Wirtschaft von oben #65 – Eisenerz Wo ein Stadtzentrum einer Mine weichen muss

Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens, steht einer Eisenerzmine im Weg – und hat eine ungewöhnliche Lösung gefunden: Sie zieht um. Exklusive Satellitenbilder zeigen, wie weit sie schon gekommen ist. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Kiruna-Mine

Das neue Rathaus steht schon, ein runder, mehrstöckiger Bau mit weißer Fassade. Auch das neue Kulturhaus ist fast fertig. Hier sollen bald Konzerte und Ausstellungen stattfinden. Daneben erhebt sich ein neues Hotel für die künftigen Touristen und Geschäftsreisenden. Das neue Zentrum von Kiruna, es nimmt Gestalt an. Doch drumherum: Nur Baustelle, Schutt und Brachland.

Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens, zieht um. Der Bergwerkskonzern LKAB, wichtigster Arbeitgeber in der arktischen Gemeinde, baut seine Eisenerzmine aus. Meter für Meter frisst sich das Bergwerk unter der Erde auf das alte Kiruna zu. Der Boden darüber werde instabil, die Stadt sacke ab, hieß es. Der Stadtrat entschied darum im Jahr 2004, dass ein Großteil der Stadt abgerissen wird – und drei Kilometer weiter im Osten neu aufgebaut. Die Kosten übernimmt größtenteils LKAB.

Und so spielt sich 200 Kilometer nördlich des Polarkreises ein einzigartiges Schauspiel ab, wie exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen: Im Niemandsland errichten Bauarbeiter ein neues Stadtzentrum, inklusive Badehaus, Grundschule, Einkaufszentrum und Stadtpark. Nahezu zwei Dutzend alte Häuser und Kulturdenkmäler wie die hölzerne Kirche werden erhalten und per Transporter an ihre neuen Standorte gebracht. Als das neue Rathaus im Jahr 2018 eröffnet wurde, kam sogar der schwedische König zu Besuch.

Denn Kiruna, so abgelegen und klein die Stadt mit ihren rund 20.000 Einwohnern sein mag, ist für Schweden von großer Bedeutung. Eisenerz ist eines der wichtigsten Exportgüter. Die Minen des LKAB-Konzerns machen 90 Prozent der Eisenerzproduktion der EU aus. 100.000 Tonnen des Rohstoffs exportiert Schweden Tag für Tag. Das Erz aus der Arktis gilt aufgrund seines hohen Eisengehalts als besonders hochwertig.


Schon im Jahr 1900 öffnete darum hoch im Norden die Erzmine. Bis zu 1365 Meter tief graben sich die Arbeiter in den Boden hinab. Zum Abtransport des Rohstoffs wurde eigens eine Eisenbahnlinie gebaut – die knapp 500 Kilometer lange Erzbahn zwischen Luleå an der Ostsee und dem eisfreien Hafen von Narvik am Europäischen Nordmeer, von wo aus das Eisenerz mit Schiffen weiter transportiert wird.

Auch Kiruna wurde nur gebaut, weil es das Bergwerk gab. Bei minus 25 Grad und Dunkelheit ist es vor allem im Winter ein eher unwirtlicher Ort – man muss schon gute Gründe haben, dort hinzuziehen. Nun ist es ausgerechnet die Mine, wegen der die Stadt nun Stück für Stück abgerissen wird. Der Bahnhof ist schon verschwunden, auch das alte Rathaus gibt es nicht mehr. 2035 soll der Umzug abgeschlossen sein.

Umso peinlicher für LKAB, dass der Konzern Ende 2018 einräumen musste, dass die Erzvorkommen vielleicht gar nicht so groß seien, wie gedacht. Unter Umständen könnte der Abbau schon beendet worden sein, wenn der Umzug der Stadt gerade erst abgeschlossen ist. Kiruna müsste sich dann noch ein weiteres Mal neu erfinden.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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