Wirtschaft von oben #9 - Khorgos Hier entsteht das Herz von Chinas neuer Seidenstraße

Am Khorgos-Fluss bauen China und Kasachstan einen der größten Güterbahnhöfe der Welt. Niemand weiß, ob er in diesen Dimensionen jemals gebraucht wird. Satellitenbilder zeigen den Fortschritt auf der gewaltigen Baustelle.


Eines macht schon der flüchtige Blick auf die Weltkarte deutlich: Nichts braucht es in der Grenzstadt Khorgos zwischen China und Kasachstan weniger als einen Hafen. Schließlich ist es von hier nicht mehr weit bis zum „Eurasischen Pol der Unzugänglichkeit“: dem Ort auf der Erde, von dem das nächste Meer am weitesten entfernt liegt.

Und doch entsteht genau hier unter dem Namen „dry port“, Hafen auf dem Trockenen, derzeit ein gigantisches Infrastrukturprojekt. Denn in Khorgos soll bald der zentrale Knotenpunkt für die „Neue Seidenstraße“ liegen, Chinas prestigeträchtigen und unendlich teuren Versuch, sich nicht nur übers Meer, sondern auch über Land mit den großen Industrieländern des Westens zu verbinden. Symbolisch knüpft China damit an die Handelsstraßen des Mittelalters an, praktisch entstehen Schienen- und Straßenwege, die den Westen Chinas mit Kasachstan, Russland und Europa verbinden. Bereits seit einigen Jahren sind Züge auf der Strecke unterwegs, die meisten starten in den Metropolen Chongqing und Chengdu und enden in Duisburg. Die Grenze zwischen China und Kasachstan ist dabei von besonderer Bedeutung, weil dort eine Umladung der Güter unvermeidlich ist, da sich die Spurbreite zwischen den beiden Ländern unterscheidet, ebenso wie zwischen den Systemen in Westeuropa und Russland.

Das macht die Grenze zu einem der zentralen Nadelöhre auf der gesamten Passage, das die Seidenstraße bisher viel an wirtschaftlicher Attraktivität kostet. Denn der Transport per Zug ist zwar günstiger als per Flugzeug, aber deutlich teurer als auf dem Schiff und wird das auch auf absehbare Zeit bleiben. Der große Vorzug, den die Schiene im Gegenzug bieten kann, ist Zeit. Während der Transport von China nach Europa per Schiff zwischen 40 und 45 Tagen dauert, schaffen die Züge den Weg nach Duisburg innerhalb von 19 Tagen. Das ist schon heute ein ordentlicher Wert, genügt aber längst nicht, damit die Bahn im Wettbewerb ernsthaft bestehen könnte. Dass überhaupt Züge auf der Seidenstraße-Linie fahren, liegt allein an den massiven Subventionen, die der chinesische Staat verspricht.

Um das zu ändern, soll die Reisedauer sinken, einerseits. Andererseits soll die Kapazität der Strecke massiv steigen, damit die Preise über Skaleneffekte sinken können. Beides soll vor allem über ein Projekt gelingen: Khorgos. China und Kasachstan haben sich für das grenzüberschreitende Projekt zusammengetan, der kasachische Staat hat zudem einen Anteil von 49 Prozent eines Anteils an die Reederei Cosco und den chinesischen Hafenbetreiber Jiangsu Lianyungang übertragen.

Khorgos, ein riesiger Verladebahnhof auf Chinas neuer Seidenstraße

Noch vor zehn Jahren war rund um Khorgos vor allem auf kasachischer Seite nur Steppe, wie auf den Bildern von LiveEO zu erkennen ist. Nun entsteht dort einer der größten Verkehrsknotenpunkte der Welt. Bereits fertig gestellt ist die Autobahn aus der kasachischen Hauptstadt Almaty, die derzeit noch an einem Autobahnknoten im Nirgendwo, gut 10 Kilometer von der Grenze zu China entfernt, endet. Die Fahrtzeit aus der Hauptstadt hat sich dadurch bereits um die Hälfte reduziert, von gut sechs Stunden auf weniger als drei. Zudem sind zwei Bahnstrecken inzwischen vollendet, die den Doppelbahnhof Khorgos zum einen über Almaty mit dem Kaspischen Meer verbinden und zum anderen nach Norden Richtung Russland und weiter nach Europa.

Um die Gigantomanie in der Steppe nachvollziehen zu können, muss man sich die zeitlichen und klimatischen Rahmenbedingungen vor Augen führen. Die Initiative „Neue Seidenstraße“, und damit die erste Idee für das Drehkreuz Khorgos, ist erst sechs Jahre alt. Alles, was hier geplant, entworfen und gebaut wurde, ist nach 2013 passiert. Allein auf kasachischer Seite wurden seither mehr als 90 Millionen Kubikmeter Sand bewegt, so meldet es die Staatspresse stolz. Dutzende Kräne, Lagerhallen, Silos sind auf beiden Seiten der Grenze gebaut worden, auf kasachischer Seite entsteht gar eine ganz neue Stadt namens Nurkent, in der die Beschäftigten des Terminals kostenlos wohnen sollen. Schon heute leben hier mehr als 1200 Menschen, besonders optimistische Pläne rechnen mit mehr als 100 000 Bewohnern in ein paar Jahrzehnten. Khorgos wäre dann nicht mehr bloß der Ort, an dem die Züge das Gleis wechseln, sondern Chinas Umschlagplatz für den Handel mit dem gesamten Westen. Waren aus allen möglichen Industriestandorten kämen hier an, würden gelagert, weiterverarbeitet, verpackt und dann gen Westen geschickt. Und vice versa. Es sind die Vertreter dieses Szenarios, die Khorgos schon mal provisorisch den Beinamen „neues Dubai“ verpasst haben, auch wenn hier bisher nur Gleise und Kräne im Sand stehen.

Denn der Ausbau geschieht unter extrem widrigen Umständen. Da die Steppe sich hier im Sommer stark aufheizt und die Temperaturen im Winter auf bis zu Minus 40 Grad fallen, müssen manche Container, die in Khorgos umgeschlagen werden, beheizt werden, etwa, wenn sie IT-Technik beinhalten. Andere, die etwa Lebensmittel transportieren, werden im Sommer gekühlt. Nördlich von Khorgos haben China und Kasachstan zudem begonnen, einen großen Staudamm zu errichten, um den Khorgos-Fluss in den Griff zu bekommen, der, im Sommer kaum mehr als ein Rinnsal, während der Schneeschmelze auf eine Breite von mehreren hundert Metern anschwillt, wie sich auf den Bildern unschwer erkennen lässt.

Der monströse Aufwand erbringt zwar erste Ergebnisse. So dauert es heute nur noch knapp vier statt vorher zehn Stunden, bis die aus China kommenden Waren von den schmaleren dortigen Gleisen auf die breiteren kasachischen umgeladen sind. Entsprechend attraktiver wird die Strecke: Im ersten Quartal 2019 passierten 181 Züge die Station, gut 40 mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Großteil der Züge ging nach Deutschland (67) oder Polen (63).

Auf den Bildern lässt sich aber auch erkennen, wie ambitioniert die Ziele für den trockenen Hafen noch sind – und wie weit der Weg bis dahin werden könnte. Wenn der Bau in Khorgos abgeschlossen ist, sollen dort eines Tages bis zu 1,5 Millionen Standardcontainer umgeschlagen werden. 2018 waren es jedoch erst 134 000 Container, schon das Ziel von 500 000 Containern im Jahr 2020 klingt da wie ein ferner Traum. Denn selbst die derzeitigen Volumina sind nur aufgrund der chinesischen Subventionen rentabel, die nach Expertenschätzungen 30 bis 40 Prozent der Gesamtkosten decken.

Auf dem Detailbild sieht man, dass zwischen dem nördlichsten und südlichsten Gleisstrang noch viel Raum für weitere Umschlagsplätze wäre, der bisher allein dafür genutzt wird, nicht gebrauchte Container in eher chaotischer Reihung zwischenzuparken. Auch das Raster an vierspurigen Straßen, das einst mit Lagerhallen, Wohnblocks und Industrieanlagen gefüllt werden soll, ordnet bisher allein die sandige Ebene.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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