Angenommen, Sie wollten Wirtschaftswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt studieren? Dann musste im vergangenen Wintersemester die Abitur-Note besser als 2,0 sein. Für Kommunikationswissenschaften in Münster brauchten Bewerber 1,9. Biologie in Saarbrücken war mit 1,8 möglich. Psychologie in Dresden konnten nur Abiturienten mit einem Schnitt von 1,3 und besser belegen. Aber das ist noch gar nichts: Wollen Sie direkt nach dem Abitur Medizin studieren, brauchten Sie in den meisten Bundesländern einen Notendurchschnitt von mindestens 1,1.
Und das wird sich auch in diesem Jahr nicht ändern. „Mit den doppelten Abiturjahrgängen in Nordrhein-Westfalen und Hessen wird sich die Situation weiter verschärfen“, sagt Dirk Naumann zu Grünberg, Rechtsanwalt mit dem Spezialgebiet Studienplatzklagen. Bislang gilt das Jahr 2011 als Rekordjahr bei den Studienanfängern. Damals begannen etwa 518.000 Erstsemester ihr Studium. Die Beratungsgesellschaft für Hochschulen CHE Consult rechnet für 2013 mit ähnlich hohen Anfängerzahlen. Doch keine Angst, auch mit einem Abischnitt von 3,0 ist das Studentenleben noch längst nicht in weite Ferne gerückt.
Studienbewerber müssen flexibler werden
Denn ungefähr die Hälfte der Studiengänge ist weiterhin frei zugänglich – egal mit welcher Abiturnote. Und diese simple Tatsache übersehen viele Studienanfänger. Sie legen sich von vorne herein auf einen Studienort fest. Und das sind meist die großen Städte wie Berlin, Köln oder München. Das erlebt auch Patrick Ruthven-Murray ständig. Der Gründer der Berliner Studienberatung Plan Z weiß: „Manchen angehenden Studenten muss ich erst mal erklären, dass es noch andere interessante Uni-Städte gibt.“ Und dort ist es häufig einfacher. „In Wirtschaftswissenschaften und in Jura finden Abiturienten auch mit einem Notendurchschnitt von schlechter als 3,0 einen Studienplatz“, ist Ruthven-Murray überzeugt. Während an der Ludwig-Maximillians-Universität München im vergangenen Wintersemester der Grenzwert für Jura 2,1 war, kann man in Trier zulassungsfrei studieren. An der Humboldt-Universität Berlin konnten Studienanfänger mit einem Durchschnitt von 1,8 das BWL-Studium aufnehmen. Im Gegensatz dazu reichte im hessischen Marburg eine Endnote von 2,8 aus, um angenommen zu werden. „Sie müssen nur richtig suchen und dürfen nicht davon ausgehen, dass sie an einem Nachmittag das richtige Studienangebot finden“, sagt der Studienberater. Die örtliche Flexibilität erhöht die Chancen auf den Wunschstudienplatz also enorm. Bei sehr speziellen Studiengängen, die nur an wenigen Hochschulen angeboten werden, reicht dieser einfache Trick allerdings nicht aus.
Eine weitere Möglichkeit an den gewünschten Studienplatz zu kommen, ist das Abwarten der Wartesemester. Gerade bei Studiengängen wie Humanmedizin oder Zahnmedizin, die über die zentrale Vergabestelle Hochschulstart besetzt werden, sind sehr gute Abiturnoten Grundvoraussetzung. Die erforderliche Wartezeit entsprechend hoch. Hierbei kann die Wartezeit bis zu sechs Jahre betragen. Von so langen Überbrückungszeiträumen rät Ruthven-Murray ab. „Zwei Semester auf einen Studienplatz zu warten, ist okay. Aber auf keinen Fall länger“, sagt der Studienberater. Der finanzielle Ausfall sei zu hoch. Zwei Semester hingegen kann der Abiturient sinnvoll überbrücken - zum Beispiel mit einem Freiwilligendienst. Das bringt nicht nur die ersehnten Wartesemester ein, sondern Erfahrungen aus dem Leben und dem Berufsalltag. Auch im Lebenslauf macht sich soziales Engagement gut.
Quereinstieg als Chance nutzen
Wer nicht warten möchte und trotz Umzieh-Bereitschaft keinen Studienplatz bekommt, hat weitere Möglichkeiten. Zum Beispiel den Quereinstieg: Das bedeutet, wer zum Beispiel Medizin studieren möchte, aber in der Schule zu schlecht war, startet in einem verwandten Fach, um in einem höheren Semester zu wechseln. Dazu würde sich beispielsweise Pharmazie anbieten. Doch aufgepasst: Der Quereinstieg ist kompliziert und sollte detailliert geplant werden. Studienberater Ruthven-Murray empfiehlt diese Variante nur „sehr hartnäckigen, gut organisierten Menschen“. Zunächst muss der angehende Student überprüfen, an welchen Universitäten der Studienfachwechsel am einfachsten ist. Sprich, an welcher Universität möglichst viele Veranstaltungen der Mediziner identisch mit denen der Pharmazeuten sind – um beim Beispiel zu bleiben. Auf jeden Fall sollte sich der Abiturient vorher beim Prüfungsamt oder der Fachstudienberatung genau erkundigen, welche Veranstaltungen wirklich angerechnet werden. Im Zweifelsfall muss er vorher sogar mit den Professoren abklären, ob sie beispielsweise eine Chemievorlesung der Pharmazeuten mit einer ähnlichen Veranstaltung der Mediziner gleichsetzen. Hat er all diese Informationen im Vorfeld eingeholt, muss er sich im Studium beweisen und genügend Punkte sammeln, um im zweiten Semester Medizin eingestuft zu werden. Dies muss ihm das Landesprüfungsamt bestätigen. Und selbst wenn dieser bürokratische Aufwand überstanden ist, kann es immer noch passieren, dass andere Quereinsteiger wegen besserer Noten bevorzugt werden. Die Chancen eines Quereinstiegs sollten deshalb ebenfalls im Vorfeld abgeklärt werden.
Zur Not kann eine Studienplatzklage helfen
Tipps für Studienplatzbewerber
Abiturienten, die örtlich oder deutschlandweit zulassungsbeschränkte Fächer studieren wollen, sollten sich schon vor der Bewerbung bei der Hochschule oder der Stiftung Hochschulzulassung (hochschulstart.de) über die Chancen einer Kapazitätsklage informieren.
Die Widerrufsfrist auf dem Ablehnungsbescheid von Hochschulstart ist nicht maßgeblich für eine Kapazitätsklage. Hier gelten eigene Fristen, die sich je nach Bundesland und Fach unterscheiden und sich oft ändern.
Ein "regulärer" Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid von Hochschulstart hat sehr viel geringere Aussichten als Kapazitätsklagen. Denn beim Widerspruch geht es nur um die gemeldeten Studienplätze. Eine Kapazitätsklage versucht, zusätzliche Plätze ausfindig zu machen.
Genauso wie die Erfolgsaussichten einer Studienplatzklage. Während der spezialisierte Rechtsanwalt Naumann zu Grünberg im Fach Psychologie bislang alle seine Mandaten unterbringen konnte, ist es in der Tiermedizin schon deutlich schwieriger, da dieses Fach deutschlandweit nur an fünf Unis unterrichtet wird. Bei einer Studienplatzklage sind drei Punkte entscheidend:
Erstens: Der Abiturient sollte nicht die Universität verklagen, an der er am liebsten studieren möchte. Es kommt darauf an, wo die Erfolgsaussichten am größten sind. Um das herauszufinden, erstellt der Anwalt Berechnungen. Wie voll sind die Hörsäle? Verwenden die Dozenten den angegeben Teil ihrer Arbeitszeit auf die Lehre oder Forschen sie mehr? Auf diese Weise versucht Naumann zu Grünberg nachzuweisen, dass die Uni eigentlich mehr Studienplätze hat, als sie vergibt. Dieses Ergebnis ist die Grundlage einer jeden Studienplatzklage. Um eine Rangliste mit den Universitäten zu erstellen, an denen eine Klage die meisten Aussichten auf Erfolg hat, muss er weitere Faktoren beachten. Wie viele junge Menschen werden versuchen sich dort einzuklagen? Hat das zuständige Gericht in der Vergangenheit eher für die Studenten oder für die Universitäten entschieden?
Tipps für die Studienplatzsuche in letzter Minute
Auf www.freie-studienplaetze.de informiert die Stiftung für Hochschulzulassung über Hochschulen, in denen es wenige Wochen vor Semesterbeginn noch freie Studienplätze gibt.
Manche Hochschulen bieten – wenn in einem Jahr zu wenig Anmeldungen eingegangen sind – Nachrück-Programme an. Dafür müssen Sie sich ganz normal bewerben und oft auch einen Eignungstest bestehen. Aber die Aussichten sind gut.
Wenn das Studium für Sie ohnehin nur ein schneller Weg in den Beruf in der Wirtschaft sein soll, könnte ein duales Studium mit fest integrierten Praxisblöcken eine Alternative sein. Dazu brauchen Sie in der Regel nur den Platz beim Ausbildungsbetrieb, der Studienplatz ist dann gesichert. Es gibt Unternehmen, die auch in den letzten Wochen noch Bewerber als duale Studenten nehmen.
Ein Studium im Ausland kann eine Option sein, denn in einigen Ländern sind deutsche Studenten auch noch kurz vor Semesterbeginn willkommen. Möglicherweise höhere Kosten und natürlich die die Sprachbarriere müssen Sie in Kauf nehmen.
Der zweite Schritt zum Erfolg ist, mehrere Unis gleichzeitig zu verklagen. Das rät Naumann zu Grünberg vor allem im Bereich Medizin, da die Wahrscheinlichkeit jeder einzelnen Klage eher gering ist. Um eine reale Chance zu haben, sollten etwa zehn Universitäten verklagt werden. Aber das ist teuer. Pro Uni kann man mit Kosten zwischen 1200 und 2000 Euro rechnen. "Von einer Kreditfinanzierung einer Klage rate ich ab, denn es gibt keine Garantie für einen Studienplatz“, sagt Naumann zu Grünberg.
Fristen einhalten
Drittens ist es wichtig die Fristen einzuhalten. Denn diese enden oftmals überraschend früh, nämlich mit den Bewerbungsfristen des Semesters. Die Anträge müssen damit häufig schon eingereicht werden, bevor der Abiturient die letzte Absage erhalten hat.
Die Studienplatzklage ist kostspielig. Deshalb lohnt es sich bei älteren Rechtschutzversicherungen zu prüfen, ob solche Klagen von der Police abgedeckt werden. Bei neueren Versicherungen bieten die Assekuranzen diesen Schutz meist nicht mehr an, da mittlerweile zu viele Abiturienten auf einen Studienplatz klagen. Unverheiratete, nicht berufstätige Kinder sind bei den Eltern mitversichert. Allerdings gelten hierbei je nach Versicherungstarif unterschiedliche Altersgrenzen.
Notfallplan: Privatuni
Ebenfalls nicht ganz günstig ist die Variante der privaten Universität. „An vielen dieser Hochschulen spielen Noten eine untergeordnete Rolle. Solange man bereit ist die hohen Semestergebühren zu bezahlen, bekommt man auch einen Studienplatz“, sagt Studienberater Ruthven-Murray. Ausnahmen seien einige Elite-Unis wie die WHU oder Witten-Herdecke.
Wer geht wohin?
Am liebsten gehen die Studenten nach Spanien. „Da spielt sicher auch der Sunshine-Faktor eine Rolle“, sagt Wuttig. Die Austauschplätze in Madrid & Co. sind allerdings begrenzt: Jedes Land soll ungefähr so viele Studenten in ein anderes Land entsenden, wie es von dort empfängt.
Sozial- und Geisteswissenschaftler packt das akademische Fernweh häufiger als Naturwissenschaftler. Der Prototyp des deutschen Erasmus-Teilnehmers studiert Wirtschaftswissenschaften.
Obwohl nicht im sonnigen Süden gelegen, ist Deutschland in Europa Empfängerland Nummer drei.
In der Umstellungsphase auf Bachelor- und Masterstudiengänge sind die Teilnehmerzahlen zeitweise leicht eingebrochen, haben sich aber wieder erholt. Tendenz: Steigend. Allerdings habe sich die Dauer der Aufenthalte verkürzt. „Seit der Einführung von Bachelor und Master schauen die Studenten mehr darauf, ob ein Auslandsaufenthalt ins Studium integrierbar ist“, sagt Christiane Biehl von der Uni Köln. Der Freiraum, im Ausland auch einmal in andere Disziplinen hineinzuschnuppern, sei geschwunden.
Gerade im Bereich der Humanmedizin ist das Auslandsstudium eine gute Alternative. "In Osteuropa haben sich die Unis auf deutsche NC-Flüchtlinge spezialisiert“, sagt Naumann zu Grünberg. Universitäten zum Beispiel in Ungarn oder Rumänien bieten sogar Medizinstudiengänge auf Deutsch an. „Aber Vorsicht - dort tummeln sich auch graue Schäfchen am Markt", warnt der Rechtsanwalt. Sie behaupten in Deutschland voll anerkannt zu sein. Doch will der Student von Osteuropa per Quereinstieg nach Deutschland wechseln, ist das dann wegen unterschiedlicher Inhalte während des Studiums doch nicht möglich.
Das Studium im Ausland lohnt aber auch in anderen Studiengängen. Vor allem die Umstellung auf Bachelor und Master macht diese Möglichkeit attraktiver. Denn die Studenten sind für einen Bachelor nur drei Jahre im Ausland gebunden. Können anschließend zum Arbeiten oder für den Master zurück in ihre Heimat kommen. Denn die Hochschulabschlüsse werden zumindest EU-weit anerkannt.
Für Alldiejenigen, deren Abiturnote nicht gut genug war und für die die vorangegangenen Tipps nicht in Frage kommen, lohnt sich ein Blick auf die Studienplatzbörsen der Hochschulrektorenkonferenz oder des Portals studieren.de. Hier finden sie zehntausende freie Plätze an über 200 Hochschulen, die nicht ausgeschöpft wurden. Bei studieren.de werden erfahrungsgemäß besonders viele Plätze aus den Wirtschaftswissenschaften gemeldet. Für das Wintersemester sollten Interessierte die Studienplatzbörsen ab September im Blick haben.
Haben oder hatten Sie selbst Probleme mit dem NC Ihres gewünschten Studiengangs? Schreiben Sie uns über Ihre Erfahrungen an kristin.schmidt@wiwo.de oder diskutieren Sie mit anderen Lesern auf facebook.