Klimabilanz von Diesel und Elektromotoren Die fünf wichtigsten Kritikpunkte an der Sinn-Studie

Ex-ifo-Präsident Hans-Werner Sinn stufte in seiner Studie einen Tesla als klimaschädlicher als einen Diesel-Pkw ein. Quelle: dpa

Sind Diesel-Autos am Ende doch die umweltverträglicheren Fahrzeuge? Das behauptet der Ökonom Hans-Werner Sinn, der mit dem Kölner Physiker Christoph Buchal eine Studie herausgegeben hat. Ihre Berechnungen sind teilweise fragwürdig. Dies sind die fünf wichtigsten Punkte.

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1. Wie berechnet man den Verbrauch realistisch?

Sinn vergleicht einen Mercedes Diesel 220d (das ist, nach den Laborstandards, mit denen Sinn arbeitet, der Diesel mit den derzeit niedrigsten Verbrauchswerten in seiner Klasse) mit einem Tesla Model 3. Nach Sinns Berechnungen kommt der Tesla inklusive Herstellung und Betrieb mit konventionellem Strom auf einen CO2-Ausstoß von bis zu 181 Gramm je Kilometer, der Diesel nur auf 141 Gramm. Der Tesla hat mehr als die doppelte Leistung des Daimler, über 400 PS, der Daimler 194 PS.

Sinn argumentiert, beide Autos seien etwa gleich groß und unter anderem deswegen richtig gewählt, weil es sich „bei den verglichenen Modellen (…) um Autos mit windschnittigen Karosserien, die auch für größere Distanzen auf der Autobahn alltagstauglich sein sollen“, handele. Und später weiter: „Bei realistischeren Annahmen über die Fahrweise mit einem größeren Autobahnanteil bei hohen Geschwindigkeiten und hohem Luftwiderstand kann der Diesel seine Stärken eher noch besser zur Geltung bringen.“

Das Argument Luftwiderstand stimmt. Der Verbrauch der E-Autos steigt bei anhaltend hohen Luftwiderständen, etwa beim Schnellfahren auf der Autobahn, überproportional zur zurückgelegten Strecke, und er ist umgekehrt tendenziell viel geringer als bei Verbrennungsmotoren im Stop & Go in Städten, weil E-Autos hier die oft einsetzende Bremsenergie zurückgewinnen (rekuperieren, E-Motor wird zum Generator und speichert Energie in den Akku zurück).

Nur passt Sinns Argument nicht zu den in Deutschland üblichen Durchschnittsstrecken laut Statistik: Tatsächlich wird ein verschwindend geringer Bruchteil der jährlich in Deutschland gefahrenen rund 630 Milliarden Kilometer mit hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn zurückgelegt; 90 Prozent aller Fahrten sind kürzer als 40 Kilometer, meistens Pendlerstrecken. Im Schnitt beträgt die tägliche Streckenlänge 38 Kilometer.

Ein weiterer kritischer Punkt: Sinn hat die Verbrauchsdaten der beiden Autos mit dem veralteten Laborstandard NEFZ berechnet. Beim NEFZ-Verfahren wird im Labor 20 Minuten lang mit vierfach erhöhtem Reifendruck (8 statt 2 bar) und mit maximal 120 km/h gefahren, im Durchschnitt mit 33,6 km/h. Dafür braucht man weder 400 PS noch eine „windschnittige Karosserie“.

Nicht zuletzt wegen dieser Unzulänglichkeiten des NEFZ-Verfahrens hat der Gesetzgeber auf den deutlich realitätsnäheren WLTP-Standard umgestellt, der die Autobauer viel Geld gekostet hat und sie zum Teil vor ganz erhebliche Probleme stellte.

Aus empirischen Verbrauchsdaten zu beiden Fahrzeugen geht klar hervor, dass der Daimler-Diesel in Wahrheit 48 Prozent mehr verbraucht als die 4,4 Liter je 100 Kilometer, mit denen Sinn rechnet, der Tesla im Durchschnitt aber nur zehn Prozent mehr.

Von TV-Moderator Markus Lanz in dessen Talkshow am 1. Mai darauf angesprochen, warum er für seinen Vergleich Verbrauchsdaten verwendet habe, von denen er doch gewusst habe, dass diese falsch seien, und keinen Versuch unternommen habe, empirische Daten zu ermitteln, antwortete Sinn.: „Das wäre ja viel zu viel Aufwand.“ Außerdem brauche er „belastbare genormte Daten. “ Mit WLTP gerechnet kommt der Daimler auf 168 Gramm CO2 je Kilometer, ein Plus von 27 Gramm. Der Tesla verschlechtert sich ebenfalls gegenüber dem unrealistischen NEFZ-Wert, aber nur um 6 Gramm, auf 187 Gramm. Schon durch die Korrektur des Messstandards im Rechenmodell ist das Gesamtergebnis, der Diesel sei um 28 Prozent besser als der Tesla, nicht mehr haltbar.

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