Resilienz Die Auszeit ist die wichtigste Zeit des Tages

Nehmen Sie sich Ihre tägliche Auszeit, damit Sie nicht abgehängt werden. Quelle: Getty Images

Management ist ein Marathon, kein Sprint. Regelmäßige, am besten tägliche Auszeiten, helfen besser als seltenere, aber längere Sabbaticals, um im Beruf leistungsfähig zu sein.

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Weniger Stress, mehr Zeit für Familie und Freunde, gefolgt von Sport, gesunder Ernährung und Abnehmen führen alljährlich die Hitlisten der Neujahrsvorsätze an. Aber Achtung: Den Jojo-Effekt gibt es nicht nur bei Crash-Diäten, sondern auch bei der Stressbewältigung.

Manch einer wünscht sich zwar auf den Jakobsweg à la Hape Kerkeling oder ein Sabbatical unter kalifornischer Sonne wie sie einst bei Medienschaffenden en vogue waren. Selbst wenn es nur Varianten davon sind, erfahren dennoch viele Menschen, dass schon nach kurzer Zeit alles beim Alten ist und die Erholung wie weggeblasen scheint.

Deshalb bringen kleine, aber regelmäßige Erholungsmomente auf Dauer mehr als ein ständiges Auf und Ab zwischen Überstunden und längeren Auszeiten, egal, ob freiwillig oder erzwungen: „Wer regelmäßig am Tag runterschalten kann oder nach einer anstrengenden Projektphase ein bis zwei Tage frei nimmt, tut deshalb mehr für seine Gesundheit, sein Energielevel und Leistungskraft, als jemand, der über Wochen und Monate durchackert und darauf hofft, sich im Sommerurlaub zu erholen", erklärt Diplom-Biologin und Expertin für Stressresilienz, Carola Kleinschmidt. Der Rat, Pausen zu machen, klinge vielleicht banal, das Problem sei nur: „Wenn wir im Stressmodus sind, haben wir kein Gespür mehr für unser Erholungsbedürfnis.“

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Auch Studien zeigen, dass zeitnahe Erholung am besten geeignet ist, um Erschöpfung zu verhindern: „Pausen sind letztlich nur effektive Kraftspender, wenn man sie sich gönnt, bevor der Akku völlig alle ist“, so Kleinschmidt.

Die Erfahrung hat auch Marion L. gemacht, die ihren vollen Namen nicht öffentlich preisgeben möchte: „Kontinuierliche Erholungsmomente sind eindeutig effektiver als dieses ständige alles oder nichts“, sagt die Pressesprecherin, die nach mehreren Auszeiten auf einen neuen Lebenswandel setzt: „Bei meinem letzten Aufenthalt in der Burn-out-Klinik ging gar nichts mehr und ich habe dort gelernt, wie kleine Verhaltensänderungen den Alltag auf Dauer erleichtern können.“

Digitalisierung wohl dosiert

Es beginnt mit scheinbaren Kleinigkeiten, die sich in Summe aber zu einem Stressfaktor entwickeln können. E-Mails beantwortet sie jetzt nicht mehr vor der Arbeit oder am Abend Zuhause, sondern hat ein festes Zeitfenster am Arbeitsplatz dafür eingeplant. Und dann darf auch nicht gestört werden. Die aktive Einteilung der Aufgabenzeiten und die Konzentration auf eine Sache haben die Kommunikationsverantwortliche wesentlich stabiler und auch erfolgreicher gemacht, im Job wie auch privat. Patenkind und Wochenendhund – ein Kindheitstraum – tun ihr übriges.

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„Always on“, die ständige Erreichbarkeit via Smartphone, Tablet und Co. verwischt die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben – und je digitaler der Arbeitsplatz, desto mehr zieht die Beschleunigung an.

Laut repräsentativer DGB-Studie 2016 klagen 54 Prozent der Befragten über mehr Arbeit und 60 Prozent der von Digitalisierung betroffenen Arbeitnehmer über mehr Zeitdruck. Auch ständige Unterbrechungen beklagen 69 Prozent der Befragten – bei denen, die nicht digital arbeiten, sind es hingegen 36 Prozent.

Die Überforderung durch Digitalisierung beobachtet Carola Kleinschmidt auch in ihrem Beruf als Trainerin: Derzeit am meisten nachgefragt werden bei ihr von den Unternehmen „Arbeit 4.0 – wie wir auch in digitalen Zeiten gesund bleiben“ und „Reife Leistung – älter werden im Beruf“. Denn auch das Alter spielt natürlich eine Rolle bei der Kräfteeinteilung, auch wenn ungern darüber gesprochen wird.

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von Daniel Rettig

Pausen als Effizienzmotor

Beschleunigung und Verdichtung des Arbeitslebens ziehen mit der Digitalisierung weiter an: Der letzten TK-Stressstudie zufolge sagen 60 Prozent der Erwachsenen in Deutschland, dass ihr Leben in den vergangenen drei Jahren eindeutig stressiger geworden sei.

Stressfaktor Nummer Eins ist: Der Job. Darauf folgen die eigenen Ansprüche und vielen Verpflichtungen in der Freizeit. Je höher Bildungsgrad und Einkommen, desto höher steigt der Level des Stress: Ein Viertel der Hochschulabsolventen fühlt sich gestresst. Bei den Menschen in Haushalten mit mehr als 4000 Nettoeinkommen sind es sogar zwei Drittel.

Gehören neben Erfolgsdruck und Überstunden auch noch Pendeln und Dienstreisen zum Arbeitsalltag, sind längere Ausfälle programmiert. Zumal das Selbstbild oft nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

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„Gerade viel beschäftigte Manager haben häufig das Gefühl, sie bräuchten Pausen nicht wirklich dringend. Tatsache ist allerdings: Unser Gehirn kann nur im entspannten Modus kreative Prozesse durchführen oder wohl überlegte Prioritäten setzen. Im gestressten Zustand schalten wir auf Autopilot und spulen gewohnte Handlungen ab. Ohne Pause kann man also viel ackern, aber wirklich effizient und flexibel arbeitet man so nicht“, sagt Diplom-Biologin Kleinschmidt. Das fühle sich dann zwar geschäftig an, sei in der heutigen Arbeitswelt aber weder angemessen noch dauerhaft zielführend.

Mehr Achtsamkeit, mehr Widerstand(skraft)

Besonders Managern falle es schwer, sich vom maskulinen Stereotyp des ständig ackernden Geschäftsmannes zu lösen, bestätigt auch Marketingleiter Boris K.. Nach einigen Firmenfusionen und Change-Prozessen, die ihm körperlich und seelisch an die Substanz gegangen sind, findet er nun Ausgleich und Durchhaltevermögen in Yoga und autogenem Training – und einem Achtsamkeitskurs: Bewusstes Essen, Gehen, Atmen und Gedanken lenken – hört sich einfach an, haben aber viele verlernt.

Für mehr Achtsamkeit im Alltag
Meditieren ist nicht nur etwas für Esoteriker, sondern auch bei deutschen Führungskräften ein wichtiges Thema. Gemeinsam mit "Year of the X" hat die WirtschaftsWoche im Zen-Kloster Buchenberg im Allgäu ein Retreat organisiert und Führungskräfte, Neurowissenschaftler sowie buddhistische Mönche eingeladen, um der Frage nachzugehen, wie ein achtsames Leben aussehen kann. Der Name der Veranstaltung: "Mindful leadership in the digital age". Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche
Viele Menschen sind - gerade im Beruf - überfordert durch fast unzählige Kommunikationskanäle. Aus dem Leben wegzudenken sind diese aber auch nicht, vielfach erleichtern sie sogar das Alltagsleben. Obwohl sie doch ständig “on” sind, fühlen sich viele Leader und Mitarbeiter in Unternehmen wenig “connected”, berichten über Sinnkrisen und suchen nach neuen Ufern für ihre Selbstentfaltung. Burnouts, gescheiterte Familien, fruchtlose Meetings und “low energy” sind die Symptome des digitalen Zeitalters. Zeit, sich wieder auf sich und sein Leben zu besinnen... Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche
... etwa beim gemeinsamen Meditieren - morgens um 5.30 Uhr. 25 Minuten dauert eine Meditationsrunde in der Regel - insgesamt drei stehen morgens an, meist verbunden mit einer Teezeremonie. Menschen, die sich für bis zu drei Monate in das Kloster zurückziehen, folgen einem strikten Tagesablauf, der aus Meditieren, Vieraugengesprächen mit dem Zen-Meister, Arbeit, Essen und Sport besteht. Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche
Zen-Meister im Daishin Zen Kloster ist Hinnerk Polenski, der von einem japanischen Meister ausgebildet wurde. Er leitet das Haus im Allgäu und bietet dort verschiedene Seminare für Anfänger und Fortgeschrittene an. Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche
Aber nicht nur die persönliche Einkehr stand beim "Mindful leadership in the digital age" auf dem Programm, sondern auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen Achtsamkeit und neurowissenschaftlichen Betrachtungen. So sprach etwa WirtschaftsWoche-Herausgeberin Miriam Meckel über das Gehirn als Produktivitätsfaktor der Zukunft - und zeigte dabei, wie die Hirnleistung mit Medizin und Technik bereits heute gesteigert werden kann. Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche
Der Neurowissenschaftler Antonio Chevez zeigte live, wie sich die Aktivitäten des Gehirns verändern, sobald sogenannte Alphawellen eingesetzt werden. Diese reduzieren den Stress, dem unser Gehirn ständig ausgesetzt ist, weil es alle Arten von Reizen verarbeiten muss. Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche
Über Kopfhörer spielte Chevez der Versuchsperson Alphawellen vor. Schon nach wenigen Sekunden veränderte sich die Gehirnaktivität, wie auf den Bildschirmen im Hintergrund zu sehen ist. Nach einigen Minuten wechselte die Farbe von rot zu grün. Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche

„Dabei ist das nichts für Warmduscher. Hier geht es an falsche Glaubenssätze und schädliche Angewohnheiten, die es zu hinterfragen gilt. In den USA hat längst jeder seinen Psychiater, in Deutschland werden selbst solche Kurse unter anderen Titeln getarnt.“ Und in der Tat: Kurse wie „Real men do Pilates“, „Power Yoga“, Selbsterfahrungstrips in der Wildnis – oder zumindest im Wildgehege nebenan – boomen.

Alle haben sie etwas gemeinsam: Sie schaffen gezielte Auszeiten, in denen der Mensch sich bewusst nach innen wendet und alles andere ausblendet. Das lehren hiesige Religionen wie fernöstliche Philosophie schon seit Jahrtausenden gleichermaßen. Und dazu bedarf es weder einer Klosterwoche in Bayern noch eines Yoga Ashrams in Indien.

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