Eine Anleitung zur Trennung Die Crux mit der Kündigung – was Gründer und Führungskräfte falsch machen

Quelle: Unsplash

Ob wegen eines aufgeblasenen Personalapparats oder eines Strategieschwenks: In den vergangenen Monaten haben viele Start-ups Mitarbeiter entlassen. Vor allem für Manager, die zum ersten Mal kündigen müssen, ist das eine unangenehme Aufgabe – auf die sie sich vorbereiten sollten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wie tückisch Kündigungen für Start-ups sind, weiß Miriam Feyer ganz genau. Gerade erst hat ein Bildungs-Start-up, das die Personalverantwortliche beim Risikokapitalgeber Speedinvest betreut, wieder das gemacht, wovon sie unbedingt abrät: kündigen in Schüben. Die Firma hatte im September Hunderte Stellen gekürzt. Kurz vor Weihnachten dann die Nachricht: Es müssen noch mehr Leute gehen.

Für Feyer ist das der Worst Case: „Du verlierst das Vertrauen der Mitarbeiter, die Produktivität leidet.“ Denn die Belegschaft frage sich umso mehr: Kommt bald die nächste Welle und trifft es dann mich? Es sei kein gutes Management, sagt Feyer, wenn nach kurzer Zeit erneut Trennungen anstünden. „Lieber einmal eine gut überlegte, strenge Rechnung, und dann ist Ruhe.“

Dass Gründer die Macht und Wirkung eines großen Stellenabbaus unterschätzen, erlebt Feyer immer wieder. Ihr Beispiel zeigt: Kündigungen müssen rechtlich sauber sein, sind aber viel komplexer als die bloße Nachricht schwarz auf weiß vermuten lässt. Auch für all das, was über die juristischen Feinheiten hinausgeht, braucht es Fingerspitzengefühl. Die Art und Weise, wie Trennungen ablaufen, bleibt denen, die weiter für das Unternehmen arbeiten, schließlich nicht verborgen. Sie haben Auswirkungen auf die Belegschaft und den Ruf des Hauses. Und wenn es schlecht läuft, leidet die Motivation und das Vertrauen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Wer ein Start-up gründen möchte, braucht dafür Geld und im besten Falle einen Mentor, der ihn unterstützt. WiWo Coach und Investor Philipp Werner weiß, wie man an beides kommt.
von Philipp Werner

Das hat sich in den vergangenen Monaten nirgends so deutlich gezeigt wie in der Start-up-Welt. Vor allem einige Fintechs und Lieferdienste wie Gorillas oder Flink hatten ein schwieriges Jahr. Gorillas wurde inzwischen von Konkurrent Getir aufgekauft. Flink musste in Österreich bereits Insolvenz anmelden.

Das Immobilien-Start-up McMakler kündigte rund 300 Arbeitsverträge in diesem Jahr. Dem Carsharing-Angebot ShareNow verordnete der neue Eigentümer, der Autokonzern Stellantis, einen Profitabilitätskurs – knapp 50 Entlassungen. Und GoStudent, ein digitales Bildungsangebot, gab erst vor wenigen Tagen zu, sich zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate von Kollegen zu trennen. Ex-Mitarbeiter berichteten in einem Artikel der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ von einem „System des langen Hinhaltens und Wachstumsfantasien, für die ein hoher Preis zu zahlen ist“.

Die Gründe für die Kündigungswelle sind vielfältig. Manche Start-ups haben in Zeiten riesiger Finanzierungsrunden ihr Personal massiv ausgebaut – und manchmal eben zu üppig. Das rächt sich nun: In Zeiten, in denen aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Krise weniger Kapital im Markt ist und Investoren viel genauer prüfen, wann die Firma profitabel sein kann, ist Personal ein Kostentreiber auf dem Prüfstand.

Der Deutsche Startup-Verband will zwar nicht von einer allgemeinen Kündigungswelle sprechen. Die Zahlen der Beschäftigten und geplanter Neueinstellungen blieben stabil. Auszuschließen sei ein „Rückgang der Beschäftigungszahlen“ aber nicht. Der Geldfluss von den Investoren an die Start-ups ist 2022 jedenfalls massiv eingebrochen. Zwar war das Jahr laut einer Analyse des Beratungsunternehmens EY mit rund 9,9 Milliarden Euro Risikokapital das zweitbeste seit Erhebung der Daten 2015. Die Wachstumsfirmen bekamen demnach aber 43 Prozent weniger Risikokapital als noch 2021.

Wenn angestrebte Projekte, etwa eine Expansion in die USA, für die bereits Mitarbeiter eingestellt sind, wegen der angespannten Lage abgesagt werden müssen, sind Kündigungen unvermeidbar. Miriam Feyer hat erlebt, dass diese Mitarbeiter dann in manchen Fällen nach wenigen Wochen wieder gehen müssen. Sie berät für Speedinvest die Unternehmen im Portfolio, darunter die Versicherungsplattform Wefox und der Elektroscooter-Verleiher Tier. Feyer stellt fest, dass viele Jungunternehmer verunsichert sind und sie um Rat fragen. Sie wollen wissen, wann Kündigungen unausweichlich sind, wie man sie am besten umsetzt, was man wie und wann kommuniziert.

Lesen Sie auch: Weil in Deutschland mehrere Zehntausend Lehrer fehlen, bleibt die individuelle Förderung von Schülern häufig auf der Strecke. Nun ziehen Apps ins Klassenzimmer ein.

Auch in GoStudent ist Speedinvest investiert. Zu konkreten Firmen äußert Feyer sich zwar nicht, viele hätten aber ihre Planungen korrigiert, sagt sie. Was sind die konkreten Ziele für die kommenden 18 Monaten? Welche Mitarbeiter brauchen wir dafür wirklich?

Wenn die Antwort auf diese Fragen lautet, dass einzelne Bereiche ausgedünnt oder gleich aussortiert werden, bespricht Feyer mit den Gründern das Vorgehen. Die oft gepriesene Start-up-Kultur, durchlässig, hierarchiebefreit und menschlich, müsse sich auch im Umgang mit Trennungen widerspiegeln, mahnt die HR-Expertin. „Start-ups probieren nicht nur, tolle Apps und Produkte herzustellen, Gründer wollen auch den Arbeitsplatz von morgen schaffen.“ Daran müssen sie sich messen lassen. „Kündigungen sind für niemanden lustig. Auch Gründern gehen sie nahe. Aber sie sind Unternehmer und müssen schwierige Entscheidungen treffen, um langfristig das Geschäft zu bewahren.“ 

Tipps für das Kündigungsgespräch

Von vornherein sollten Gründer neuen Mitarbeiter klarmachen, dass ein Arbeitsplatz in einem jungen Unternehmen im Aufbau womöglich nicht der sicherste ist, und ihnen sagen, dass zuletzt eingestellte Kollegen im Zweifel auch die sind, die als erstes wieder gehen müssen. Und wer der Chef ist, der das Fortbestehen des Unternehmens über die persönliche Beziehung zum Mitarbeiter stellen muss.

Unbeliebte Pflicht für die Führungskraft

Das Überbringen von Kündigungen zähle zu den „schlimmsten Dingen für alle Leute, die im HR-Bereich arbeiten“, sagt Lucian Becher. Das hat er als Leiter Recht und Personal beim Technik-Verleiher Grover gerade selbst durchgemacht. Grover hatte erst im vergangenen Frühjahr eine Milliardenbewertung bekommen, setzte vor wenigen Wochen aber einige Dutzend Mitarbeiter vor die Tür, um die Gewinnschwelle zu erreichen. Keine schöne Aufgabe für ihn und seine HR-Kollegen, aber, sagt Becher: „Man ist es den Leuten schuldig, als Arbeitgeber in diese Gespräche zu gehen“.



In der Pflicht sieht Sabine Moreno, früher Personalleiterin beim Aufzugbauer Schindler, heute Beraterin und Coach, aber nicht nur die Personaler, sondern vor allem die jeweiligen Vorgesetzten. Wenn sich eine Führungskraft von jemandem trennen wolle, müsse sie das schon selbst durchziehen. „Jeder freut sich, wenn’s jemand anderes macht. Aber das ist eine Frage des fairen Umgangs miteinander – und der Haltung von Führungskräften. Das dürfen sie nicht einfach an die Personalabteilung delegieren.“

Das Problem: Führungskräfte seien oft nicht richtig auf Kündigungen vorbereitet. Die sollten Teamleiterinnen, Abteilungschefs und Gründerinnen unbedingt üben, empfiehlt die Beraterin. Etwa in Rollenspielen. Um die harten Worte schon einmal ausgesprochen, jemandem ins Gesicht gesagt und aus eigenem Mund gehört zu haben. Eindeutig, unmissverständlich und ohne Umschweife. Denn sie erlebe es immer wieder, „dass Führungskräfte dem emotionalen Druck nicht standhalten“, sagt Moreno. Sie rät, sich sehr gut auf das Gespräch vorzubereiten und nicht zu verstellen. Das richtige Maß an Mitgefühl könne man sich nicht zurechtschneiden. „Entweder Sie sind authentisch oder es kommt gekünstelt rüber.“

Ist der Tag gekommen, sei auch ein Stück weit Überzeugungsarbeit gefragt, erklärt Becher. Er will den Mitarbeitern schlüssig erklären, warum sie gehen müssen. Gerade dann, wenn es eben wenig mit ihnen und ihrer Leistung zu tun hat. Im ersten Moment sei es jedoch wichtig, die Infos „knapp und griffig“ zu transportieren. Denn Empfänger solcher Nachrichten verfielen häufig in einen „Zustand des Schocks“, in dem sie kaum noch aufnahmefähig seien. Becher empfiehlt, in einer Mail nach dem Gespräch noch einmal alles zusammenzufassen.

Das Abschaffen ganzer Bereiche oder eine Neuausrichtung muss aber auch denen, die bleiben, verständlich gemacht werden. „Wenn man einfach sagt, wir reduzieren Stellen, steckt darin implizit die Aussage, die Leute hatten zu wenig zu tun. Das darf nicht passieren“, sagt Becher. Deswegen sei es die Aufgabe der Führungsmannschaft, aus ihrer Sicht notwendige Veränderungen mit Zahlen zu belegen.

Laut Feyer dauert der gesamte Prozess von der Entscheidung für Kündigungen über die Abwägung, wie viele und welche Kollegen es treffen wird und was das kostet, bis zur letztendlichen Verkündung mehrere Wochen. In unterschiedlichen Ländern können Mitarbeiter mit unterschiedlichen Kündigungsfristen oder Bedingungen für Abfindungen betroffen sein. Die Finanzabteilung muss alles durchrechnen. Anwälte und HR-Abteilung müssen die Trennungen wasserdicht vorbereiten, die verbale Kommunikation und die schriftliche.

Koehler Paper Ein Papierhersteller, der Zoll – und eine Rechnung über 193.631.642,08 Dollar

US-Behörden setzen dem deutschen Papierhersteller Koehler Paper mit einer horrenden Rechnung zu: Der Mittelständler aus Baden-Württemberg soll Zölle und Zinsen von insgesamt 194 Millionen Dollar überweisen.

Immobilien Hat die Einzimmer-Wohnung ausgedient?

Die Chancen für Kapitalanleger sind so groß wie nie, sagt Immobilienexperte Florian Bauer. Und erklärt, warum eine Dreizimmerwohnung in Hannover vielversprechender ist als eine Einzimmerwohnung in München.

Chaostage in Lehrte Die seltsame Pleite der Helma Eigenheimbau AG

Nach dem Insolvenzantrag der börsennotierten Helma Eigenheimbau AG kippen nun wichtige Tochterunternehmen in die Insolvenz – und das Pleite-Manöver des Aufsichtsrats wirft neue Fragen auf.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Becher ist es wichtig, schnell zu handeln, bevor sich Gerüchte verbreiten. Von der Entscheidung, Mitarbeiter zu entlassen, bis zu den tatsächlichen Kündigungen sei in Grovers Fall weniger als ein Monat vergangen. „Wir wollten vermeiden, dass ein Zustand der Angst und Ungewissheit eintritt.“ Diese Angst, dass vorab etwas durchsickert und Unruhe auslöst, wenn es zu lange dauert, sieht Feyer in der aktuellen Situation weniger. „Nachdem so viele Start-ups Mitarbeitern gekündigt haben, machen sich ohnehin viele Sorgen.“

Hinweis: Dieser Artikel ist ursprünglich am 3. Januar erschienen. Wir haben ihn aktualisiert.

Lesen Sie auch: Streit um Elektroroller-Design Start-up gegen Goliath

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%