Wirtschaft von oben #51 – Ilisu-Staudamm Wie dieser Staudamm eine 12.000 Jahre alte Stadt verschluckt

Der Ilisu-Staudamm ist ein Prestigeprojekt des türkischen Präsidenten Erdogan. Er verspricht grüne Energie, wirtschaftlichen Segen – und vor allem Macht. Dafür müssen Tausende Menschen und historische Stätten weichen, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Ilisu-Staudamm

Seit 12.000 Jahren leben Menschen in der türkischen Stadt Hasankeyf am Fluss Tigris. Doch als Ulrich Eichelmann Anfang März ein letztes Mal in die Stadt fährt – über Schleichwege, die Straßen sind bereits gesperrt – da ist sie menschenverlassen. Die Häuser stehen leer, die Einwohner haben ihr Hab und Gut mitgenommen, selbst die Türen haben sie rausgerissen, die Moschee und auch das alte Badehaus sind schon lange abtransportiert. „Da lebt kein Mensch mehr“, erzählt Eichelmann, „uns ist nur eine Katze über den Weg gelaufen.“

Eichelmann ist Aktivist. Seit über einem Jahrzehnt kämpft er für den Erhalt der historischen Stadt Hasankeyf und damit gegen den Bau des Ilisu-Staudamms, erst beim WWF, dann mit seiner eigenen Organisation „Riverwatch“. Den Kampf hat er verloren, wie aktuelle Satellitenbilder von LiveEO beweisen. Hasankeyf ist verschwunden, verschluckt von den Wassermassen des neuen Stausees. In den vergangenen Wochen ist der Wasserpegel immer weiter und weiter gestiegen.


Der Ilisu-Staudamm ist ein Prestigeprojekt der Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tyyip Erdogan, das nun kurz vor der Vollendung steht. 135 Meter ist die Staumauer hoch, sie erstreckt sich über eine Länge von 1,8 Kilometern. Das daran angeschlossene Wasserkraftwerk soll final rund 3.800 Gigawattstunden Strom produzieren – das wären immerhin mehr als drei Prozent der gesamten Energiegewinnung der Türkei.

Für Erdogan aber ist der Staudamm noch viel mehr, er verspricht grüne Energie und ein Wirtschaftswunder für Südostanatolien. Vor allem aber verspricht er sich Macht. „Der Wind des Friedens, der Brüderlichkeit und des Wohlstands, der vom Ilisu-Damm aus weht, wird in dieser Region noch jahrhundertelang spürbar sein“, sagte Erdogan diese Woche anlässlich der Inbetriebnahme einer der Turbinen des Wasserkraftwerks, berichtet die Zeitung Hürriyet. Schon seit Sommer des vergangenen Jahres, und damit nach etwa neun Jahren Bauzeit, füllt sich der Stausee, wie auf den Satellitenbildern zu sehen ist.


Nicht nur in der Türkei, auf der ganzen Welt bauen Regierungen an Mega-Staudämmen vom Ausmaß des Ilisu-Damms. So will Brasilien den Xingu-Fluss stauen, in Asien sollen Mekong und Ayurvadi gestaut werden und im afrikanischen Kongo gibt es Pläne zum Bau des bisher größten Staudamms der Welt. Die Projekte bedrohen den Lebensraum von Indianerstämmen und seltenen Tierarten. Doch die Regierungen versprechen sich Strom, Wirtschaftskraft und Macht.

Auch der Ilisu-Staudamm ist höchst umstritten, nicht nur wegen Hasankeyf. Der sich hinter der Mauer aufgestaute See soll sich über 135 Kilometer erstrecken. Er ist damit mehr als doppelt so lang wie der Bodensee. Etwa 200 Dörfer und Siedlungen versinken unter den Wassermassen, bis zu 70.000 Menschen mussten umsiedeln, sagt Eichelmann. Ein Teil von ihnen lebt nun in Neu-Hasankeyf. Die Stadt sei abstrus, so der Aktivist weiter. Jedes Haus eine Kopie des anderen: „Das sieht aus wie eine Kaserne.“ Und die Stadt sei an einem Südhang gebaut, der Grund sei felsig und trocken. Bisher haben die Einwohner von Hasankeyf vom Fischfang und von der Landwirtschaft gelebt, in Neu-Hasankeyf sei das kaum möglich, befürchtet Eichelmann.

Am neuen Stadtrand steht nun ein Geschichtspark, in dem die jahrhundertealte Moschee, das Badehaus und historische Grabdenkmäler wiederaufgebaut sind. Andere Denkmäler seien für immer verschwunden, so Eichelmann. Zum Beispiel zwei mehr als tausend Jahre alte Brückenpfeiler. Einst habe die Seidenstraße über diese Brücke über den Tigris geführt. „Es gibt kein Argument, so ein Weltkulturerbe zu vernichten“, sagt Eichelmann. „Das wäre, als würde man sagen: Wir reißen den Kölner Dom ab, weil uns eine Shoppingmall mehr Geld bringt.“

Schon seit Anbeginn des Projektes kritisieren internationale Organisationen, dass die Türkei beim Ilisu-Staudamm nicht genug zum Erhalt von Kulturgütern und Umwelt tue. Anwohner zogen bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Gleich mehrfach zogen internationale Geldgeber ihre Unterstützung zurück, weil die Türkei sich aus ihrer Sicht nicht an internationale Standards halte. Auch die deutsche, schweizerische und österreichische Regierung hatten einst für das Bauvorhaben Kreditbürgschaften gegeben. 2009 zogen sie diese Zusagen auf internationalen Druck zurück. Das verzögerte den Bau des Staudamms weiter, verhinderte ihn aber nicht. Wo 2010 noch nichts vom Bauprojekt zu sehen ist, ragt fünf Jahre später der Damm in die Höhe, wie die Satellitenbilder zeigen. Die Türkei stemmte die Finanzierung allein. Insgesamt soll das Projekt 1,3 Milliarden Euro gekostet haben.

Für Erdogan ist das auch eine geopolitische Investition. Wer den Staudamm kontrolliert, kontrolliert den Tigris. Der Fluss streift auf ein paar Kilometern die syrische Grenze und fließt dann weiter in den Irak. In der Hauptstadt Bagdad protestierten deshalb Menschen gegen den Staudamm, die irakische Regierung verhandelte mit der Türkei eine Mindestdurchflussmenge. Doch es gibt Zweifel, ob die Türkei sich daran halten werde – und ob die Durchflussmenge überhaupt reicht. „Die Türkei hält den Wasserhahn in der Hand und kann ihn nach Belieben auf- und zudrehen“, sagt Eichelmann.

Und der Ilisu-Staudamm ist bei Weitem nicht das letzte Projekt, das die Türkei plant. Seit 2002 habe die türkische Regierung mehr als 850 Staudämme gebaut, berichtet die Zeitung Hürriyet. Tausende weitere sollen an der Schwarzmeerküste ebenso wie in Anatolien noch entstehen. Ein Großprojekt plant die Regierung auch nahe der Stadt Cizre an der syrischen Küste. Die Stadt liegt am Euphrat, der von Cizre weiter durch Syrien und den Irak fließt, bevor er sich kurz vor der persischen Küste mit dem Tigris vereint. Sollte der Cizre-Staudamm Realität werden, bekäme der Irak gar kein Wasser mehr, warnt Eichelmann: „Da wird die Natur ausgepresst, bis zum letzten Tropfen.“

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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