Nach dem Fund von 29 Millionen Impf-Dosen in Italien bemüht sich der Hersteller AstraZeneca um Aufklärung. 16 Millionen der Einheiten seien bereits zur Lieferung in die EU vorgesehen, die restlichen 13 Millionen gingen über das Impf-Programm Covax der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an ärmere Länder, teilte der britisch-schwedische Konzern am Mittwoch mit.
Italienische Behörden hatten am Wochenende auf Initiative der EU-Kommission ein Werk des Pharmazie-Dienstleisters Catalent bei Rom durchsucht und dabei den Impfstoff entdeckt. Das hatte unter anderem in Frankreich für Unmut gesorgt, zumal in der EU ohnehin schon das Misstrauen gegenüber AstraZeneca groß ist. Der Konzern hinkt bei den für die EU zugesagten Lieferungen deutlich hinterher, was viele Kritiker als einen Grund für den teils schleppenden Verlauf der hiesigen Impfkampagnen sehen.
Catalent erklärte am Mittwoch, die Lagerung von 29 Millionen Impfdosen in dem Werk sei nicht ungewöhnlich. Manchmal habe man dort auch mehr. In der Fabrik werden Impfstoffe abgefüllt, die aus dem Werk AstraZeneca-Auftragszulieferers Halix in den Niederlanden und eines Zulieferers aus Belgien kommen. Laut AstraZeneca wird dort zudem Impfstoff abgefüllt, der von außerhalb der EU kommt. Die beiden Zulieferer sind in einem Vertrag zwischen der EU und AstraZeneca mit als diejenigen aufgelistet, aus denen die EU beliefert werden soll.
Wie sich die Corona-Impfstoffe unterscheiden
Forscher liefern sich weltweit ein Wettrennen um wirksame Impfstoffe gegen Covid-19. Alle Impfstoffkandidaten basieren auf demselben Grundprinzip: Dem Abwehrsystem des Körpers werden Teile des Coronavirus präsentiert (Antigene), auf die die Immunzellen eine Antwort (Antikörper) herausbilden und so eine Immunität gegenüber dem Krankheitserreger aufbauen.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen, etwa, welche Antigen-Teile dem Immunsystem wie präsentiert werden. Hier stehen derzeit zwei Entwicklungslinien im Fokus:
- Impfstoffe mit Vektorviren, das bedeutet so viel wie "Träger-Viren"
- und die neuartigen mRNA-Impfstoffe.
Stand: 11. Mai 2021
mRNA-Impfstoffe enthalten Abschnitte aus dem Erbgut des Coronavirus, die sogenannte messenger-RNA (kurz mRNA), die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Hiervon wird eine sehr geringe Menge dem Menschen in den Muskel injiziert. Die Körperzellen nehmen die Partikel auf und entschlüsseln die enthaltene Erbinformation. Kurzzeitig produzieren sie ein sogenanntes Spike-Protein, das an der Oberfläche des Coronavirus sitzt. Es macht vereinfacht gesagt dem Immunsystem deutlich, dass hier etwas Körperfremdes zu finden ist, das es unschädlich zu machen gilt. Für dieses Oberflächenprotein bildet das Abwehrsystem also Antikörper, die es ihm bei einer späteren Infektion mit dem Coronavirus ermöglichen, den Eindringling schnell zu erkennen und sofort eine Immunantwort parat zu haben.
Studien haben gezeigt, dass hiervon keine Gefahr für den menschlichen Körper ausgeht. Die eingeschleusten Erbgut-Teilchen werden innerhalb kurzer Zeit von den menschlichen Zellen abgebaut. Sie werden nicht in die menschliche DNA eingebaut. Sobald die mRNA des Impfstoffs abgebaut ist, findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Die mRNA-Impfstoffe können innerhalb weniger Wochen in sehr großen Mengen hergestellt werden. Sie bringen jedoch die Herausforderung mit sich, dass sie nach derzeitigem Forschungs- und Entwicklungsstand bei extrem niedrigen Temperaturen transportiert und dauerhaft gelagert werden müssen (-20 bis -80 Grad Celsius). Deshalb werden sie vorrangig in speziell dafür ausgerüsteten Impfzentren verabreicht. Hier soll der Moderna-Impfstoff allerdings einen Vorteil haben: Laut dem Hersteller kann er bis zu 12 Stunden bei Raumtemperatur und 30 Tage im Kühlschrank (2 bis 8°C) gelagert werden.
Für vektorbasierte Impfstoffe werden für Menschen harmlose Viren als kleine Transporter zweckentfremdet – sozusagen als trojanisches Pferd. Die Viren werden so verändert, dass sie in ihrem Erbgut auch den Bauplan für einen oder mehrere Bestandteile (Antigene) desjenigen Erregers enthalten, gegen den eine Immunität (Antikörper) aufgebaut werden soll. Das Prinzip ist immer das gleiche: Die menschlichen Zellen sollen auch hier Teile des Spike-Proteins des Coronavirus herstellen, damit das Immunsystem "weiß", wen es angreifen soll.
Auch hier werden die Viren-Erbinformationen nicht in die menschliche DNA eingebaut. Nach dem Abbau der von den Vektorviren übertragenen Erbinformation findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Vektorimpfstoffe wurden bereits zugelassen (zum Beispiel Ebola-Impfstoffe). Die Corona-Impfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson & Johnson (J&J) sind Vektorimpfstoffe. Diese haben gegenüber den mRNA-Impfstoffen den Vorteil, dass sie bei Temperaturen von 2 bis 8 Grad Celsius transportiert und gelagert werden können. Das macht ihren Einsatz in normalen Hausarztpraxen simpler. Das J&J-Präparat hat zudem den Vorteil, dass es nur einmal verabreicht werden muss. Die drei anderen bislang in Deutschland zugelassenen Corona-Impfstoffe (von AstraZeneca, Biontech/Pfizer und Moderna) müssen zwei Mal gespritzt werden.
Quelle: RKI, eigene Recherche
Allerdings hat das Werk in Halix noch keine EU-Zulassung. Vorher darf der dort hergestellte Impfstoff nicht in der EU verwendet werden. Nach Angaben aus EU-Kreisen ist mit der Zulassung in den kommenden Tagen zu rechnen. Warum AstraZeneca nicht schon früher um eine Genehmigung ersucht hat, war unklar. Der Konzern wollte sich dazu nicht äußern. Eigentlich hatte AstraZeneca der EU bis Ende Juni die Lieferung von 300 Millionen Einheiten des Impfstoffs zugesagt. Zuletzt hatte der Konzern dies aber auf 100 Millionen gekappt.
Die EU will aktuell schärfe Regeln auf den Weg bringen, mit denen sie die Ausfuhr von Covid-19-Impfstoffen aus der EU im Zweifelsfall blockieren kann. Am Mittwoch hatte ein Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gesagt, die EU sollte im Kampf gegen das Virus kein „zweckdienlicher Idiot“ sein, indem sie Vakzine exportiere, während andere Länder Vorräte für sich behielten. „Wir haben viel exportiert, wir haben uns an die Regeln gehalten. Von einigen unserer Partner lässt sich das nicht sagen“, hatte er erklärt. Die Kritik richtet sich vorrangig gegen Großbritannien und die USA.
Mehr zum Thema: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen droht mit einem Exportverbot von Impfstoff. Pfizer und Johnson&Johnson haben die Dosen ausgeführt, als sie in Europa noch gar nicht zugelassen waren: Erste Impfstoff-Lieferungen gingen schon im November aus Europa in die USA.