Karriere in der Männerwelt „Denkt in Möglichkeiten und seid nicht so verbissen!“

„In der Wirtschaftslandschaft hat sich – bis auf ein paar Firmen-Kitas und Frauenbeauftragte – in den letzten Jahren kaum etwas bewegt“, sagt Unternehmensberaterin Christina Bösenberg. Wie sich Frauen trotzdem behaupten.

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„Das änderte natürlich einiges, aber nicht so viel, dass der Erfolg im Beruf nicht weiter gehen konnte. Heute rate ich Frauen: Denkt in Möglichkeiten und seid nicht so verbissen!“, sagt die Leadership-Expertin Christina Bösenberg. Quelle: Getty Images

Die Leadership-Expertin Christina Bösenberg konnte sich in einer Männerwelt durchsetzen und ist eine erfolgreiche Unternehmensberaterin – heutzutage (leider) noch immer eine Seltenheit. In ihrem Gastbeitrag, den Sie exklusiv für unsere Initiative Leader.In, ein Businessnetzwerk zur Vernetzung erfolgreicher Frauen und Männer aus der Wirtschaft, geschrieben hat, erzählt sie von ihrem persönlichen Weg nach oben – und verrät, was Frauen auf gar keinen Fall tun sollten, wenn sie wirklich erfolgreich sein wollen.

Ja, Frauen sind genauso gute Führungskräfte wie Männer. Ja, Karriere und Familie schließen sich einander nicht aus. Und ja, auch die Rollenmodelle des vergangenen Jahrhunderts passen nicht mehr in unsere moderne Zeit. All das ist heute weitgehend gesellschaftlicher Konsens. Und doch hinkt die Realität in der deutschen Wirtschaft der Theorie nach wie vor hinterher. Noch immer und weit.

So sind, das hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst&Young jüngst in ihrem „Mixed Leadership Barometer 2015“ ermittelt, nur 37 der 663 Vorstände in den Dax-, S-Dax-, M-Dax und Tec-Dax-Unternehmen weiblich. Das entspricht umgerechnet einer Frauenquote von gerade einmal 5,6 Prozent. Und die klassischen Männer- und Frauenberufe bestehen weiter. Denn ändert man die Blickrichtung weg von reinen Vorstandsfunktionen hin zum mittleren Management so sieht man deutlich mehr Frauen – allerdings in oft in den typischen Funktionen (HR, Personalbereich etc.).

Wie ist es mir als Psychologin gelungen in einem technischen, reinen Männerumfeld der deutschen Industrie erfolgreich Verantwortung zu übernehmen und mich im Anschluss daran als Unternehmensberaterin im Dax zu etablieren? Groß denken, sich viel zutrauen, mutig handeln – auf diesen Nenner kann ich meine Erfolgsstrategie bringen.

Ich glaube niemand, der richtig Karriere gemacht hat, hat sich nur auf Jobs beworben, deren Anforderungen er komplett erfüllt. Man lernt nur nachhaltig, wenn man in eine Aufgabe hineinwachsen kann. Genau so habe ich meine Karriere gemacht: Ich akzeptierte in den ersten 15 Jahren ständig Stellen und Angebote, die weit über meinem Kompetenz-Level lagen und auch völlig unbekannte Bereiche beinhalteten. Sich viel zutrauen und ein großräumiges Vorstellungsvermögen über das, was möglich ist, haben mir immer geholfen – die gute Nachricht: Das können Sie trainieren!


Was ich anderen Frauen rate!

Nach zehn Jahren in der Hochtechnologie und Old Economy habe ich den gesicherten Konzernkarrierepfad verlassen, um mich in der Beratungsbranche weiter zu entwickeln. Für mich damals völlig unbekanntes Terrain, aber ich habe mich auf meine Qualitäten verlassen. Ich denke strategisch, bin innovativ, sehr flexibel und kommuniziere zielgruppengerecht. Außerdem lerne ich sehr schnell und kann komplexe Sachverhalte gut durchdringen.

Man muss nicht alle Aufgaben des neuen Jobs beherrschen. Viel wichtiger ist es zu wissen, welche Kompetenzen man mitbringt und welche Rahmenbedingungen man braucht, um gut zu sein und Freude zu haben. Als frischgebackene Unternehmerin bekam ich beispielweise ein Kind. Das änderte natürlich einiges, aber nicht so viel, dass der Erfolg im Beruf nicht weiter gehen konnte. Heute rate ich Frauen: Denkt in Möglichkeiten und seid nicht so verbissen!

Als vorteilhaft habe ich immer die relative Alleinstellung gesehen. Gerade am Anfang der Berufstätigkeit war ich oft die einzige Frau im Raum und in gewissen Branchen oder Ebenen ist das auch heute noch so. Wann immer Teams zusammengestellt wurden oder auch nur ein Hauch des Themas Diversity im Raum stand, war ich mit dabei. Nun kann man „Quotenfrau“ schreien und sich aufregen oder man greift zu und gestaltet aktiv mit. Mein Credo: Lieber nonchalant lässig einen versuchten Angriff ins Gegenteil verkehren, als jammern und Ungerechtigkeit beklagen. Trotzdem: Nach Jahren der Skepsis befürworte ich heute die zeitbegrenzte Quote.

Als Konzern-Insiderin kann ich nach 20 Jahren sagen, dass sich in der Wirtschaftslandschaft für Frauen nichts verändert hat, bis auf ein paar Corporate-Kitas und Frauenbeauftragte. In den Zahlen spiegelt sich keine signifikante Veränderung wieder. Viele börsennotierte Konzerne bemühen sich, die Quote in den Kontrollgremien zu erfüllen. Doch wo sie es nicht müssen, etwa auf C-Level-Ebene, verschwinden Frauen sogar wieder. Die Zahl weiblicher Vorstände war in 2015 erneut rückläufig. Nur ein Prozent der 160 Börsenunternehmen hat freiwillige Zielvorgaben für den Vorstand beschlossen, im Vorjahr waren es noch sieben Prozent. Deshalb hier ein paar No-Gos für die Karriere in Männerwelten, die ich Frauen noch mit auf den Weg geben möchte.

Nur kein Fleiß! Denn: männliche Monokulturen lieben weiblichen Fleiß. Aus Erfahrung kann ich sagen – und das rate ich auch allen meinen jüngeren Kundinnen – dass fleißiges Wegschaffen die falschen Signale sendet. Nur nicht zuerst „Hier“ schreien, wenn Standardaufgaben verteilt werden, sondern auf die strategisch wichtigen Themen warten beziehungsweise sich diese pro-aktiv nehmen oder gar selbst entwickeln.

Den eher weiblichen Glaubenssatz „ohne Fleiß kein Preis“ nennen Psychologen „labour illusion“, also die Illusion vom Abmühen. Sie ist beispielsweise auch der Grund dafür, dass etwa Websites, auf denen wir nach günstigen Flügen suchen, uns diesen manchmal ewig andauernden Suchprozess anzeigen. Aber wir warten dadurch lieber länger, weil wir glauben, dass Prozesse eben dauern und viel Arbeit machen, so zum Beispiel eine Studie der Harvard Business School.


Die No-Gos für Karriere in Männerwelten

Ähnlich verhält es sich mit der in Deutschland immer noch sehr hoch bewerteten Präsenzkultur. Wer lange im Office sitzt, schafft viel und ist besonders gut? Nicht meine Erfahrung und auch nicht mein Weg zum Erfolg. Der Standford-Ökonom John Pencavel belegt: Während eines längeren Arbeitstages kommt nicht mehr Brauchbares heraus. Ab einer bestimmten Anzahl von Stunden, schreibt er, kämen wirklich gute Ergebnisse erheblich langsamer zustande. Selbstverständlich macht es Sinn, in hoch-energetischen Projektphasen, mit oder ohne Spaß, lange dran zu bleiben und eine Extra-Runde Brainpower zu investieren. Aber eben nicht als tägliche Erfolgsstrategie mit dem Ziel, dadurch Karriere zu machen.

Common Sense – aber auch Common Practice? Oder: Alles bekannt – aber auch alles umgesetzt?

Nun sind diese Phänomene alle bekannt und fairerweise muss ich auch sagen, dass zumindest die Start-Up Kultur in Deutschland nach anderen Parametern funktioniert. Die Antwort aber, warum das noch nicht überall so ist, nennt sich Unconsious Bias. Damit werden unbewusste Vorurteile, Stereotype und Wahrnehmungsmuster beschrieben. Die eigentliche Krux mit den unbewussten Wahrnehmungsmustern liegt darin, dass sie im Zusammenspiel von Beobachtung, Interpretation und Bewertung absolut unbewusst unsere Entscheidungen beeinflussen – mit teilweise fatalen Folgen.

Für uns alle ist Rationalität psychologisch eine Illusion und das gilt eben auch für Recruiter, HRler, Manager, Aufsichtsräte und – not least – uns Frauen auf dem Karrierepfad. So sind in der Geschäftswelt kaum weibliche Rollenvorbilder in Führungspositionen präsent (übrigens auch keine Migranten, offen Homosexuelle etc.). Das beeinflusst unsere Vorstellung von der Welt – und es verfestigen sich unbewusst Einstellungen, dass diese Gruppen in solchen Positionen nichts zu suchen haben oder unnormal sind. Deshalb werden wir eine echte Erneuerung der Wirtschaft mit und durch Frauen erst dann erreichen, wenn die kritische Masse an Rollenvorbildern zur Verfügung steht.

Rückblickend kann ich nicht sagen, dass ich nun andauernd das konkretes Ziel vor Augen hatte, in einer Männerwelt Karriere zu machen. Aber ich habe nie daran gezweifelt, dass das für mich möglich ist. Dass es machbar ist, im Vorstandsumfeld eines Dax Konzerns anzukommen, denn ich hatte auch die passenden Rahmenbedingungen (keine kleinen Kinder, relative Freiheit, einen akademischen Abschluss etc.).

Die „schlechte“ Nachricht: Wenn es nun um die Frage vom Erfolg von fitten Frauen in der Wirtschaft geht, gibt es keine eineindeutige Antwort und auch kein „Kochrezept“ im Bezug auf Karriere oder Berufsbilder. Warum nicht? Weil gutes Vorgehen immer auch persönlich ist und von Stärken und Präferenzen abhängig – und von den unbewussten Annahmen auf gesellschaftlicher Ebene. Die ändern wir gerade. Stück für Stück.

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