Klimaschutz-Sofortprogramm der Grünen Das planen Baerbock und Habeck

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, kommen zur Vorstellung des „Klimaschutz-Sofortprogramms“ der Partei. Quelle: dpa

Der Umbau der Wirtschaft weg von fossiler Energie soll alles in einer Regierung mit den Grünen bestimmen. Eine Analyse.

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Eine „Zumutung“ komme auf die Menschen und auf die Wirtschaft zu, wenn Deutschland zügig von fossiler Energie hin zu klimaneutraler Wirtschaftsweise umstelle, hat Grünen-Parteichef Robert Habeck jüngst schon bei seiner Küstentour wissen lassen. Was genau damit gemeint ist, stellten Habeck und Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Dienstagmittag im ländlichen Kreis Barnim in Brandenburg vor.

Dort an der Hellmühle, im Naturschutzgebiet, wollen die Grünen mit dem „Klimaschutz-Sofortprogramm“ nach der längeren Diskussion um die Eignung Baerbocks wieder inhaltlich im Wahlkampf auftauchen. Sie reihen darin Bekanntes und Unerwartetes aneinander. Sie wollen vermitteln, dass sich alle Entscheidungen aus ihrer Sicht in einer neuen Bundesregierung an den Bedürfnissen des Klimaschutzes und des Umbaus der Wirtschaft auszurichten haben.

Dabei fordern sie (unerwartet), als Teil des „sozial gerechten“ Klimaschutzes müsse der Mindestlohn sofort auf 12 Euro in der Stunde steigen – „damit gerade Menschen mit niedrigem Einkommen nicht durch steigende Preise bei einzelnen Gütern im Klimaschutz überfordert werden“. Nicht finden lassen sich zum Beispiel Verbote von Inlandsflügen oder eine Festlegung, dass keine neuen Verbrennungsmotoren bei Autos zugelassen werden sollen. Habeck sagt zum einen: „Wir haben die wirklich CO2-mindernden Dinge hier nach vorne gestellt“. Also nicht das schwierige und fürs Klima womöglich nicht besonders hilfreiche Flugverbot. Und das Ende des Verbrenners werde sich „aus der Logik der Maßnahmen am Ende automatisch ergeben“, das müsse nicht per Datum darin festgelegt werden.

Es ist eine Mischung aus Verheißung und Zumutung, die sich hier verbirgt. Die Innovationen für die Wirtschaft werden hervorgehoben, Wachstum als gut dargestellt, so lange es denn klimaneutral werde. Die Verlierer und Verliererinnen werden so genau nicht benannt. Mieter und Mieterinnen wird versprochen, die durch mehr Klimaschutz steigenden Heizkosten müssten sie nicht tragen unter grüner Regierungsbeteiligung. Das Sozial-Kapitel verspricht nicht nur den hohen Mindestlohn im Vergleich zu heute 9,60 Euro die Stunde. Es soll auch ein neues Kurzarbeitergeld geben, damit sich Beschäftigte qualifizieren können, deren Job wegen des Umbaus der Wirtschaft hinfällig wird.

Damit Bürger und Bürgerinnen sowie Unternehmer und Unternehmerinnen mitgehen und damit die Umstellung für das Industrieland funktioniert, wollen die Grünen als mögliche Beteiligte an einer Regierung schon in den ersten 100 Tagen das Programm auf den Weg bringen. Eine Klima-Task-Force soll dazu regelmäßig tagen, ein Klimaschutzministerium soll federführend daran arbeiten und Vetorecht gegen andere Ressorts haben. Wie dieses umfassende Veto genau funktioniert, das doch eher im Kanzleramt funktionieren dürfte, blieben die beiden Parteioberen bei diesem Termin im Grünen eher schuldig.

Im Programm sind umfangreiche Investitionen und eine Förderung des Staates und Anreize wie ein hoher CO2-Preis für klimaschädliches Wirtschaften genannt. Das gehört zu dem, was man von der Ökopartei erwartet. Nicht alle dieser Versprechen haben bereits ein Preisschild. Die Grünen gehen davon aus, dass der Staat in den nächsten zehn Jahren rund 50 Milliarden Euro im Jahr dafür zugeben und anreizen soll. Stark klimaschädlichen Industrien wie Stahl, Aluminium oder die Erzeugung von Grundstoffen wie Zement soll mit Klimaschutzverträgen und Zahlungen des Staates der Übergang zu klimafreundlicher, aber teurerer Produktion geebnet werden – und hoffentlich treibhausgasfreier Produktion dereinst. Ohne Schutz wären die Unternehmen nicht konkurrenzfähig, ob das in der EU kompatibel ist oder innerhalb der Welthandelsvereinbarungen, bleibt noch offen.

Auch Verbote und Gebote wie eine Solardachpflicht, ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen, keine neuen Ölheizungen und ein Kohleausstieg schon im Jahr 2030 tauchen auf. Hauseigentümer und Vermieterinnen sollen nach Vorstellung der Grünen den CO2-Preis beim Heizen ganz tragen, um damit einen hohen Anreiz zum Wechseln der Wärmequelle zu haben – und um sozial bedacht zu agieren. Mehrheiten dürften dafür schwer zu erreichen sein.

Der Preis auf klimaschädliche Gase, die bei der Industrie, durch den Verkehr und beim Heizen anfallen, soll deutlich steigen. Bei den Emissionen aus Industrie und Energieerzeugung sollen es 60 Euro Mindestpreis ein, der damit über dem europäischen Emissionshandelspreis liegt, der bereits für diese Sektoren eingeführt ist. Bei Heizen und Verkehr wollen die Grünen schon ab 2023 einen Preis in Deutschland von 60 Euro einführen. Bisher ist im Jahr 2025 ein Preis von 55 Euro je Tonne CO2 vorgesehen. Dazu soll es umfassende soziale Ausgleichszahlungen geben, damit Ärmere nicht überlastet würden.

Das alles sei eine Jahrhundertaufgabe und weder die Ziele der bisherigen Regierung zum Ausbau erneuerbarer Energie wie Wind- und Solarkraft sei annähernd ausreichend noch sei genug für schnelle Genehmigungen und die Umsetzung neuer Ideen getan worden. Mehr Windkraft und mehr Fläche für Windkraft sind vorgesehen sowie einfachere Regeln, damit etwa die Industrie selbst Ökostrom erzeugen kann.

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Schneller genehmigen, Bürokratie abschleifen und Innovationen antreiben. Hier geben sich die Grünen eine wirtschafts- und industriefreundliche Seite, die womöglich glaubhafter ist als das Zögern der bisherigen Bundesregierung. Etliche Vertreter und Vertreterinnen der Unternehmen geben zu verstehen, sie seien längst bereit, in Richtung klimaneutral aufzubrechen. Sie wüssten aber bisher nicht, was die Bundesregierung wolle oder bereit sei zu tun. Womöglich wissen sie das nach der Wahl auch noch nicht so schnell. Die zehn Klimaschutz-Sofort-Punkte der Grünen dürften auch bei einer Beteiligung an einer Regierung nicht alle Wirklichkeit werden.

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