Wirtschaft von oben #69 – New York Das World Trade Center im Wandel der Zeit

Vor den verheerenden Anschlägen waren die Zwillingstürme Ikonen des amerikanischen Kapitalismus. Seither hat sich die Stadt bemüht, den Bezirk wiederaufzubauen, wie Satellitenbilder zeigen. Doch durch Corona droht ein weiterer Bedeutungsverlust. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Luftaufnahme New York

Der Himmel über Lower Manhattan wird dunkel bleiben, wenn sich der Anschlag auf das World Trade Center an diesem Freitag das 19. Mal jährt. Oder zumindest so dunkel, wie es über der größten und bevölkerungsreichsten Stadt der Vereinigten Staaten von Amerika möglich ist. Das traditionelle Tribute in Light jedoch – eine Installation riesiger Lichtsäulen, die anstelle der zerstörten Gebäude aus Beton und Stein zumindest für einen Abend die Zwillingstürme wieder in die Skyline der Metropole erhebt – fällt in diesem Jahr aus. Eine Vorsichtsmaßnahme, um eine erneute Ausbreitung des Coronavirus in der im Frühjahr hart von der Pandemie getroffenen Stadt zu verhindern.

Dass das Coronavirus das Licht ausschaltet, ist eine Erfahrung, die New York mit vielen anderen Städten in den USA und auf der Welt teilt. Doch für die Südspitze der Halbinsel Manhattan ist die Lage besonders traumatisch. Schon mehr als einmal musste der Bezirk rund um die Wall Street beweisen, dass er in der Lage ist, Krisen und Rückschläge wegzustecken. Oft stand das World Trade Center – und heute sein Nachfolger – im Zentrum dieser Bemühungen. Satellitenbilder von LiveEO und der Stadt New York zeigen, wie sich der Bezirk im Laufe der Zeit verändert hat.

Schon der Bau der Zwillingstürme in den 1970er-Jahren sollte Lower Manhattan wirtschaftlich beleben. Damals wurden Geschäfte noch überwiegend in Midtown gemacht. Das Experiment gelang. Das World Trade Center zog mit seinen mehr als 1,2 Millionen Quadratmetern Bürofläche hunderte Unternehmen an. Zeitweise hatten rund 50.000 Menschen ihren Arbeitsplatz in den Wolkenkratzern. Die Gebäude bekamen gar eine eigene Postleitzahl. Die Twin Towers wurden zu Ikonen des amerikanischen Kapitalismus.

Mit den Anschlägen vom 11. September fand diese Ära jedoch zunächst ihr Ende. Der Zusammenbruch der Türme beschädigte, wie auf den Satellitenbildern zu sehen ist, weite Teile der Nachbarschaft und brachte die Wirtschaft vor Ort zeitweise fast zum Erliegen. Trotzdem wurde der Wiederaufbau zu einer Frage des nationalen Stolzes. In den Jahren nach 9/11 flossen Milliarden an Staatshilfen und Steuernachlässen in Projekte in dem Bezirk. Stück für Stück wandelten sich die Krater zunächst in eine Baustelle, dann in ein Mahnmal, wie die Bilder zeigen. Und wo früher die Zwillingstürme standen, ragt heute das One World Trade Center in den Himmel – der höchste Wolkenkratzer der westlichen Hemisphäre.

Der moderne Glasbau und die anderen Wiederaufbauprojekte belebten den Bezirk kräftig. Längst haben auch Tech- und Medienunternehmen ihren Sitz nach Lower Manhattan verlegt, mehr als 500 Bars und Restaurants eröffnet. Vor dem Corona-Ausbruch arbeiteten hier jeden Tag rund 300.000 Menschen. Und auch die Zahl der Bewohner des Distrikts hat sich seit 2001 mehr als verdreifacht.

Damit könnte Lower Manhattan fast 20 Jahre nach seiner größten Katastrophe heute als strahlende Erfolgsgeschichte gelten. Doch das Coronavirus hat diese Erzählung jäh beendet. Der New Yorker Shutdown hat den Stadtteil hart getroffen. Nach Monaten im Homeoffice ist längst nicht klar, ob und wie viele Arbeitskräfte in die riesigen Bürokomplexe zurückkehren. Die wirtschaftliche Lage des Bezirks und der ganzen Stadt ist damit einmal mehr gefährdet. „Im Zuge der Krise ist die langfristige Attraktivität von New York City als Ort zum Leben und Arbeiten eine offene Frage“, heißt es in einem Bericht des New York City Independent Budget Office. Die Immobilienpreise in der Stadt werden demnach wahrscheinlich längerfristig unter dem Niveau der Vor-Coronazeit bleiben.

Gleichzeitig stellt das Virus das Geschäftsmodell von Komplexen wie dem One World Trade Center in Frage. Zahlreiche Unternehmen haben in den vergangenen Monaten gemerkt, dass viele ihrer Mitarbeiter ohne Probleme von zu Hause aus arbeiten können, ohne teure Prunketagen mit Blick über den East River zu bezahlen. An der altehrwürdigen New Yorker Börse arbeitet bereits heute nur noch eine Kernbelegschaft. Der Großteil der Geschäfte wird längst digital abgewickelt.

Das heißt nicht, dass Großunternehmen und Banken sofort ihre Mietverträge kündigen werden. Angesichts der Abstandsregeln sind derzeit große, fast menschenleere Büroräume ein wichtiger Aspekt des Arbeitsschutzes. Doch mittelfristig dürfte sich so mancher Mieter fragen, warum er oder sie sich die Kosten für einen repräsentativen Firmensitz in bester Lage leistet, wenn die Mitarbeiter einen Großteil der Arbeit auch in kleineren Büroräumen verrichten können. Der nächste Umbruch für Lower Manhattan dürfte bevorstehen.

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Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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