Vergangenheit und dem Klimawandel sind es deshalb mitunter auch die Gesetze des Holzmarktes, die zur Verbreitung des Käfers beitragen. Wenn nämlich große Stürme wüten und auf einmal viel Holz auf dem Markt ist, sinkt der Preis. Viele Waldbesitzer lassen das Holz dann mitunter monatelang auf den Poltern liegen und hoffen, dass die Preise wieder anziehen. Monate, in denen der Käfer sich breitmachen kann. Im abgebildeten Beispiel aus der Nähe von Lüdenscheid hat die zuständige Waldverwaltung trotz schlechter Marktlage noch einen Abnehmer gefunden: Das Holz wird in Container verfrachtet und nach China verschifft, wo es als Bauholz eingesetzt werden soll.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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