Demnach wäre auch die Hochschulzulassung alles andere als angemessen. Wie sehen Sie das?
Die Abwärtsspirale im Niveau gerade im Zentralabitur scheint zwischen den einzelnen Bundesländern sogar an Fahrt aufzunehmen, da die Schüler aus Bundesländern mit deutlich niedrigeren Abiturientenquoten und Bestnoten das Nachsehen bei der Hochschulzulassung haben und die Eltern den dortigen Bildungsministerien zurecht die Leviten lesen.
Gerade an den aus allen Nähten platzenden Universitäten darf der sich bewerbende Abiturient nämlich wegen akutem Personalmangel nur seine im Abitur erreichte Durchschnittsnote auf einen Zettel schreiben und nur danach erfolgt die Zulassung, ein in der ganzen Welt einmaliger Vorgang. Das ist in der Tat himmelschreiend ungerecht, denn hier werden die Nivellierer des deutschen Bildungssystems auch noch belohnt und die Hochschulen vor kaum zu bewältigende Probleme gesetzt, sollten sie nicht auch in den Abwärtsstrudel mit hinein gezogen werden.
Wie man hört, werden ja immer mehr Brückenkurse für nicht studierfähige Abiturienten an den Hochschulen angeboten. Was ist der Inhalt dieser Kurse?
Da die Vermittlung von Wissen laut reformpädagogischem Credo in den Schulen den Lehrern zunehmend untersagt wird, müssen die Hochschulen nun Brückenkurse in nahezu allen Fachbereichen anbieten. Das, was noch bis vor rund zehn Jahren von der Schule geleistet wurde, wird jetzt in die Hochschulen verlagert. Dies ist nichts anderes als ein bildungspolitischer Offenbarungseid des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das genau diese hier beschriebene Entwicklung längst zur Kenntnis genommen hat und nun drei- bis vierstellige Millionenbeträge aus Steuergeldern dafür ausgeben muss, dass jetzt an den Hochschulen der Stoff der Mittelstufe unterrichtet wird.
PISA, TIMSS, IQB, IGLU, VERA - Schulvergleichstests im Überblick
Diese vier Buchstaben stehen für den weltweit größten Schulvergleichstest, das „Programme for International Student Assessment“. Es wird alle drei Jahre von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris organisiert. Sie tut dies im Auftrag der Regierungen - oder in Deutschland für die Kultusministerkonferenz (KMK) der 16 Länder. Getestet werden 15-Jährige in Naturwissenschaften, Mathematik sowie Lesen und Textverständnis. An „PISA 2015“, dessen Ergebnisse am 6. Dezember präsentiert werden, nahmen weltweit mehr als eine halbe Million Mädchen und Jungen aus über 70 Ländern und Regionen teil, darunter etwa 10.000 aus Deutschland.
Abkürzung für die ebenfalls internationale Schulstudie „Trends in International Mathematics and Science Study“, hier geht es um mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen. Bei der jüngsten Erhebung im Jahr 2015 ließen sich unter Federführung von Bildungsforschern der Technischen Universität Dortmund bundesweit 4000 Viertklässler an 200 Grund- und Förderschulen testen. Weltweit waren es in rund 50 Staaten und Regionen gut 300.000 Kinder, zudem wurden 250.000 Eltern, 20.000 Lehrer und 10.000 Schulleiter befragt.
Diese Studie des Berliner Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) wurde zuletzt Ende Oktober vorgestellt. Sie liefert im KMK-Auftrag Daten und Fakten zum Stand der Schulpolitik in den Ländern. Der „Bildungstrend“, früher „IQB-Ländervergleich“, ersetzte vor einigen Jahren die regionalen PISA-Erweiterungsstudien (PISA-E). 2015 nahmen an den Tests in Deutsch und Fremdsprachen gut 37.000 Schüler der neunten Jahrgangsstufe aus über 1700 Schulen in ganz Deutschland teil.
Dabei handelt es sich in Deutschland um die „Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung“, international lautet die Abkürzung PIRLS („Progress in International Reading Literacy Study“). Mit diesem Projekt wird in fünfjährigem Rhythmus das Leseverständnis am Ende der vierten Jahrgangsstufe erfasst. Für IGLU ist wie bei TIMSS das Institut für Schulentwicklungsforschung (IfS) der TU Dortmund unter Leitung von Wilfried Bos zuständig. Ergebnisse von PIRLS/IGLU wurden zuletzt im Dezember 2012 veröffentlicht, der nächste Bericht kommt 2017 heraus.
Diese länderspezifischen wie auch länderübergreifenden Tests mit Vergleichsarbeiten (kurz VERA) sind Teil eines Bündels von Maßnahmen, mit denen Qualitätsentwicklung und -sicherung auf Ebene der einzelnen Schule gewährleistet werden soll. „Unter den Lernstandserhebungen nehmen die bundesweit einheitlichen Vergleichsarbeiten für die Jahrgangsstufe 3 und 8 (VERA 3 und VERA 8) eine besondere Stellung ein“, schreibt die KMK.
Das wird von der Kultusministerkonferenz und der Hochschulrektorenkonferenz als Qualitätsoffensive gepriesen und an den Hochschulen wegen des unerwarteten Geldzuflusses teilweise in höchsten Tönen gelobt. Daher wird der zweite Band unserer Buchreihe den Titel haben „Für eine Handvoll Euro...“ und sich mit den Entwicklungen an den Hochschulen seit der Jahrtausendwende intensiv beschäftigen.
Könnte die angestrebte Digitalisierung des Bildungswesens denn eine Besserung für diese nicht gerade erfreulichen Entwicklungen bedeuten?
Ganz im Gegenteil. Wir befinden uns in Schulen und demnächst wohl auch in den Hochschulen in einer postfaktischen Ära, denn auch hier üben die Kultusminister- und die Hochschulrektorenkonferenz massiven Druck aus zu kompetenzorientierten Studiengängen und Prüfungen hin – bei gleichzeitiger Verabschiedung von grundlegenden Wissensbeständen, wie das HRK-Gutachten zur Einführung der Kompetenzorientierung an Hochschulen zeigt.
Im Rahmen des jetzt neu auf die Gleise gesetzten Digitalisierungszuges, der nun von internationalen Großkonzernen des Silicon Valley durch Datenklau von Schülern und Studierenden durch Algorithmen gesteuert werden soll, hat die Politik sich endgültig von ihrem ureigenen demokratischen Bildungsauftrag verabschiedet und überlässt jetzt Drittanbietern das Feld, die von nun an darüber bestimmen, was wir in ihrem Interesse wissen sollen und was nicht. Bürger mit gefühltem Wissen sind halt leichter mit Worten manipulierbar und stellen keine Fragen, wie die aus der Sesamstraße bekannten: "Wieso? Weshalb? Warum? Wer nicht fragt bleibt dumm!"