
Sanktionen gegen Internationalen Gerichtshof: „Microsoft steckt in der Trump-Falle“
Gerade mal drei Wochen ist es her, da warb Brad Smith, Präsident des Tech-Konzerns Microsoft, bei einer Veranstaltung des transatlantischen Thinktanks „Atlantic Council“ in Brüssel um Vertrauen. Wortreich erläuterte der zweite Mann hinter CEO Satya Nadella, wie der amerikanische IT-Riese Anwendungen und Daten seiner europäischen Kunden gegen Zugriffe durch US-Behörden schützen und den Betrieb der IT sicherstellen wolle, sollte die US-Regierung Microsoft dazu verpflichten, den Service für europäische Kunden einzustellen. Ein Szenario, das Wirtschaft und Politik zunehmend alarmiert, angesichts der Vehemenz, mit der US-Präsident Donald Trump die transatlantischen Politik- und Wirtschaftsbeziehungen infrage stellt.
Man werde eine „Notfallvorkehrung für die Betriebskontinuität“ treffen, um das Europageschäft gegen US-Auflagen sichern zu können, versprach Smith. Partnerschaften mit europäischen Dienstleistern sollten die in den Rechenzentren verarbeiteten Daten vor Zugriffen durch US-Behörden schützen und unter anderem gegen Abschaltanweisungen etwa durch Exekutivanordnungen durch den US-Präsidenten sichern. Bemerkenswerte Versprechen und ein bemerkenswert offener Konfliktkurs gegenüber Donald Trump – allerdings auch sehr viel Konjunktiv und vorerst vor allem Ankündigungen.
Wie belastbar die Ankündigungen aber im Ernstfall sind, das fragen sich gerade viele Verantwortliche in deutschen Unternehmen und Behörden angesichts der im Februar Sanktionen des US-Präsidenten gegen den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag, Karim Khan. Und – vor allem – angesichts der Folgen, die diese Sanktionen für Khans Zugriff auf sein Microsoft-Konto hatten. Denn, wie die Nachrichtenagentur „AP“ vor wenigen Tagen berichtete, sperrte nach Trumps Exekutivanordnung nicht bloß eine britische Bank Khans Konto: Auch Microsoft legte den Account des Chefanklägers im Februar still. „Wir standen mit dem Gericht während des gesamten Prozesses in Kontakt, der dazu führte, dass der sanktionierte Beamte von den Microsoft-Diensten abgemeldet wurde“, bestätigt ein Sprecher des Software-Konzerns in einer ansonsten sehr knappen Erklärung.
Das Microsoft-Konto braucht Khan vorerst zwar ohnehin nicht mehr. Vor wenigen Tagen hatte der Chefankläger, dem sexuelles Fehlverhalten gegenüber Mitarbeiterinnen vorgeworfen wird, angekündigt, sein Amt beim IStGH bis zum Abschluss externer Ermittlungen ruhen zu lassen. Doch die Folgen von Trumps Sanktionen für den exponierten Juristen alarmieren IT-Verantwortliche bei deutschen Behörden, Konzernen und Mittelständlern nicht minder: Denn dass eine Anweisung des US-Präsidenten reichen könnte, damit große US-Techkonzerne den Zugriff auf Nutzerkonten, Cloud-Dienste oder andere IT-Dienste abschalten, ist der Alptraum von Manager und Beamten gleichermaßen. Es sei gerade erst ein paar Wochen her, da habe ihn sein CEO zum Gespräch zitiert, erzählt der IT-Chef eines europäischen Baukonzerns: „Was machen wir, wenn Microsoft uns auf Trumps Geheiß die Lizenzen abklemmt?“
Und auch im Ministerium des neuen Bundesdigitalministers Karsten Wildberger ist man angesichts der Vorgänge beim IStGH sensibilisiert: „Die Bundesregierung beobachtet Entwicklungen im Bereich internationaler IT-Dienstleistungen und deren Auswirkungen auf Nutzerinnen und Nutzer sehr aufmerksam“, sagte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage der WirtschaftsWoche. IT-Fachleute aus dem Umfeld der Bundesregierung betonen, man habe mit verschiedenen Tech-Konzernen Maßnahmen vereinbart, die eine kurzfristige Abschaltung von US-basierenden Digitaldiensten und Szenarien wie beim IStGH „unwahrscheinlicher machen“. Fakt sei aber auch: Natürlich könne ein Hersteller Lizenzen sperren und „Stand jetzt lässt sich das kaum verhindern“.
Entsprechend vehement fordern Industrievertreter von Behörden und Unternehmen diesseits des Atlantiks, schneller und nachdrücklicher auf alternative IT-Dienste unter europäischer Kontrolle zu setzen. „Die von den USA angeordneten und von Microsoft mit umgesetzten Sanktionen gegen den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag müssen ein Weckruf für alle sein, die für die sichere Verfügbarkeit staatlicher und privater IT- und Kommunikationsinfrastrukturen verantwortlich sind“, so Peter Ganten, Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance – Bundesverband für digitale Souveränität (OSBA). „Wir brauchen dringend Alternativen, die wir kontrollieren und gestalten können.“
Der Verband vertritt gut 240 Unternehmen der IT-Wirtschaft, die sich Entwicklung, Vertrieb und Wartung sogenannter quelloffener Software verschrieben haben.
Der Fall von Karim Khan aus dem Februar ist nicht das erste Beispiel einer vom US-Präsidenten verordneten technologischen Abschaltung. Bereits in seiner ersten Amtszeit verbot Trump im August 2019 US-Unternehmen Geschäfte mit Unterstützern des venezolanischen Regimes zu machen. Daraufhin deaktivierte der Digitalspezialist Adobe alle Nutzerkonten im Land, hat die Abonnements der Kunden inzwischen aber wieder aktiviert, nachdem die US-Regierung die Sanktionen angepasst hat. Damals schien das ein „Ausnahmefall, bedingt durch ein angespanntes bilaterales Verhältnis“, kommentierte der IT-Chef eines deutschen Chemieunternehmens jüngst im Gespräch mit der WirtschaftsWoche und ergänzte: „Heute scheinen die transatlantischen Beziehungen kaum verlässlicher als damals die transkaribischen.“
Microsofts Balance-Akt
Für Microsoft kommt all das zur Unzeit. Denn kaum ein US-Tech-Unternehmen ist angesichts der transatlantischen Verwerfungen inzwischen so deutlich auf Distanz zum US-Präsidenten gegangen, wie der Windows-Konzern. Während sich etwa die Chefs von Amazon oder Facebook offensiv um die Nähe zu Trump bemühen und auch zu dessen Amtseinführung reisten, blieben Microsoft-CEO Nadella oder Vize Smith bei dem Event fern. Es ist ein Balance-Akt, bei dem es sich der Konzern mit dem neuen Präsidenten nicht ganz verscherzen will. Immerhin spendete Microsoft Medienberichten zufolge eine Million Dollar für das Event in Washington.
Zugleich aber ist den Microsoft-Chefs offenbar extrem bewusst, wie sehr Fälle wie der von Karim Khan ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen ihrer europäischen Kundschaft in die Verlässlichkeit des Konzerns gefährden. Und, dass Trumps Politik Microsofts Geschäft diesseits des Atlantiks akut bedroht. Das macht nach Branchenschätzungen immerhin um die 30 Prozent des globalen Konzernumsatzes von zuletzt 245,7 Milliarden Dollar aus. „Unser Geschäft erfordert es, das Vertrauen unserer Kunden in unsere Zuverlässigkeit sicherzustellen“, sagt Smith beim Auftritt in Brüssel.
Und so sehen Beobachter und Kenner des Unternehmens auch einen mehr oder minder direkten Bezug zwischen der Abschaltung von Khans Microsoft-Account und den Auftritt und die Ankündigungen des Konzern-Vizes wenig später in Brüssel. „Smith war bewusst, dass da eine Bombe tickt“, meint ein hochrangiger Microsoft-Ex-Manager. „Und auch, dass Microsoft Prozesse und Partnerschaften etablieren muss, um die potenziellen Auswirkungen weiterer Anordnungen Trumps auf die europäischen Kunden so gering wie möglich zu halten“, erläutert der langjährige Konzernkenner. Die von Smith in Brüssel vorgestellten „Notvorkehrungen“ seien der Versuch, einerseits der gesetzlichen Verpflichtung als US-Konzern nachzukommen, Anordnungen des Präsidenten nachzukommen, sie andererseits aber nach Möglichkeit weitestgehend zu entschärfen.
Das, so scheint es, war wohl auch die Maxime im Umgang mit Khan und dem IStGH. Zwar äußern sich weder das Gericht in Den Haag noch der Tech-Konzern konkret zu den Abläufen nach Trumps Abschalt-Anordnung. Microsoft aber betont, man habe „während des gesamten Prozesses mit dem Gerichtshof zusammengearbeitet und zu keinem Zeitpunkt einen seiner IT-Dienste für das Gericht als Ganzes abgeschaltet“. Kenner der IT-Szene interpretieren das als, den Versuch, das Unumgängliche so kundenfreundlich umzusetzen wie möglich.
„Denkbar ist, dass Microsoft, dem IStGH Vorlauf und Gelegenheit gegeben hat, Khans Nutzerdaten zunächst aus dem Kundenkonto zu exportieren, und dann unter Wahrung aller Sicherheitsmaßnahmen zu einem anderen Dienstleisters umzuziehen“, so ein Cloud-Experte. Laut Agentur „AP“-Bericht soll Khan seinen E-Mail-Verkehr inzwischen über den Schweizer Dienstleister Proton abwickeln.
Doch alle Bemühungen um eine Art „Sperre de luxe“ und die von Konzern-Vize Smith versprochenen europäischen Rückfalllösungen für in Europa gehosteten Cloud-Dienste ändern wenig daran: „Microsoft steckt in der Trump-Falle“, kommentiert ein IT-Experte aus dem Umfeld der Bundesregierung. Als US-Unternehmen unterliege Microsoft dem US-Recht und sei damit auch den Launen des Präsidenten erst einmal unterworfen.
Ende April in Brüssel habe Brad Smith zwar versprochen, gegen künftige Anweisungen, den Cloud-Betrieb einzustellen, vor US-Gerichten zu klagen, berichtet der Behördenberater. Aber den Beweis, dass Microsoft die Klagen gegen die Trump-Regierung auch durchziehe – und damit Erfolg habe – sei der Konzern bisher schuldig geblieben. „Der Umgang mit Karim Khan und dem Strafgerichtshof in Den Haag jedenfalls war nicht unbedingt eine ‚vertrauensbildende‘ Maßnahme“, sagt der Berliner IT-Experte.
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