Wirtschaft von oben #75 – Kraftwerke China: Wo die Kohlekraftwerke aus dem Boden schießen

Während weltweit die Kohlekraft auf dem Rückzug ist, baut China rasant ein Kraftwerk nach dem nächsten, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Gleichzeitig verspricht Präsident Xi Jinping CO2-Neutralität bis 2060. Wie passt das zusammen? „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

So wie in Guazhou wachsen überall in China Kohlekraftwerke in einem enormen Tempo aus dem Boden – dabei will die Volksrepublik 2060 CO2-neutral sein.

Noch vor vier Jahren war die Fläche am Stadtrand der nordostchinesischen Stadt Xilinhot eine brachliegende Wiese. Baumaschinen rückten an und planierten das Gelände. Unterkünfte für Bauarbeiter mit blauen Dächern entstanden.

Dann ging alles ganz schnell: Meter um Meter wuchsen die zwei gewaltigen runden Türme des neuen Kohlekraftwerks Huaneng Beifang Xilnhaote-3 heran, die heute grauweißen Rauch in die Luft blasen.

Wer auf Satellitenaufnahmen von LiveEO verfolgt, wie schnell in China in den vergangenen Jahren neue Kohlekraftwerke aus dem Boden geschossen sind, und sie mit den kürzlich von Präsident Xi Jinping vor der UN-Generalversammlung getroffenen Aussagen vergleicht, gerät ins Grübeln.

Der Staats- und Parteichef versprach dort Mitte September, dass China bei seiner Klimaschutzpolitik noch einmal einen deutlichen Zahn zulegen werde. „China wird seine bisher zugesagten Beiträge zum Klimaschutz erhöhen, durch neue ambitionierte Strategien und Maßnahmen. Wir streben an, dass die CO2-Emissionen bis 2030 ihren Höhepunkt erreichen, und wir wollen bis 2060 CO2-neutral werden“, sagte Xi – auch zur Überraschung vieler Klimaschützer, die seine Aussagen mitunter als „sensationell“ bezeichneten.

Anders als die USA steht China laut Klima-Experten fest hinter den Zusagen des Pariser Klimaabkommens. Die Volksrepublik ist zwar nach wie vor der weltgrößte CO2-Produzent, hat aber gleichzeitig stark in erneuerbare Energien investiert. Nirgendwo sonst gibt es so große Solar-, Windkraft- und Wasserkraftkapazitäten wie in China.

Allerdings hat auch kein anderes Land einen so großen Energiebedarf, was dazu führt, dass trotz gewaltiger Investitionen noch immer nur 23 Prozent des chinesischen Energiemixes aus erneuerbaren Quellen stammen. 58 Prozent des Stroms gewinnt das Land aus Kohle.

Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres haben die chinesischen Behörden neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 17 Gigawatt bewilligt – mehr als in den vorherigen zwei Jahren zusammengenommen. Insgesamt sind laut einer Studie des Global Energy Monitor (GEM) und des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in China Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 250 Gigawatt in der Planungs- oder Bauphase. Über 100 neue Kraftwerke müssten dafür gebaut werden. Bei dem Bautempo der Chinesen dürfte die Zahl schnell erreicht sein. Das Gansu Electric Guazhou Changle Kraftwerk war innerhalb von drei Jahren fertiggestellt, wie die Bilder zeigen.

Gleichzeitig wurden in China in den vergangenen Jahren viele alte Kraftwerke stillgelegt und durch effizientere Technik ersetzt. Auch entstanden neue Kraftwerke in Regionen, die zuvor industriell nur wenig erschlossen waren. So wie etwa dort, wo nun das Wucaiwan Bei’er Kraftwerk mit seinen vier Türmen steht. Vor vier Jahren gab es dort in der kargen Sandlandschaft nur ein einzelnes, einsames Kraftwerk. Jetzt stehen dort fünf weitere.

Dabei, so merkt etwa die Analystin Lauri Myllyvirta vom CREA an, habe China landesweit schon jetzt mehr Kohlekapazitäten, als überhaupt benötigt würden. Viele der Kraftwerke liefen nur mit halber Auslastung. Bei dem seit Jahren anhaltenden Bauboom von Kohlekraftwerken handele es sich vielmehr um eine BIP-Stützungsmaßnahme.

Tatsächlich hatte China bereits nach der Finanzkrise 2012 ein riesiges Konjunkturpaket angeschoben. Mit den bereitgestellten Milliarden begannen viele Provinzregierungen massiv mit dem Bau von Kohlekraftwerken und anderer Infrastruktur. Die Zentralregierung versuchte später, der „Kohleblase“ mit strengen Genehmigungsverfahren einen Riegel vorzuschieben.

Dutzende Projekte wurden komplett gestrichen oder verschoben. Allerdings hat sich gezeigt, dass wann immer der Konjunkturmotor in China stottert, auch die Genehmigungen neuer Kraftwerke wieder in die Höhe schnellen. In diesem Jahr dürfte dies geschehen sein, um die Folgen der Covid19-Krise abzufedern.

Im internationalen Vergleich steht China mit seiner Kohle-Politik besonders schlecht dar: Die Zahl der Kohlekraftwerke ist einer Studie der Klimaschutz-Organisationen Global Coal Plant Trackers zufolge in diesem Jahr weltweit erstmals geschrumpft. Im ersten Halbjahr seien Anlagen mit 18,3 Gigawatt Leistung ans Netz gegangen, aber Meiler mit über 21 Gigawatt stillgelegt worden. Der Rückgang sei vor allem auf Europa zurückzuführen: Hier wurden 8,3 Gigawatt stillgelegt, weitere 6 Gigawatt sollen im zweiten Halbjahr folgen. Aber auch die Planung und der Bau von Kohlekraftwerken in Südostasien sinke deutlich – um etwa 70 Prozent im Vergleich zu den durchschnittlichen Werten seit dem Jahr 2015, heißt es. China hat dagegen in den vergangenen Jahren seine Kapazitäten ausgebaut – so etwa mit dem SDIC Neixiang Kraftwerk (siehe oben) oder dem Yuguang Kohlekraftwerk (siehe unten).

Dennoch deutet die UN-Rede von Xi an, dass es Peking Ernst damit meint, sich zu einem Führer im Kampf gegen den Klimawandel aufzuschwingen.

Konkrete Maßnahmen, wie das Land die Ziele erreichen will, liegen zwar noch nicht vor. Auch hätte China trotz seiner Ankündigung theoretisch noch zehn Jahre Zeit, um das Peak beim CO2-Ausstoß zu erreichen, und könnte damit weiterhin im großen Umfang Kohle verbrennen. Allerdings halten es Beobachter in Peking für unwahrscheinlich, dass sich die kommunistische Führung so lange Zeit lassen wird.

Einen Anhaltspunkt über die von Xi versprochenen „ambitionierten Strategien und Maßnahmen“ könnte bereits Chinas kommender Fünfjahresplan für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes liefern, an dem derzeit in Peking gearbeitet wird und der im kommenden Jahr in Kraft treten soll.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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