Energiewende Verkehrte Welt an der Strombörse

Die deutsche Energiewende bringt den Stromeinkauf an der Börse durcheinander. Die Preise fallen, das Angebot wird unberechenbarer. Bundeswirtschaftsminister Gabriel feilt an einem neuen Marktmodell.

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An der European Energy Exchange (EEX) in Leipzig erleben die Händler einen turbulenten Energiemarkt. Quelle: dpa

Leipzig/Paris Der Sonnen- und Windstrom schafft es sogar, eiserne Gesetze der Marktwirtschaft außer Kraft zu setzen. Und damit die Geschäfte an den Strombörsen EEX in Leipzig und EPEX Spot in Paris auf den Kopf zu stellen. Wenn die Nachfrage am höchsten ist, klettert der Preis stark - so weit die Regel und der Normalfall. In Deutschland ist mittags, wenn viel gekocht wird, die Energienachfrage besonders hoch. Aber der Strompreis fällt danach in den Keller, dank teilweise über 25.000 Megawatt Solarenergie an sonnigen Tagen.

In den Niederlanden ging jüngst eine Aluminiumhütte pleite, sie begründete dies mit den niedrigen Einkaufskosten der deutschen Konkurrenz an der Strombörse. Energieintensive Betriebe sind weitgehend von Steuern und Abgaben befreit und profitieren daher besonders von niedrigen Börsenstrompreisen. Der Großteil des deutschen Ökostroms wird von den Übertragungsnetzbetreibern über die Strombörse verkauft

Kritiker sprechen eher von „verramschen“, weil dank des bestehenden Fördersystems kein Interesse bestehe, einen guten Preis zu erzielen. Die Tagesproduktion wird im kurzfristigen Handel angeboten, an der Spotmarkt-Börse in Paris. Die Termingeschäfte - also längerfristige Stromeinkäufe für 2016 oder 2017 - laufen über die EEX in Leipzig. Im 23. Stock des Uni-Turms hocken die Händler vor Monitoren, die Marktturbulenzen nehmen sie stoisch zur Kenntnis.

Peter Reitz, Chef der EEX, fordert, dass sich die Erzeuger von Wind- und Solarstrom stärker an Angebot und Nachfrage am Großhandelsmarkt für Strom orientieren müssen. Wegen der auf 20 Jahre garantierten Einspeisevergütung wird auch in Zeiten geringer Nachfrage weiter Strom produziert - oder mittags zu viel. So kommt es sogar auch schon einmal zu negativen Preisen: Es wird Geld dafür bezahlt, dass jemand den Strom kurzfristig abnimmt, um die Netze nicht zu überlasten.

Der Ökostrom drückt die Preise an der Strombörse. Wurden 2011 im Schnitt an der EPEX Spot noch 51,12 Euro je Megawattstunde gezahlt, waren es 2013 nur 37,78 Euro - also nur noch 3,8 Cent im Einkauf je Kilowattstunde. Mehr Ökostrom bedeutet auch eine Verschiebung von den Termingeschäften hin zu mehr kurzfristigen Stromeinkäufen. Denn da lassen sich oft Schnäppchen machen. Insgesamt wurden 2013 bereits rund 265 Terawattstunden für den deutschen Markt an der EPEX Spot gehandelt, was rund 40 Prozent des nationalen Stromverbrauchs entspreche, erläutert Wolfram Vogel, Sprecher der EPEX Spot.

Da viele Versorger Preisvorteile durch mehr Ökostrom kaum an die Verbraucher weitergeben, schauen diese doppelt in die Röhre: Sie bekommen den Vorteil nicht zu spüren - und zahlen sogar noch drauf. Denn per Ökostrom-Umlage zahlen sie die Förderung für jede Kilowattstunde Ökostrom - und zwar die Differenz zwischen dem an der Börse dafür erzielten Preis und dem auf 20 Jahre garantierten Vergütungssatz. Gibt es 20 Cent Vergütung für den Solarstrom, werden aber an der Strombörse nur noch 3 statt 5 Cent dafür erlöst, wächst automatisch die Differenz und damit die Umlage für die Verbraucher.

„Durch ein großes Angebot an Strom aus Erneuerbaren sinken die Preise am Großhandelsmarkt der Börse, das darf niemanden wirklich wundern“, sagt Reitz. „Wir unterstützen daher den Vorschlag, die Direktvermarktung für Erneuerbare zukünftig verpflichtend auszugestalten, um die Erneuerbaren stärker in den Markt einzubinden.“ Sprich: Es braucht mehr Wettbewerb statt einer dauerhaften Förderung mit einer 20-Jahre-Festpreisgarantie.

Der Strommarkt ist aus den Fugen geraten. Viele Kraftwerke, die vor allem mit Termingeschäften - also einer festen Lieferzusage für die nächsten Jahre - bisher ihr Geld verdienen, rechnen sich nicht mehr. Aktuell sind 47 Kraftwerksblöcke zur Stilllegung angemeldet, mit einer Leistung von 13.500 Megawatt. Darunter sind insgesamt 19 Steinkohle- und 19 Erdgas-Kraftwerke, ein Braunkohle-Kraftwerk, ein Atomkraftwerk, ein Pumpspeicher-Kraftwerk und 6 Mineralöl-Anlagen.

Eine Sprecherin der zuständigen Bundesnetzagentur betont, dass sieben Blöcke als systemrelevant eingestuft worden sind und daher gegen Entschädigungen weiter betrieben werden müssen. Bei 25 Blöcken (7900 Megawatt) stehe fest, dass sie abgeschaltet werden können. Versorger wie RWE und Eon ächzen unter dem Preisverfall an der Strombörse.

Damit gerade im Winter weiterhin genug gesicherte Stromleistung zur Verfügung steht, wird über Kapazitätsmechanismen nachgedacht: eine Art Extraprämie für Kraftwerke, die rund um die Uhr eine feste Menge Strom liefern können. Das ist nun das nächste Großprojekt von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), wenngleich er betont, dass Effizienz und CO2-Ausstoß ein Kriterium sein werden: „Hartz IV für alte Kraftwerke wird es nicht geben.“ An den Energiebörsen warten sie dringend auf ein Modell, damit irgendwann der Markt wieder berechenbarer wird: Die Energiewende hat auch die Börsen überrumpelt.

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