Bericht einer jungen Lehrerin In der Klasse herrscht Klassenkampf

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Als Lehrer darf man nicht spielen

Also investiere ich Zeit, etabliere Rituale – und dann, wenn es gerade einmal angenehm wird in der Klasse, wenn die Schüler interessiert und für einen kurzen Moment konzentriert sind – bricht all diese künstlich geschaffene Kleinbürgerlichkeit wieder auf. Die Gefühle der Kinder entladen sich in Zorn und Chaos, in Verzweiflung, Wut und Aggression.

Da ist er dann wieder, der Klassenkampf. Auf Dauer hält das kaum ein Lehrer aus. Irgendwann kommt er, dieser Moment, in dem man sich als Lehrkraft schützen muss. Die Probleme der Schüler, die kann man nicht ganz allein auffangen. Irgendwann ist man nur noch müde. Abends nörgelt man den Partner an, hat kaum noch Lustempfinden im Alltag, entwickelt Selbstzweifel und fühlt sich handlungsunfähig. Viele Lehrer entwickeln so eine Depression oder ein Burn-out.

Und dann sind da ja noch die Schulleitung und die Kollegen, denen man Ergebnisse liefern möchte, die vergleichbar sind mit anderen Klassen, in denen frontal und streng gearbeitet wird. Auch das macht Druck.

Aber ich bekomme Depressionen, wenn ich nicht mehr versuche. Viele ältere Kollegen raten: Schalte einen Gang runter, vermittle die Inhalte gemäß des Lehrplans, kümmer dich lieber um dein Privatleben. Aber dann tun Lehrer das, was auch alle anderen Verantwortlichen für diese Kinder tun – sie einfach sich selbst überlassen.

Der Rückzug ins Private führt dazu, dem Mitgefühl für die schwierigen Verhältnisse dieser Kinder einfach nicht mehr nachzugeben. Mir macht es Angst, dass ich dieses Verhalten an mir selbst beobachte. Und ich mich als Beamtin auf Probezeit gerade dazu berufen fühle. Nach nicht mal zwei Jahren im Schuldienst habe ich richtig Angst davor, aufzufallen.

Und glücklich bin ich nicht damit.

Was wirklich hinter Lernmythen steckt
Bloß nicht mit den Fingern rechnen Quelle: Fotolia
Eine Lehrerin schreibt mit Kreide an die Tafel Quelle: dpa
Schüler mit dem Smartphone auf dem Schulhof Quelle: dpa
Fehler helfen beim LernenWer sich beim Lernen häufig verhaspelt und die Lösung raten muss, lernt trotzdem was. Eine kanadische Studie hat gezeigt, dass die Gedächtnisleistung sogar von den Fehlern profitiert. Dies gilt allerdings nur, wenn die Raterei nicht völlig ins Kraut schießt, sondern nur knapp an der richtigen Lösung vorbei ist. Wer häufig fast richtige Vermutungen anstellt, dem helfen diese wie kleine Brücken beim Erinnern an die korrekte Information. Diesen Vorteil konnten die Forscher sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Probanden feststellen. Wer sich selbst herantastet, profitiert davon also mehr, als wenn ihm die richtige Antwort vorgesagt wird. Quelle: Fotolia
Texte wiederholt zu lesen, heißt viel zu lernen Quelle: dpa
Gelerntes erzählen, hilft es sich zu merken Quelle: AP
Hochbegabte sind LernüberfliegerWer einen ungewöhnlich hohen IQ hat, ist in der Schule noch lange kein Überflieger. Weil viele Hochbegabte in der Schule unterfordert sind, markieren sie den Klassenclown und bekommen entsprechend schlechte Noten. Quelle: Fotolia

Heilsame Wirkung von Kreativität

Denn ich glaube, dass man mit Kreativität viel bewirken kann. Etwa mit Kunstpädagogik. Durch ihren Einsatz kann der Alltag der Kinder bearbeitet werden, ebenso wie die Erfahrung der Lehrer. Kunstpädagogen können Kindern aus sozial schwachen Problemfamilien dabei helfen, ihren Alltag zu Hause und in der Schule besser zu meistern und zu reflektieren.

Sie aktivieren die kreativen Ressourcen der Schüler, die sich sonst in Zorn und Aggression verwandeln, und zeigen ihnen einen Weg auf, mit diesen Kräften zu spielen. Ein Künstler spielt. Und ein Lebenskünstler schafft es, durchs Leben zu gehen, kreativ und offen für Möglichkeiten, die sich ihm bieten. Als Lehrer ist es unsere Aufgabe, unsere Schüler aus dem Brennpunkt zu genau solchen Lebenskünstlern auszubilden.

Doch als Lehrer darf ich nicht spielen. Ich soll Inhalte vermitteln und Ergebnisse erzielen. Ich hüte mich davor, zum Beispiel die Kommunikation meiner Schüler nur ein bisschen spielerisch in meine Kommunikation als Lehrerin einfließen zu lassen. Ich könnte zu meinem Schüler sagen, der mal wieder mit derber Sprache provoziert, um die Blicke der Klasse auf sich zu ziehen: "Jo, jetzt mach mal hin, Alter, und fletz dich auf deinen verkackten Platz und halt die Fresse!"

Was wäre der Effekt? Der Schüler wüsste, dass Frau Hundertmark sich nicht zu fein ist für diese Sprache. Er würde auch erkennen: "Die ist wirklich sauer, so labert meine Mutter auch immer, wenn ich gleich voll Anschiss bekomme. Das kenn ich, fuck, schnell Klappe halten." Und was würde noch passieren?

Ich würde höchstwahrscheinlich ein Disziplinarverfahren bekommen, wenn das der Schulleitung zu Ohren kommt. An anderen Schulen, wo sich die Eltern noch ein bisschen mehr um ihre Kinder sorgen, ist das schon vorgekommen. Wer als Lehrer gegen die bildungsbürgerlichen Gepflogenheiten des Beamtentums verstößt, wird gemaßregelt.

Ich glaube, wenn wir Lehrer mal die Klappe aufmachen würden und die Klasse wie eine Cameron Diaz aus dem amerikanischen Blockbuster Bad Teacher oder eine Michelle Pfeiffer aus dem Drama Dangerous Minds führen würde, dann wäre die Welt vielleicht nicht besser, aber der Schulalltag lockerer.

Dann würden Brennpunktkinder merken: Ihre Lehrer sind nicht böse, auch ihre Lehrer haben Lust an Irritation, Provokation und handeln aus einem gewissen Fortschrittswillen heraus. Und sie bedienen sich eben nicht der Autorität, sondern der Originalität.

Als Lehrer nur lieb zu sein und den Kindern eine Gegenwelt aufzubauen, bringt nicht den erhofften Effekt. Denn das Gefühl der Geborgenheit hört spätestens zu Hause wieder auf. Wer den Spagat zwischen kleinbürgerlicher Schule und asozialem Zuhause nicht schafft, wird sich der Schule ganz verweigern. Das erleben wir Tag für Tag. 

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