Cebit öffnet ihre Türen Der Traum vom digitalen Wirtschaftswunder

In Zukunft könnten Milliarden Geräte miteinander vernetzt sein – von der Industriemaschine, bis hin zur Zahnbürste. Einen Einblick in die digitalen Möglichkeiten bietet ab Montag die Computermesse Cebit.

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Hier soll das „digitale Wirtschaftswunder“ präsentiert werden. Quelle: dpa

Hannover Am Montag ist es wieder soweit: Die weltgrößte Computermesse öffnet in Hannover mit dem ersten Publikumstag offiziell ihre Tore. Bis Freitag werden gut 200.000 Besucher erwartet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zum Start der Messe für einen engen Schulterschluss mit der aufstrebenden IT-Industrie in China geworben – gleichzeitig aber auch faire Spielregeln angemahnt. „Es bieten sich Kooperationen geradezu an“, sagte die CDU-Politikerin bei ihrer Rede zum Start der Messe am Sonntagabend in Hannover. Fest stehen müsse dabei aber auch: „Unternehmen und Investoren haben ein natürliches Interesse daran, dass sie wissen, in welchen Rahmenbedingungen sie arbeiten: Berechenbarkeit, Verlässlichkeit, Gleichbehandlung der verschiedenen Unternehmen in unseren Ländern.“

Das geplante Abkommen zum Investitionsschutz für Unternehmen zwischen der EU und China sei ein wichtiger Punkt dabei. „Deutschland setzt sich für einen baldmöglichen Abschluss ein“, sagte Merkel. Bei dem sogenannten Investitionsschutz geht es um die Frage, wie ausländische Investoren im Gastland vor staatlicher Bevormundung bewahrt bleiben und wie verlässlich etwa die gesetzliche Basis der Vorgaben ist.

In China, das von der kommunistischen Einheitspartei gesteuert wird, gibt es immer wieder Klagen etwa in Sachen Know-how-Schutz oder marktwirtschaftlichem, transparentem Wettbewerb. Ausländische Firmen in Schlüsselbranchen erhalten Marktzugang nur mit örtlichen Partnern.

Im Fokus der Cebit soll diesmal der rasante digitale Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft stehen. IT-Schwergewichte versprechen auf der Messe gar das „digitale Wirtschaftswunder“, warnen aber zugleich davor, dass deutsche Firmen abgehängt werden könnte. „Wer jetzt nicht die Weichen für die Zukunft stellt, ist schnell vom Markt verschwunden“, mahnte der Präsident des Branchenverbands Bitkom, Dieter Kempf, am Sonntag.


Deutschland ist gefordert

Es gehe um die Frage, ob Deutschland eine Führungsrolle als digitalisierter Industriestandort einnehmen oder das Feld agilen Ländern wie Südkorea, China oder die USA überlassen wolle, sagte Klaus von Rottkay, Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland. „Wir können die Erfolgsgeschichte des Wirtschaftsstandorts Deutschland digital fortschreiben, wenn wir jetzt entschlossen die Voraussetzungen für ein digitales Wirtschaftswunder schaffen.“ Laut einer Studie der Marktforschungsfirma IDC seien in Deutschland zwar 80 Prozent der Unternehmen der Meinung, dass Informationstechnologien einen immer größeren Einfluss auf ihre Geschäftsmodelle bekämen. 52 Prozent der Befragten seien aber dennoch der Meinung, ihr eigenes Geschäftsmodell nicht verändern zu müssen.

Netzbetreiber wie Deutsche Telekom und Vodafone wollen dabei eine Schlüsselrolle als Dienstleister für die vernetzte Wirtschaft einnehmen. „Wir werden in den nächsten Jahren das industrielle Internet bauen und damit ein Tor für ganz neue Wertschöpfungsketten aufstoßen“, sagte Vodafone-Deutschlandchef Jens Schulte-Bockum.

Die Telekom will alle Eckpunkte abdecken: Standards setzen, Plattformen bauen, Daten analysieren, Sicherheit bieten, Konnektivität über die Netze herstellen. Unter anderem soll es als Plattform für die vernetzte Technik eine „Cloud der Dinge“ geben, sagte der Chef der Dienstleistungstochter T-Systems, Reinhard Clemens.

Deutsche Unternehmen seien heute beim Maschinen- und Anlagenbau an vielen Stellen Weltmarktführer, sagte Clemens. Experten warnen aber schon lange, dass diese Führungsposition mit der voranschreitenden Digitalisierung in Frage gestellt werden könnte. Mit der Vernetzung von Maschinen und Geräten werden Dienste auf Grundlage der erhobenen Daten immer wichtiger.

Die Telekom will über ein Bündnis mit dem Software-Konzern SAP auch mehr Gewicht bei Standards für die vernetzte Industrie bekommen. Allerdings gibt es weltweit - und auch in Deutschland - bereits mehrere Gruppen, die Standards prägen wollen. Zum Jahr 2020 rechnen Experten mit bis zu 50 Milliarden vernetzten Geräten von Industriemaschinen bis hin zu Zahnbürsten.

Der Analyse großer Datenmengen - „Big Data“ - wird Kempf zufolge eine zentrale Rolle zukommen. Davon werde es abhängen, wie der digitale Wandel in der Produktion bewältigt werde, sagte er. Anders als in den vergangenen Jahren gehe es heute um die Auswertung vor allem von unstrukturierten Daten in Echtzeit. Bei der Verkehrssteuerung, dem autonomen Fahren und besonders im Gesundheitswesen werde die Analyse großer Datenmengen für enorme Fortschritte sorgen.


Bitkom hebt Wachstumsprognosen an

Mit Industriepartnern wie ThyssenKrupp Elevators oder dem Armaturenhersteller Dornbracht zeigt Microsoft auf der CeBIT, wie die digitale Transformation von Geschäftsprozessen und das Internet der Dinge Service-Leistungen verbessern und Produkte mit smarten Funktionen wie einem intelligenten Wasser-Management digital veredelt werden können.

Aufzüge seien ein Produkt der ersten industriellen Revolution, sagte Andreas Schierenbeck von ThyssenKrupp Elevator. Seit 160 Jahren habe sich an der Erfindung aus reiner Mechanik nichts wesentliches geändert. Mit neuen Industrie-4.0-Lösungen würden heute schon erste Anzeichen von Unregelmäßigkeiten früh erkannt und übermittelt werden. Damit werde die Serviceleistung effizienter gemacht. „Und wir sehen heute nur einen Bruchteil der Lösungen, die wir künftig anbieten können.“

Der Armaturen-Hersteller Dornbracht setzt ebenfalls auf Datenvernetzung und will mit neuen Services das Unternehmen fit für die Zukunft machen. „Über Design können wir uns immer weniger differenzieren“, sagte Matthias Dornbracht, Technik-Chef des Familienunternehmens. „Deshalb haben wir uns bereits vor einigen Jahren gesagt, dass wir viel Mehrwert schaffen müssen.“ Das Unternehmen aus Iserlohn will mit digital gesteuerten Wasseranwendungen über intelligente Systeme neue Services bieten.

Pünktlich zum Cebit-Start hob der Bitkom seine Wachstumsprognosen für das laufende Jahr an. Der Umsatz wird in der Branche demnach um 1,5 Prozent auf 155,5 Milliarden Euro wachsen. Zuvor gingen die Branchenbeobachter von einen Anstieg um 0,6 Prozent aus. Trotz der Entwicklung verlangte er von der Politik mehr Einsatz für die digitale Wirtschaft.

Den neuen Bitkom-Zahlen zufolge wird die Branche in diesem Jahr so stark wachsen wie 2014 und einen Umsatz von 155,5 Milliarden Euro erzielen. Das stärkste Umsatzplus von 5,7 Prozent verzeichnen dabei Software-Hersteller. Anbieter von Unterhaltungselektronik wie etwa Fernsehern müssen hingegen ein Minus von drei Prozent verkraften. Allein der Umsatz mit Digitalkameras bricht laut Bitkom-Prognose um elf Prozent ein - nach einem Minus von 24,3 Prozent im Jahr 2014. Gut verkaufen sich dagegen unter anderem aufwändige Audio-Anlagen für zuhause sowie Smartphones und Tablets.


Digitalisierung als zentrale Herausforderung

Bitkom-Präsident Kempf bekräftigte die Prognose seines Verbands, dass die Zahl der Beschäftigten in der Branche 2015 auf fast eine Million steigen wird. Allerdings bremse der Fachkräftemangel die Entwicklung. Kempf erneuerte die Forderung nach einem Pflichtfach Informatik an weiterführenden Schulen. „Wir müssen Lust machen auf IT.“

Zugleich forderte Kempf die Bundesregierung auf, die beschlossene Digitale Agenda überall konsequent anzuwenden. Derzeit hemme etwa das Steuerrecht die Investitionen in die Digitalbranche. Auch gebe es zu viel Bürokratie - so müsse sich ein Start-up-Unternehmen „durch 66 Seiten Verwaltungsvorschriften“ arbeiten, um ein Formular zur Reisekostenabrechnung erstellen zu können. Eine Digitale Agenda zu beschließen und zugleich die Branche zu behindern - „das macht keinen Sinn“, urteilte Kempf.

Dem Verband zufolge sehen Unternehmen in Deutschland insgesamt die Digitalisierung als zentrale Herausforderung. In einer Bitkom-Umfrage nannten demnach 70 Prozent der rund 500 teilnehmenden Firmen aus allen Branchen die Digitalisierung als aktuell große Herausforderung. Ebenso viele nannten Probleme bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern. Anderen Herausforderungen, etwa politischen Krisen oder der Nachfrageentwicklung, wurde deutlich geringere Bedeutung beigemessen.

Partnerland der Messe ist diesmal China. Mit Verweis auf erfolgreiche Firmen wie den Technologiekonzern Huawei und den Online-Händler Alibaba sowie auf das enorme Wachstum des chinesischen IT-Marktes sprach Cebit-Chef Oliver Frese vom „stärksten Partnerland, das wir jemals hatten“. Bitkom-Präsident Kempf verwies darauf, dass der Umsatz mit IT- und Telekommunikationsangeboten in China dieses Jahr um 11,4 Prozent zulegen werde - deutlich stärker als in allen anderen Weltregionen. In China lebe eine „große Zahl“ von Menschen, die „hungrig nach neuer IT-Technologie“ sei. Zugleich werde die Digitalbranche des Landes selbst immer leistungsfähiger.

Allerdings sorgt die Wahl Chinas zum Partnerland auch für Kritik. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kündigte unter anderem für den Cebit-Start am Montagmorgen eine Protestkundgebung am Messegelände an. Sie fordert insbesondere die Freilassung von inhaftierten Regierungskritikern und Menschenrechtlern.


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