Wenn man als Chef mitten in der schlimmsten Krise hinwirft, also seine Firma im Stich lässt, ist das nicht leicht zu erklären. Leoni-Chef Aldo Kamper hat es trotzdem gewagt. Die neue Aufgabe an der Spitze der österreichisch-deutschen Sensor- und Lichttechnikfirma AMS Osram sei für ihn eine einmalige Chance. „Für mich ist es eine ‚once in a lifetime opportunity‘, ein ‚coming home‘“, sagte er am Donnerstagabend im Club Wirtschaftspresse München. „Mein Herz schlägt für die Halbleiterei.“
Kamper arbeitete 22 Jahre für den Münchner Lichttechnikhersteller Osram und leitete zuletzt deren Optohalbleitergeschäft, bis er 2018 an die Spitze des Nürnberger Autozulieferers Leoni rückte. Osram wurde wenig später nach langem Übernahmekampf vom österreichischen Sensorhersteller AMS übernommen. Diesen Zusammenschluss zu gestalten, die Kompetenzen beider Firmen noch besser zu bündeln, sei für ihn sehr attraktiv. „So habe ich mich schweren Herzens entschlossen, Leoni zu verlassen.“
Natürlich sei der Zeitpunkt „nicht schön“, räumte Kamper ein. Und ja, ihn habe beschäftigt, ob er Leoni im Stich lasse. Die jetzige Krise kam indes auch für ihn überraschend. Die Verhandlungen zum Verkauf der Autokabelsparte waren eine „Heidenarbeit“. Dass der Deal im Dezember platzte, war kaum absehbar. Auch der thailändische Erwerber Stark habe alle Vorbereitungen durchgezogen, inklusive einer Kapitalerhöhung. Als Stark den Deal cancelte, fehlte der vereinbarte Verkaufserlös von 442 Millionen Euro in Leonis Finanzplan. Der Aufsichtsrat heuerte per Anfang Januar zum zweiten Mal den Sanierungsberater Hans-Joachim Ziems an, der sofort die Gespräche mit den Banken aufnahm.
Mit dem Einzug von Ziems in den Vorstand sei „jemand an Bord, der die Lösung definiert“, sagte Kamper. Die Gespräche mit den Banken führe ohnehin Ziems. „Wir sind wahrlich nicht führungslos.“ Leoni habe eine Stillhaltevereinbarung mit den Banken bis Mitte des Jahres. Den Spartenverkauf will Leoni nun nicht nochmals starten. „Wir brauchen eine Lösung mit den Banken, die ohne einen Verkauf funktioniert“, sagte Kamper in dem Club-Gespräch.
Am Freitag teilte Leoni ad-hoc mit, dass der Zulieferer voraussichtlich eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung durchführen muss. Das heißt, dass auch die Aktionäre zur Kasse gebeten werden. Der Aktienkurs stürzte sofort um über ein Drittel auf weniger als vier Euro ab.
Aus heutiger Perspektive sei davon auszugehen, dass ein Beitrag der Aktionäre eine Voraussetzung für eine Refinanzierungslösung sein werde, teilte Leoni mit. Die Aktionäre würden „weitestgehend verwässert“ werden. Leoni hat nach eigenen Angaben Gespräche mit ihrem Großaktionär, der Pierer-Gruppe in Österreich, wegen einer Kapitalspritze aufgenommen. Diese habe erklärt, „unter bestimmten Bedingungen einen deutlichen Sanierungsbeitrag im Rahmen der Eigenkapitalzuführung leisten zu wollen“. Auch die Banken werden laut der Mitteilung auf Forderungen verzichten müssen. Verhandelt wird, dass sie hierfür Aktien oder nachrangige Besserungsscheine erhalten.
Kamper scheidet Ende März bei Leoni aus und rechnet damit, dass bis dahin eine Grundsatzeinigung mit den Banken gefunden ist. Leonis Nettofinanzschulden beliefen sich Ende September auf 1,5 Milliarden Euro. Ziel sei es, auch den Kunden aus der Autobranche weitere Zugeständnisse abzuringen, sagte Kamper. Leoni hatte sich Mitte der 2010er-Jahre mit einer fast ungebremsten Expansion bis zu Kampers Amtsantritt verhoben.
Kamper geht angesichts der Rolle von Leoni als Lieferant von Kabelnetzen für Autos nicht davon aus, dass sie das Unternehmen fallen lassen. Sowohl die Banken als auch die Hersteller glaubten, dass Leoni gebraucht wird. „Unsere Kunden wollen mehr mit uns machen“, sagte Kamper. Die Zulieferbranche sei ein hartes Geschäft. Er sei aber überzeugt: „Wenn man eine gemäßigte Wachstumsstrategie aussteuert, kann man vernünftige Renditen erzielen.“
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