Überleben im Büro Vorsicht bei Klatsch und Tratsch

"Die Hölle, das sind die anderen." Für diese Erkenntnis genügt der Gang ins Büro. "Unter Kollegen - 44 Überlebensstrategien fürs Büro" gibt einen Einblick in den täglichen Wahnsinn. Klatschen kann es schlimmer machen.

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Klatsch findet man in fast jedem Büro Quelle: sharpshutter 22 - Fotolia

Zum Entsetzen der US-Schickeria veröffentlichte das Magazin "Esquire" 1975 den ersten Teil von Truman Capotes Schlüsselroman "Erhörte Gebete", ein Tsunami aus übler Nachrede und schamlosen Enthüllungen. Eingebettet in literarische Genusswellen entdeckten sich die Schwestern Jackie O. und Lee Radziwill als "westliche Geisha-Flittchen" und die triebhaften Kennedy-Brüder als "Hunde, die an jeden Feuerhydranten pinkeln müssen". Für André Gide tat es ein "verkalktes Dreckschwein", und Sartre und Beauvoir wirkten auf Capote "wie weggeworfene Puppen eines Bauchredners". Für einen kurzen Moment war Klatsch nicht nur salonfähig, sondern zu einer literarischen Kategorie erhoben.

Allerdings stieß Capote bei seinen Jetset-Freunden auf wenig Gegenliebe. Die Agnellis, Hiltons und Huttons setzten ihn einfach vor die Tür. Wenige Jahre später starb er – vereinsamt, verbittert, verkannt. Dabei hatte er doch nichts als die Wahrheit geschrieben, dabei Ross und Reiter benannt und ab und an eben leicht übertrieben.

Cover Unter Kollegen Quelle: Presse

Verabschieden wir uns von Capote und wenden wir uns der Arbeitswelt zu. Dort ist Klatsch allgegenwärtig – als lockeres Lästern, belangloses Gewäsch, gezielte Indiskretion, persönlicher Angriff, unterhaltsamer Gesprächsstoff oder – im schlimmsten Fall – als tödlicher Gerüchtefeldzug und formidabler Shitstorm. Klatsch funktioniert zum einen wie sozialer Kitt und zum andern wie ein Damoklesschwert. Selten nur klatscht man über einen Kollegen, der kerngesund, glücklich und erfolgreich ist – mit Familie, Hund, Mercedes und einem Häuschen irgendwo da draußen.

Zur Person

Klatsch entsteht dort, wo ein Kollege eine Angriffsfläche bietet, von der Norm abweicht, einen Fehler begeht, herzerfrischend stolpert und dank spezieller Macken unsere Fantasie in Bewegung versetzt. Etymologisch betrachtet kommt das Klatschen aus dem Mittelalter, als die Waschweiber am Fluss die nasse Wäsche auf Steine klatschten und sich dabei über ihre Ehemänner lustig machten. Fakt ist, dass jedermann klatscht, und das Reden über Abwesende nimmt etwa 20 Prozent unserer täglichen Gespräche in Anspruch.

Wie Sie mit Klatsch umgehen

Der Philosoph Ernst Bloch hat den etwas verborgenen positiven Kern des Phänomens so beschrieben: "Klatsch ist eine schiefe Art, unzufrieden zu sein. Er kriecht die Treppen auf und ab und hält die Menschen zusammen, indem er sie trennt." Genau darum geht es: Klatsch kann bösartig und vernichtend sein. Kann, muss aber nicht.

Denn Klatsch bedeutet auch, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wer in den Klatsch eingeweiht ist, weiß, dass man ihm den Umgang mit einem Geheimnis oder sensiblen Informationen zutraut. Klatsch ist somit eine Art Barometer der eigenen Stellung und Reputation.

Klatsch involviert und integriert. Oder grenzt aus. Wenn man nicht einbezogen wird, sollte man sich ernsthaft Gedanken über seine Position machen. Darüber hinaus ist Klatsch eine spielerische Art des Dampfablassens, etwa angesichts eines tumben Vorgesetzten oder eines nervenden Ellbogen-Karrieristen.

Klatsch ist somit ein Medium der risikofreien Gegenwehr und der seelenhygienischen Koalition unter gleich empfindenden Kollegen. Und während man jemanden mit Klatsch mehr oder weniger sanft demontiert, lassen sich die zu Unrecht degradierten
oder unter Wert gehandelten Kollegen aufrichten und neu definieren. Ob Klatsch gut- oder bösartig ist, verantworten wir selbst.

Der Umgang mit vertraulichen Informationen und Geheimnissen verlangt Umsicht, Menschenkenntnis, Kompetenz und Souveränität. Wer die hohe Kunst dieser komplizierten Kommunikation beherrscht, wird üble Nachreden vermeiden, schmutzige Kampagnen abbremsen und – im Unterschied zu Capote – stets die ungeschriebenen Gesetze des Klatsches befolgen: Wir alle lieben den Verrat, aber keiner liebt den Verräter. Wir alle lieben den Klatsch, aber wir verachten die Klatschbasen.

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