Wirtschaft von oben #63 - Grand Ethiopian Renaissance Dam Dieser Staudamm sorgt für Streit

Die Bauarbeiten am größten Staudamm Afrikas sind fast abgeschlossen, wie Satellitenbilder zeigen. Äthiopien zweigt bereits Wasser ab – das Ägypten für sich beansprucht. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre

Tausende Menschen feierten auf den Straßen von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Sie tanzten zu lauter Musik, Autofahrer hupten, der stellvertretende Ministerpräsident rief: „Heute ist der Tag, an dem wir die Schlussphase des Baus unseres Damms feiern.“ Ein Prestigeprojekt: „Große äthiopische Wiedergeburt“ haben sie den Nil-Staudamm an der Grenze zum Sudan hier genannt. Die Feierstunde anlässlich der begonnenen Befüllung des Stausees vor wenigen Tagen sah die Regierung gern. Damm und See sollen die Stromversorgung des Landes durch ein Wasserkraftwerk verbessern und „unsere Probleme ein für alle Mal“ lösen, verkündete der Politiker.

Diese Euphorie teilt flussabwärts niemand. Wenn die Äthiopier das Wasser des Blauen Nils im Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) stauen, sorgt das in Kairo für schlechte Stimmung. Denn Ägypten ist abhängig vom Wasser des Tanasees im äthiopischen Hochland, aus dem sich der Blaue Nil speist. Nachdem es durch den Sudan geflossen ist, stellt es zu fast 90 Prozent die Wasserversorgung des Mittelmeerstaates sicher. Deswegen drohte die ägyptische Regierung immer wieder mit Krieg, sollte Äthiopien das Wasser abzweigen und den 2011 angefangenen Damm fertigstellen.

Eine friedliche Lösung für den GERD zu finden, das hat schon im vergangenen Jahrzehnt nicht funktioniert. 2011 begann der Bau des Damms. Auf Satellitenaufnahmen von LiveEO aus diesem Jahr sind einige wenige Siedlungen am Fluss – umgeben von grüner Natur – gut zu erkennen. 2015 nahm die Talsperre Form an, aber noch floss das Wasser.

Seit Juli 2020 wird das Wasser nun zu einem See gestaut, wie die Satellitenbilder zeigen. Äthiopien will offenbar die Regenmonate in dieser Zeit nutzen und im besten Fall fünf Milliarden Kubikmeter Wasser sammeln. Diese Wassermenge würde reichen, um dann Mitte des kommenden Jahres die ersten zwei Turbinen der Wasserkraftwerke auf beiden Uferseiten in Betrieb zu nehmen.

Für Äthiopien ist die Ressource vor allem Mittel zum Zweck: Weil derzeit gut die Hälfte der Haushalte ohne Strom lebt, sind die Kraftwerke Hoffnungsbringer. Äthiopien hat vor, zum größten Stromproduzenten Afrikas aufzusteigen. GERD wird durchschnittlich knapp 16.000 Gigawattstunden pro Jahr produzieren. Das ist fast doppelt so viel wie der jährliche Stromverbrauch des Landes und mehr als die Leistung der drei bisher größten Wasserkraftwerke Afrikas. Alles in allem wird der Damm einmal 145 Meter hoch sein. 75 Milliarden Kubikmeter Wasser soll der Stausee fassen, anderthalbmal so viel, wie im Bodensee fließt.

45 Meter hoch, fast zwei Kilometer lang: Bald ist der größte Staudamm Afrikas fertig.

Da die Äthiopier unbeirrt weitergebaut und begonnen haben, das kostbare Gut in den Stausee zu leiten, ist die Toleranzgrenze seitens der Ägypter eigentlich überschritten. Sie fordern von Äthiopien das Versprechen, stets ausreichend Wasser aus dem Damm zu lassen, um den Nil auf einem gewissen Pegelstand zu halten. Das Land beruft sich auf alte Abkommen aus der Kolonialzeit, die dem Land „historische Rechte“ zusicherten. Doch diese Verträge erkennt Äthiopien nicht an, will sich nicht auf die garantierte Menge an Wasser einlassen, die Ägypten fordert. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi war es, der 2013 erstmals nach Baubeginn indirekt mit einem bewaffneten Konflikt drohte.

Aber bislang sind keine ägyptischen Truppen in Äthiopien eingefallen. Und dabei dürfte es auch bleiben, ist sich Stephan Roll, Ägypten-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fast sicher. Rund 2000 Kilometer liegen zwischen den Ländern. „Mit einer Bodenoffensive müsste man erst durch den Sudan, das ist eigentlich undenkbar.“ Ob die Reichweite der ägyptischen Luftwaffe für einen Militärschlag ausreicht, darüber gebe es unterschiedliche Meinungen, ergänzt Roll. „Aber was wären dann die politischen Konsequenzen?“

Ägypten steckt im Dilemma: Die Drohungen gegenüber Äthiopien haben nichts gebracht. Eine militärische Aktion wäre riskant und würde die Beziehungen zu anderen Nil-Anrainerstaaten gefährden. Und an der Abhängigkeit vom Wasser aus dem Süden wird sich so bald nichts ändern.

Ägypten habe „die Realität des Damms anerkannt“, sagt Roll. Gleichzeitig beharren beide Seiten auf ihren Maximalforderungen: „Die Ägypter“, erklärt der SWP-Experte, „wollen ein internationales Abkommen, die Äthiopier wollen sich ihren Spielraum nicht beschneiden.“ Sogar den UN-Sicherheitsrat hat das Land eingeschaltet. Roll sagt, es gehe jetzt „um die Frage, wie schnell der Stausee befüllt wird“ und wie das Management des Stauprojekts zur Dürrezeit aussehe, wenn der Sudan und Ägypten das Wasser am dringendsten brauchen. Eine virtuelle Verhandlungsrunde zwischen den drei Ländern endete zuletzt ohne Lösung, die Gespräche wurden erneut vertagt.

Mitarbeit: Theresa Rauffmann

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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