Internet-Nutzer Gebt her Eure Daten!

Wirtschaftswissenschaftler haben in vielen Studien festgestellt: Verbraucher geben Unternehmen bereitwillig ihre Privatsphäre preis - und lassen sich mit Peanuts abspeisen. Warum ist das so?

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Facebook: Die Nutzer des sozialen Netzwerks verraten dem Unternehmen viel über sich selbst. Quelle: handelsblatt.com

Glaubt man Facebook, dann kostet die Privatsphäre in etwa so viel wie eine Tüte Popcorn. Das soziale Netzwerk bietet seinen Nutzern neuerdings Prämien, damit die verraten, wo sie gerade sind. Wer über sein Handy mitteilt, über welche Straße er geht, bekommt im Gegenzug einen Popcorn-Gutschein für das nahe gelegene Kino. 

Für Facebook ein guter Tausch. Denn Standortdaten sind bares Geld wert. Je mehr Facebook davon sammelt, desto besser erschließt sich, wo die Nutzer wohnen, arbeiten und einkaufen. 

Ökonomen stellt der lasche Umgang der Nutzer mit ihren Daten vor ein Rätsel: Obwohl die Debatte über den Datenschutz voll entbrannt ist, lassen sich Kunden mit Popcorn und Peanuts abspeisen. Bereitwillig geben sie Privates preis, ohne sich dafür angemessen entschädigen zu lassen. In einer Reihe von Studien gehen Wirtschaftswissenschaftler der Frage nach, wie ernst wir den Schutz unserer Daten wirklich nehmen. Die Ergebnisse demonstrieren, welch enorme Lücken zwischen der angeblichen Vorsicht und dem tatsächlichen Umgang mit Daten klaffen. 

Der Ökonom Alessandro Acquisti beobachtet seit Jahren ein widersprüchliches Verhalten: Die meisten Menschen sagen, dass ihnen Datenschutz wichtig ist, sind aber nicht bereit, für den Schutz ihrer Privatsphäre zu zahlen.Vielen Menschen ist der Schutz ihrer Daten noch nicht mal einen Dollar wert ist, zeigte er in einem Experiment an der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh. 

Der Ökonom ließ Studenten einen Intelligenztest machen. Anschließend verteilte er an jeden Testteilnehmer zehn Dollar und setzte alle zusammen in einen Raum. Dort drohte er den Teilnehmern, dass er ihren Intelligenzquotienten veröffentlichen würde, wenn sie ihm nicht einen Dollar Datenschutzgeld zahlten. 

Niemand war bereit, für den Schutz seiner Privatsphäre Geld auf den Tisch zu legen, obwohl einige Teilnehmer schlecht abgeschnitten hatten und vorher angekündigt hatten, dass sie ihre zehn Dollar wieder hergeben wollen, wenn ihre Ergebnisse im Gegenzug nicht öffentlich würden. Die Berliner Ökonomin Dorothea Kübler hat bei einem Experiment Ähnliches beobachtet. Kübler und zwei Kollegen ließen 225 Berliner Studenten im Internet DVDs bestellen. Die Studenten hatten zwei Online-Shops mit identischem Angebot zur Auswahl.

Nur bei den Preisen und Datenschutzbestimmungen unterschieden sie sich. Bei einem Shop gab es jede DVD einen Euro billiger. Dafür mussten die Kunden dort mehr Angaben zu ihrer Person machen, zum Beispiel ihr Geburtsdatum und ihr jährliches Einkommen angeben. 92 Prozent der Studenten kauften bei dem günstigen Anbieter und gaben ihre Daten preis. Zugleich sagten 75 Prozent der Teilnehmer, ihnen sei Datenschutz sehr wichtig. 

"Es ist schwierig, so unterschiedliche Güter wie persönliche Daten und Rabatte gegeneinander abzuwägen", schreibt Alessandro Acquisti. Eine Kosten-Nutzen-Rechnung wäre nur möglich, wenn man den Wert der Privatsphäre in Geld angeben könnte. Das scheitert aber oft schon daran, dass schwer zu erkennen ist, was Firmen mit den Daten vorhaben. Die Konsumenten wissen nicht, ob jemand nur nervige Werbe-Mails schicken wird oder mit ihrer Kreditkartennummer einkaufen geht. 

Erstaunlich ist: Diese Ungewissheit macht Menschen nicht vorsichtig. In einem Experiment stellte Acquisti fest, dass sich Konsumenten auch dann von Rabatt-Gutscheinen locken lassen, wenn sie dafür ihre Daten an eine unbekannte Marketingfirma weitergeben müssen, die damit machen darf, was sie will. Für Ökonomen, die an rational entscheidende Menschen glauben, sind das ernüchternde Ergebnisse. 

Das Forscherteam um Acquisti kann die Sorglosigkeit vieler Onlinekäufer zumindest im Ansatz verstehen. "Es ist aufwendig, bei jeder Entscheidung die Folgen für die Privatsphäre zu bedenken", schreiben sie. Das spielt den Unternehmen in die Karten. Denn die ausführlichen Nutzerprofile, die in ihren Datenbanken wachsen, erwecken einen alten Verkäufertraum zu neuem Leben: die Preis-Differenzierung. 

Kundenspezifische Preise. 

Der britische Ökonom Arthur Cecil Pigou beschrieb 1929 in seinem Buch "The Economics of Welfare", wie Unternehmen ihre Gewinne steigern können, wenn sie das gleiche Produkt zu unterschiedlichen Preisen verkaufen und sie von jedem Kunden exakt das abschöpfen, was er maximal zu zahlen bereit ist. 

Das war lange ein theoretisches Konstrukt, weil Verkäufer selten wussten, wie sehr sich einzelne Kunden für ihr Produkt interessierten. Seit Internetnutzer bereitwillig erzählen, welche Musik sie hören, und Wunschlisten online speichern, sind die Präferenzen der Kunden transparent, Unternehmen können die Preise individuell anpassen. Das ist allerdings nicht einfach, wie das Beispiel des Online-Versandhauses Amazon zeigt. Das Unternehmen versuchte vor elf Jahren Preis-Differenzierung: Als die Kunden merkten, dass sie für eine DVD plötzlich mehr zahlen sollten, nur weil sie früher ähnliche Filme gekauft hatten, gingen sie auf die Barrikaden - bis Amazon das Experiment stoppte. "Bei vielen Unternehmen heißt es seitdem: Hände weg von der Preis-Differenzierung, wenn sich das Produkt nicht unterscheidet", weiß der Kieler BWL-Professor Sönke Albers. 

Hinweis in eigener Sache: Bei dem obigen Link zu den zitierten Studien war es leider zu einer Panne gekommen - die Links waren nicht vorhanden., die jetzt behoben ist. Wir bitten unsere Leser um Entschuldigung. Siehe dazu auch: den Blog-Beitrag "Handelsblatt - Wir können alles außer online..."

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