Da die Äthiopier unbeirrt weitergebaut und begonnen haben, das kostbare Gut in den Stausee zu leiten, ist die Toleranzgrenze seitens der Ägypter eigentlich überschritten. Sie fordern von Äthiopien das Versprechen, stets ausreichend Wasser aus dem Damm zu lassen, um den Nil auf einem gewissen Pegelstand zu halten. Das Land beruft sich auf alte Abkommen aus der Kolonialzeit, die dem Land „historische Rechte“ zusicherten. Doch diese Verträge erkennt Äthiopien nicht an, will sich nicht auf die garantierte Menge an Wasser einlassen, die Ägypten fordert. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi war es, der 2013 erstmals nach Baubeginn indirekt mit einem bewaffneten Konflikt drohte.
Aber bislang sind keine ägyptischen Truppen in Äthiopien eingefallen. Und dabei dürfte es auch bleiben, ist sich Stephan Roll, Ägypten-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fast sicher. Rund 2000 Kilometer liegen zwischen den Ländern. „Mit einer Bodenoffensive müsste man erst durch den Sudan, das ist eigentlich undenkbar.“ Ob die Reichweite der ägyptischen Luftwaffe für einen Militärschlag ausreicht, darüber gebe es unterschiedliche Meinungen, ergänzt Roll. „Aber was wären dann die politischen Konsequenzen?“
Ägypten steckt im Dilemma: Die Drohungen gegenüber Äthiopien haben nichts gebracht. Eine militärische Aktion wäre riskant und würde die Beziehungen zu anderen Nil-Anrainerstaaten gefährden. Und an der Abhängigkeit vom Wasser aus dem Süden wird sich so bald nichts ändern.
Ägypten habe „die Realität des Damms anerkannt“, sagt Roll. Gleichzeitig beharren beide Seiten auf ihren Maximalforderungen: „Die Ägypter“, erklärt der SWP-Experte, „wollen ein internationales Abkommen, die Äthiopier wollen sich ihren Spielraum nicht beschneiden.“ Sogar den UN-Sicherheitsrat hat das Land eingeschaltet. Roll sagt, es gehe jetzt „um die Frage, wie schnell der Stausee befüllt wird“ und wie das Management des Stauprojekts zur Dürrezeit aussehe, wenn der Sudan und Ägypten das Wasser am dringendsten brauchen. Eine virtuelle Verhandlungsrunde zwischen den drei Ländern endete zuletzt ohne Lösung, die Gespräche wurden erneut vertagt.
Mitarbeit: Theresa Rauffmann
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