Kumpan Streit um Elektroroller-Design: Start-up gegen Goliath

Das Gründertrio des Elektroroller-Bauers Kumpan.

Elektroroller-Bauer Kumpan will international wachsen, doch der wichtige italienische Markt ist seit Jahren blockiert: Piaggio wirft dem deutschen Start-up vor, das Roller-Design zu kopieren – und wehrt sich.

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Ein nüchternes Aktenzeichen – ein emotionales Verfahren. Unter der Nummer 004363588-0001 ist das Design des Elektrorollers beim Amt der Europäischen Union für das geistige Eigentum (EUIPO) seit 2017 hinterlegt. Doch in dem Datenblatt steht auch: „Nichtigkeitsverfahren anhängig“. Seit 2018 wehrt sich das deutsche Start-up Kumpan gegen den Vorwurf, mit dem Design zu nahe an den Formen der legendären Vespa zu sein.

Dieser Widerspruch stammt von der Piaggio-Gruppe. Der Konzern blockiert mit dem Vorgehen seit mittlerweile vier Jahren den italienischen Roller-Markt, den wichtigsten in Europa, für das Remagener Unternehmen. „Es geht um nichts anderes, als uns maximal auszubremsen“, sagt Patrik Tykesson, einer der drei Brüder, die Kumpan Electric 2010 gegründet haben.

Auf der einen Seite das risikokapitalfinanzierte Start-up, auf der anderen Seite die börsennotierte Firmengruppe, die 2021 knapp 1,7 Milliarden Euro mit dem Verkauf von Rollern und Motorrädern von Marken wie Vespa, Aprilia oder Moto Guzzi erlöst hat. „Das fühlt sich an wie David gegen Goliath“, sagt Tykesson. Immer wieder müssen sich Tech- oder Hardware-Gründer mit Urheber- oder Markenrechtsvorwürfen von großen Wettbewerbern auseinandersetzen. Die Urteile fallen dabei unterschiedlich aus. Eine Gemeinsamkeit ist jedoch: Frisch gegründete Firmen belasten diese Auseinandersetzungen deutlich stärker als Konzerne mit gut ausgestatteten Kassen und Rechtsabteilungen.

Finale Entscheidung rückt näher

Das juristische Tauziehen von Kumpan und Piaggio geht jetzt aber in die wohl letzte Runde: Zwei Mal hat die Beschwerdekammer des EUIPO zugunsten des Start-ups Electric geurteilt, die letzte Entscheidung fiel Mitte August und enthielt klare Worte: „Die bildliche Ähnlichkeit ist sehr gering“, heißt es unter anderem in dem Beschluss des Gremiums.

Doch vor wenigen Wochen, gerade noch im zulässigen Zeitraum für Widersprüche, habe Piaggio erneut Einspruch eingelegt, sagt Tykesson. Im nächsten Schritt dürfte das Verfahren jetzt vor den Gerichtshof der Europäischen Union gehen – der aber vor allem das Verfahren prüft, weniger die inhaltlichen Argumente. Danach bliebe noch der Europäische Gerichtshof als höchste rechtliche Instanz in der EU. Mit vergleichbaren Vorwürfen gegen ein chinesisches Unternehmen war der italienische Konzern bereits 2019 gescheitert. Piaggio selbst reagierte nicht auf mehrfache Anfragen der WirtschaftsWoche.

Böse Überraschung auf der Mailänder Messe

Die deutschen Gründer hoffen nun, dass sich das vierjährige Tauziehen dem Ende zuneigt. Begonnen hatte es im November 2018 auf der Motorradmesse EICMA in Mailand. Kumpan wollte auf dem Branchentreff seinen 100 km/h schnelles Spitzenmodell präsentieren. Und hatte sich strategisch in der Nähe vom Piaggio-Stand präsentiert, berichtet Tykesson heute. Doch plötzlich standen Beamte der italienischen Finanzpolizei am Kumpan-Stand – und beschlagnahmten kurzerhand alle Ausstellungsstücke.

In Deutschland in dem Ausmaß undenkbar, nach italienischem Recht war ein so radikales Vorgehen zumindest laut Gesetzestext möglich. „Da ist man komplett überfordert“, erinnert sich Tykesson. Sein Bruder Philipp versuchte in Mailand, die Fäden in der Hand zu behalten.

Die größte Sorge der Gründer: Dass die eigenen Roller direkt der Konkurrenz in die Hände fallen. „Wir konnten zum Glück den Standort überwachen und haben gesehen, dass sie auf einem gesicherten Abstellplatz standen“, sagt Patrik Tykesson. Er stellte am Start-up-Sitz im Mittelrheintal den Krisenstab zusammen. Nach dem ersten Schock fiel die Entscheidung: Kumpan schaltet auf Angriff. „Wir wussten, dass wir alles richtig gemacht haben“, sagt Tykesson, „daher war klar: Den Kampf nehmen wir auf.“ Mit etwas Abstand stellte sich sogar ein gewisser Stolz bei den Gründern ein: „Eigentlich ist es ein Ritterschlag für unser Produkt, wenn jemand keine bessere Waffe sieht als diesen Weg.“

Design-Streit bremst das Start-up aus

Doch der Schaden war trotzdem groß. Im ersten Jahr nach dem spektakulär beendeten Messeauftritt fiel es dem Start-up schwer, in vielen Ländern Importeure für das eigene Produkt zu finden. Die wollten nicht in eine junge Marke investieren, solange noch ein rechtliches Risiko bestand. In Italien, wo aktuell mehr als 60.000 Roller pro Jahr verkauft werden, ist Kumpan bis heute nicht vertreten.

Dazu kommen die Kosten für drei Anwaltskanzleien, die sich im Auftrag des Start-ups mit dem Rechtsstreit befassen. „Das hat uns viel Energie und Sorge gekostet“, sagt Tykesson.

Dabei gibt es eigentlich auch so genug zu tun: Je höher die Spritpreise, desto neugieriger schauen sich Verbraucher nach elektronisch angetriebenen Fahrzeugen um, beobachtet das Remagener Start-up – in manchen Haushalten ersetzt der Kumpan-Roller das Zweitauto. Gleichzeitig hemmen Lieferkettenprobleme die Produktion. Die hatte das Gründertrio 2015 eigentlich auch aus diesem Grund aus Asien nach Deutschland zurückverlegt. Trotzdem fehlen immer wieder Teile. Kurzerhand baute das Start-up in diesem Jahr einen Zweitmarkt auf, über das es gebrauchte und generalüberholte Roller verkauft.

Vorläufiger Freispruch für das klassische Design

Doch die Hoffnung ist groß bei den deutschen Gründern, dass in den nächsten Monaten Rechtssicherheit einkehrt. „Vielleicht können wir irgendwann 2023 in den Verkauf in Italien gehen – dann sprechen wir von nahezu fünf verlorenen Jahren“, sagt Tykesson. Dabei hatte sich das Start-up bereits bei der Modell-Überarbeitung 2017, die den Trubel auslöste, nach eigenen Angaben rechtlich abgesichert, um möglichst keine bestehenden Geschmacksmuster zu verletzen.

Man habe sich orientiert an einer generellen klassischen Formgebung aus den 40er-Jahren, sagt Tykesson, nicht an dem Kult-Roller Vespa. Die Modelle stimmten in den „Elementen überein, die Motorroller gewöhnlich aufweisen“ heißt es im Beschluss der Beschwerdekammer – in der Ausgestaltung dieser Merkmale bestünden jedoch „deutliche Unterschiede“.

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Zumindest vorläufig also gute Nachrichten für Kumpan – und andere große wie kleine Motorroller-Produzenten: „Hätte Piaggio hier gewonnen, hätte es gar keine klassischen Designs mehr im Benziner- oder Elektroroller-Segment geben dürfen“, sagt Tykesson.

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