Laut McDonald ist die HBS so gut wie an allem schuld, was schiefläuft im globalen Kapitalismus. Zum Beispiel die Abhängigkeit von überbezahlten Beratern mit dubiosen Erfolgsrezepten – denn McKinsey habe die Schule und deren Dozenten mit satten Honoraren bestochen. Rücksichtslose Absolventen hätten außerdem die Zockerei in Investmentbanken vorangetrieben und die Weltfinanzkrise verursacht – genau wie den Irakkrieg (Absolvent George W. Bush!) und irgendwie auch das Trump-Trauma. Denn erst weil HBS-Leute den Kapitalismus ruinierten, sei die Wut einfacher Amerikaner so gewachsen, dass sie einen Clown ins Weiße Haus wählten.
Vor allem arbeitet sich der Autor an einem Mann ab, der schon lange nicht mehr auf dem Campus zu sehen ist: Michael Jensen. Ende der Achtzigerjahre wurde er ordentlicher HBS-Professor, doch was er predigte, sprengte alle Vorstellungen von ordentlichem Kapitalismus. Bis dahin galt: Firmenchefs sollten auch an die Stakeholder denken, die Arbeitnehmer, die Kunden, gar die Gemeinschaften, in deren Umfeld man Geschäfte macht.
Michael Jensen sagt: Worauf es ankommt, ist Shareholder-Value
Alles Unsinn, der sich nicht rechne, sagte Jensen. Es gehe einzig um die Shareholder, die Anteilseigner, und um deren Gewinn. Wenn etwa feindliche Übernahmen diesen hochtrieben, sei alles gut, selbst wenn dafür Tausende Menschen ihren Arbeitsplatz verlören oder es ganze Stadtteile zerreiße. Die Religion des Shareholder-Value war geboren, und sie fand unverzüglich jede Menge Jünger. Erst auf dem HBS-Campus, dann in den Chefetagen. 1992 betrug das Durchschnittseinkommen des Vorstandsvorsitzenden eines US-Konzerns 2,7 Millionen Dollar. Acht Jahre später lag es bei 14 Millionen. Vor 50 Jahren wurde Amerikas Bossen 20 Mal so viel bezahlt wie Durchschnittsarbeitnehmern. Heute ist es 354 Mal so viel. Shareholdervalue sei wie Heroin für Manager, sagt McDonald.
Die Absolventen an diesem verregneten Donnerstag in Cambridge wirken entsprechend aufgekratzt. Sie müssen sich ja auch nicht gegen die Kritik verteidigen, das erledigt für sie jener glatzköpfige Mann, der gerade noch so eloquent über das Wahre, Schöne und Gute geredet hat. „Alles Böse in der Gesellschaft auf der HBS abzuladen, kommt mir doch ziemlich übertrieben vor“, sagt er kühl. Nohria hat, natürlich, Zahlen zur Verteidigung seiner Schule parat: Absolventen hätten weltweit rund elf Millionen Arbeitsplätze geschaffen – und 2,4 Billionen Dollar Umsatz.
Kurse mit moralischem Anspruch an der HBS?
Außerdem: Die Schule biete ja keineswegs nur Kurse zu Bilanzen oder Übernahmetechniken, sondern auch zu Ethik und moralischer Führung. Zudem gebe es Case Studies – so heißen die legendären Fallstudien, die Grundlage für Unterrichtsstunden sind –, in denen Versäumnisse von Managern etwa in der Weltfinanzkrise aufbereitet würden.
Aber spricht man auf dem Campus über HBS-Kurse mit moralischem Anspruch, lachen einige. Oft gelten diese als fluffy, als wenig anspruchslos und kaum von Nutzen zum Geldverdienen. „Lernt man da, wie man eine Bilanz durchpflügt?“, fragt ein Student. Und wie glaubhaft können die Schulbosse wirklich über Selbsteinsicht dozieren, etwa zur Rolle in der letzten Weltfinanzkrise?
Als die Krise in den USA losbrach, regierte die HBS das Land. George Bush (Abschlussklasse von 1975) saß im Weißen Haus, Finanzminister war Hank Paulson (1970), die Börsenaufsichtsbehörde leitete Christopher Cox (1976). Auch an der Spitze vieler Investmentbanken standen Ehemalige.