Wirtschaft von oben #60 – Weltraumbahnhof Kourou Hier entsteht Europas neue Raketenrampe

In Französisch-Guayana in Südamerika soll ab 2021 die neue Raketengeneration Ariane 6 abheben. Exklusive Satellitenbilder zeigen, wie der Bau einer gigantischen neuen Startrampe für Europas Trägerrakete vorangeht. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Weltraumbahnhof Kourou

Die Sonne ist hinter dem Meer bei Französisch-Guayana abgetaucht, als sich den Passagieren des AirFrance-Flugs Paris-Cayenne ein besonderes Spektakel bietet: Ein grelles Licht steigt in den Abendhimmel auf, eine Säule aus Feuer und Rauch. „Sie sehen den Start einer Ariane-Rakete“, meldet der Kapitän via Bordlautsprecher. Dutzende Fluggäste pressen ihre Gesichter an Fensterscheiben.

Es gibt nicht viele Direktflüge in Frankreichs südamerikanisches Überseedépartement nördlich von Brasilien. Aber es gibt hier Flüge ins Weltall. Denn beim Städtchen Kourou, zwischen Atlantik und dichten Regenwäldern, liegt Europas Weltraumbahnhof, auch Raumfahrtzentrum Guayana genannt. Das Gelände, 50 Kilometer lang, 14 Kilometer breit, ist hermetisch abgesichert. Nur Affen, Tapire und Jaguare schleichen sich hier ohne Zugangspass hinein.

Seit Mitte der Sechzigerjahre heben hier am Äquator europäische Raketen ab. An Bord: Satelliten, die ganze Kontinente mit Fernsehen versorgen; Raumsonden, die zu anderen Planeten aufbrechen; Weltraumteleskope, die die Weiten des Alls erkunden. Seit 1996 startet in Kourou auch Europas Prestigerakete, die Ariane 5. Inzwischen ist sie 108 Mal geflogen und damit eines der zuverlässigsten Vehikel für den Frachttransport ins Weltall. Nun ist ein Nachfolger in Arbeit: Ab 2021 soll die Ariane 6 den Dienst aufnehmen – größer, leistungsstärker und preiswerter als ihre Vorgängerin.


Die neue Rakete sorgt am Raumfahrtzentrum Guayana schon Jahre vor dem ersten Start für mächtig viel Arbeit. Sie ist fast 20 Meter größer als ihre Vorgängerin und hat ein höheres Startgewicht. Darum bauen Ingenieure in Kourou seit gut fünf Jahren eine komplett neue Startrampe, die den Kräften beim Abheben des kolossalen Geschosses widerstehen kann. Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen, wie das massive Bauwerk in den vergangenen Jahren gewachsen ist.

Beim Besuch der WirtschaftsWoche in Kourou im Januar 2018 war auf der Baustelle gewaltig viel zu tun. Eine riesige Grube klaffte im Erdreich, schon halb mit Betonelementen gefüllt. In ihr hätte ein kleines Fußballstadion problemlos Platz gefunden. Es wimmelte von Baufahrzeugen und Arbeitern, Baukränen und Stahlgerüsten.

In all dem Getümmel ließ sich dennoch erkennen, wie der Start der Ariane 6 künftig ablaufen wird. Die Vorbereitungen sollen nur noch neun Tage dauern statt 21 bei der Ariane 5. Im Unterschied zur Ariane 5, die stehend zusammengebaut wird, wird die neue Ariane 6 liegend montiert. Vorteil ist, dass dafür keine sehr hohe, sondern nur eine lange Halle gebaut werden muss, was Bau und Unterhalt billiger macht.

Blick auf die mobile Garage für die Ariane 6 an der Startrampe.

Der Rohbau, halb so lang wie der Kölner Hauptbahnhof, stand im Jahr 2018 schon. Hier kommen künftig vor jedem Start die Teile der Rakete zusammen, die in Europa gefertigt und per Schiff geliefert werden. Die Oberstufe etwa entsteht in Deutschland, im Werk der Ariane Group in Ottobrunn bei München.

Sind die Haupt- und Oberstufe verbunden, fehlen noch die zwei bis vier Booster – Hilfstriebwerke, die an den Seiten der Rakete montiert werden und beim Start etwa 80 bis 90 Prozent des Schubs leisten. Anders als bei der Ariane 5 enthalten sie keinen flüssigen, sondern festen Treibstoff, der schon beim Bau der Booster integriert wird. Jeder der Booster wiegt darum 140 Tonnen. Würde man die Rakete damit aus der Horizontalen aufrichten, würde sie sich unter der Last verbiegen.

Darum fährt die halbfertige Ariane 6 erst auf Transportfahrzeugen einen Kilometer weit zum eigentlichen Startplatz. Dort wird sie langsam aufgerichtet. Dann rollt eine Art mobile Garage heran – ein 90 Meter hohes Bauwerk, 8200 Tonnen schwer und damit tausend Tonnen schwerer als der Eiffelturm. Es kann sich auf Schienen bewegen, schützt die Rakete vor Regen, Wind und Blitzeinschlägen.

Derart eingehegt, können Ingenieure als nächstes die Booster an die Rakete montieren. Einen Tag später hebt ein Kran die Nutzlastverkleidung auf die Spitze der Ariane 6, wo Arbeiter sie montieren. Die Fracht, etwa ein Satellit, ist schon darin eingebaut. Wenige Stunden vor dem Start fährt die Garage wieder zurück, die Rakete wird betankt. Und dann heißt es warten auf den Countdown.

Die eigentliche Startrampe ist die mächtigste Konstruktion des ganzen Komplexes – 200 Meter lang, rund 30 Meter tief. So viel Beton ist hier verbaut, wie in 67 Olympia-Schwimmbecken passen würde. Der Teil, auf dem die Rakete steht – Starttisch genannt – besteht aus 700 Tonnen Stahl und wurde beim Darmstädter Spezialisten Donges Steeltec hergestellt. Zwei gewaltige Ablenkschächte leiten die heißen Abgase der Rakete seitlich vom Startplatz weg.

Im Herbst sollte die Ariane 6 hier zum ersten Mal abheben. Aber die Coronapandemie und andere Gründe haben die Vorbereitungen verzögert – jetzt ist der Jungfernflug für die zweite Jahreshälfte 2021 geplant. Unterdessen macht die private Konkurrenz von Unternehmen wie SpaceX den Europäern Druck: Die Raketen der Amerikaner sind heute schon für die meisten Missionen preiswerter als die Ariane 6 und lassen sich wiederverwerten.

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton drängte darum Ende Juni zur Eile: Der Ariane 6 sei ein notwendiger Schritt. „Aber wir müssen jetzt über die Ariane 7 nachdenken.“ Womöglich also haben die Bauarbeiter in Kourou in ein paar Jahren wieder mächtig viel zu tun.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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