Energiewende Der Kahlschlag bleibt aus

Hunderttausende Jobs weg, Abwanderung großer Unternehmen: Die Folgen der Energiewende wurden in dramatischen Farben gemalt. Eingetreten ist das nicht. Doch die Industrie sorgt sich um ihre Sonderkonditionen.

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Schaltschutz in einem Kraftwerk: Industriebetriebe erwarten dauerhaft steigende Strompreise. Quelle: dpa

Berlin Mit dem US-Finanzminister Henry Morgenthau verbindet sich heute vor allem seine 1944 publik gewordene Idee, Deutschland nach dem Krieg in einen Agrarstaat umzuwandeln. Nach dem Abschalten von acht Atomkraftwerken und dem Ausrufen einer forcierten Energiewende sahen Kritiker darin eine Art Morgenthau-Plan 2.0. Es gab Warnungen vor dem Verlust Hunderttausender Jobs in der Industrie, denn über 40 Prozent des Stroms wird in diesem Sektor verbraucht.

Doch die Realität ist eine andere. Zwar gibt es weitaus wichtigere Einflussfaktoren für die weiterhin recht gute Lage in Deutschland, aber zumindest hat die Energiewende keinen Kahlschlag befördert. Laut des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) fürchten jedoch fast alle Industriebetriebe, „dass steigende Strompreise dauerhaft der unerwünschte Begleiter der Energiewende sein werden“. Bereits kleine Steigerungen könnten zu Abwanderungen aus Deutschland führen. Gerne verweisen die Unternehmen auf die auch dank des Booms von Gas-Fracking günstigeren Energiepreise in den USA.

Zuletzt stieg in Deutschland die Zahl der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe auf 5,27 Millionen. Und im Gegensatz zu den Verbraucherpreisen stiegen die Industriestrompreise nur minimal. Bei einem Jahresverbrauch bis 20.000 Megawattstunden sind nach Angaben des Branchenverbandes BDEW inklusive Stromsteuer im Schnitt 14,87 Cent je Kilowattstunde zu zahlen - 2012 waren es 14,33 Cent, zuvor 14,04 (2011) und 12,07 Cent (2010). Dabei profitiert die Industrie derzeit von sinkenden Einkaufspreisen - dank mehr Solar- und Windstrom. Aber bis 20.000 Megawattstunden Verbrauch muss die volle Ökostrom-Umlage gezahlt werden, weshalb hier die staatlichen Belastungen von 0,6 Cent (2000) auf 7,25 Cent gestiegen sind.

Der Positiveffekt sinkender Einkaufspreise schlägt aber für die sehr energieintensive Industrie, also etwa Aluschmelzen, voll durch. Bei einem Verbrauch von 70.000 bis 150.000 Megawattstunden im Jahr gibt es umfassende Rabatte, hier sanken die Stromkosten laut BDEW sogar - von 10,07 (2011) auf 9,26 Cent die Kilowattstunde 2012. Zum Vergleich: Ein Haushalt zahlt in Deutschland derzeit etwa 28 Cent.


Einige Industrie-Rabatte nicht mehr haltbar

Union und FDP waren nach der Fukushima-Wende bemüht, die Industrie zu schützen - aber das Ausmaß der Rabatte dürfte noch zum Problem werden, weil die Verbraucher, auch der Hartz-IV-Empfänger, dies über ihren weit stärker steigenden Strompreis mitzahlen. In der Debatte um eine Strompreisbremse hatte Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) eine Kappung der Rabatte in Höhe von 700 Millionen Euro ins Spiel gebracht - aber sein Bremspaket war nicht mehrheitsfähig. Aber die Frage ist, ob Schlachtereien oder Futterhersteller Rabatte brauchen.

Vor der Wahl kämpfen Lobbys wie die der energieintensiven Branche vehement um Sonderregelungen. Sie beschäftigt rund 830.000 Menschen, Unternehmen der Papier- und Stahlindustrie verbrauchen teilweise den Strom von mehreren hunderttausend Haushalten. Die Branche kritisiert, dass Solaranlagenbesitzer auf 20 Jahre zugesichert Renditegarantien erhalten, während „die Investitionsperspektiven für energieintensive Unternehmen ständig unsicherer werden“. Als die Grünen verkündeten, bei den Rabatten ließen sich locker vier Milliarden Euro pro Jahr sparen, giftete der wirtschaftspolitische Sprecher der Union, Joachim Pfeiffer (CDU), die Grünen verfolgten „einen Morgenthau-Plan für Deutschland, eine Roadmap zur Deindustrialisierung unseres Landes“.

Doch einige Industrie-Rabatte sind so nicht mehr haltbar. Fast schon legendär ist der berühmte „Mitternachtsparagraf“. Dabei wurde beim Gesetzespaket zur Energiewende in den Schlussverhandlungen noch ein für die Verbraucher nicht unerheblicher Passus hineingeschrieben. Die größten Stromverbraucher wurden damit komplett von Netzentgelten befreit. Zu zahlen sind diese Nachlässe per Netz-Umlage von den Verbrauchern, was bei einem Drei-Personen-Haushalt pro Jahr rund 12 Euro ausmacht. Allerdings kippte das Oberlandesgericht Düsseldorf den Passus, die EU-Kommission äußerte wettbewerbsrechtliche Bedenken.


Starke Zweifel an Nachlässen bei der Ökostrom-Umlage

Daher änderte der Bundesrat auf Vorschlag der Bundesregierung gerade die Regelung. Nun müssen energieintensive Unternehmen bis zu 10 Prozent des regulären Netzentgelts bezahlen. Und das könnte erst der Anfang sein - auch an den massiven Nachlässen bei der Zahlung der Ökostrom-Umlage gibt es seitens der EU-Kommission starke Zweifel.

So droht nach einer halbwegs stabilen Phase pünktlich zu sich ohnehin verdüsternden Konjunkturaussichten eine tatsächliche Bedrohung durch die Energiewendekosten. Keine Partei hat bisher ein Patentrezept für eine faire Lastenverteilung bei einer gleichzeitigen Sicherung des hohen Industrieanteils mit Millionen Arbeitsplätzen.

Aber immerhin sinken durch immer mehr Wind- und Solarstrom doch die Preise an der Strombörse massiv, ein Lichtblick? Eher nicht, meint der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber. „Börsenstrompreise sind nicht gleich Industriestrompreise. Nur ein kleiner Teil der Industrie kauft den Strom direkt an der Börse.“ Entscheidend sei der Vergleich zu internationalen Industriestrompreisen. Und hier sei Deutschland in Europa und weltweit weiter mit am teuersten.

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