Studentenleben Die Paranoia um das Plagiat

Die Skandale um plagiierte Doktorarbeiten von Spitzenpolitikern haben auch den Studentenalltag verändert. Viele haben Angst vor dem "versehentlichen Plagiat". Was lässt sich dagegen tun?

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Satz für Satz wächst das Werk. Absatz um Absatz, Seite um Seite kommt man dem Ziel näher: dem Schlusswort. Die Quellen sind sorgfältig recherchiert, man ist zufrieden mit der eigenen Leistung und dem eigenen Fazit. Aber trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl: Habe ich wirklich alles richtig gemacht? Vor allem: Ist der "akademische Apparat", also die Anmerkungen in den Fußnoten, korrekt?

Manch einer wird nervös beim Blick auf jeden Absatz, der keine Fußnote enthält: Sind das wirklich meine eigenen Gedanken? Oder hatte ich das vielleicht doch schon irgendwo gelesen? Oder wenn nun ein anderer genau dieselbe Schlussfolgerung auch gezogen hat? Die leichte Nervosität steigert sich zur Angst. Was tun? Satz für Satz die Arbeit durch Google jagen? Eine Plagiatssoftware testen? Sämtliche Bücher noch einmal wälzen? Oder ist das alles Quatsch?

Wenn Politiker über Doktortitel stolpern
Gerd MüllerDie Universität Regensburg sieht in der Doktorarbeit von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) keine Hinweise auf ein Plagiat. Dem Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens fehle die Grundlage, teilte die Hochschule mit. „Die Art und Weise, wie vom Autor benutzte Literatur und Quellen dokumentiert sind, ist nicht darauf angelegt, die eigentliche intellektuelle Autorschaft an Erkenntnissen, Ideen, Argumenten oder Thesen zu verschleiern.“ Nach Angaben der Universität fand der Ombudsmann für solche Fälle, Professor Christoph Meinel, keine Hinweise, dass die 1987 vorgelegte Dissertation gegen die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis verstößt. Auch an den wenigen Stellen, wo Wortfolgen übernommen worden seien, ohne sie durch Anführungszeichen zu markieren, werde die Herkunft durch Anmerkungsziffern und Seitennachweis belegt. Mit den Vorwürfen war Anfang April der Nürnberger Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder an die Öffentlichkeit getreten: Müller habe in seiner Doktorarbeit „Die Junge Union Bayern und ihr Beitrag zur politischen Jugend- und Erwachsenenbildung“ Texte aus Arbeiten des Politologen und späteren CDU-Politikers Wolfgang Hackel übernommen, ohne diese mit Anführungszeichen als Zitat zu kennzeichnen. Quelle: dpa
Silvana Koch-Mehrin Die FDP-Politikerin bekommt ihren Doktortitel nicht zurück. Knapp zwei Jahre nach Entzug des akademischen Grades lehnte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) den Antrag der 43-jährigen Europaabgeordneten auf Berufung gegen ein Urteil der Vorinstanz ab.Die Universität Heidelberg hatte Koch-Mehrin im Juni 2011 den akademischen Doktorgrad wegen Plagiaten entzogen. Die Politikerin wollte sich damit nicht abfinden und klagte gegen die Entscheidung. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe befand im März 2013, dass Koch-Mehrin den Titel zu Recht verloren habe, weil sie in ihrer Doktorarbeit teils mehrseitige Passagen samt Fußnoten aus fremden Texten nahezu wortgleich übernommen habe, ohne dies kenntlich zu machen. Dies lasse den Schluss zu, dass die Klägerin „wiederholt und planmäßig“ getäuscht habe. Der VGH in Mannheim entschied nun, es gebe keine „ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit“ dieses Urteils. Die Rügen der Klägerin zum Verfahren der Uni Heidelberg reichten nicht aus, befanden die Verwaltungsrichter. Koch-Mehrin hatte unter anderem beanstandet, dass der Heidelberger Promotionsausschuss „den denunziatorischen Charakter des Vorgehens gegen die Klägerin nicht berücksichtigt“ habe. Bei der Überprüfung der Doktorarbeit über die „Lateinische Münzunion 1865-1927“ hatte die Uni Heidelberg auf 80 Seiten 125 Plagiate gefunden. Sie bestätigte damit Recherchen von Internet-Nutzern, die Anfang April 2011 im „VroniPlag“-Wiki plagiatsverdächtige Stellen zusammengetragen hatten. Die Affäre hat jetzt ein Ende gefunden. Der VGH stellte fest: „Der Beschluss ist unanfechtbar.“ Quelle: dpa
Andreas ScheuerDer Wirbel um die Doktorarbeit von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hält an. Der Ombudsmann für die deutsche Wissenschaft, der Bonner Juraprofessor Wolfgang Löwer, sprach sich dafür aus, dass die Arbeit auf einen möglichen Plagiats-Tatbestand wissenschaftlich untersucht wird. Die bekanntgewordenen Stellen „sollten Anlass sein, genauer hinzusehen und zu prüfen, wie der Text entstanden ist“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS). „Ich gehe davon aus, dass die Karlsuniversität in Prag dieser Aufgabe nachkommen wird.“ In der CSU-Landesleitung in München war am Samstag niemand für eine Stellungnahme erreichbar. In Prag hatte Scheuer sein „kleines Doktorat“ erworben, das ihn nur in Bayern und Berlin zum Tragen eines allgemeinen Doktortitels berechtigt. Nachdem er wegen der Verwendung auch anderswo kritisiert worden war, hatte Scheuer am Freitag ganz darauf verzichtet, einen akademischen Titel zu tragen. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Die Entscheidung, dass er den Titel nicht weiter führt, ist richtig. Für mich ist das erledigt.“ Bayerns SPD-Landesvorsitzender Florian Pronold hatte dagegen betont: „Mit dem Verzicht auf den Doktortitel ist es noch nicht getan. Im Raum steht schließlich der Vorwurf des Plagiats.“ Und die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, hatte getwittert: „Wie heißt es nochmal bei der CSU: „Wer betrügt, der fliegt.“ Und was heißt das dann für Herrn Scheuer?“ Löwer stufte Passagen in Scheuers Promotionsarbeit, die offenbar aus einer Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung übernommen wurden, als „klassisches Plagiat“ ein. Es könne sich jedoch auch um ein Versehen handeln. Ob der Verfasser eine systematische Täuschungsabsicht verfolgt habe, sei erst durch eine gründliche Prüfung der gesamten Arbeit festzustellen, erläuterte der Ombudsmann, der für gute wissenschaftliche Praxis und Verstöße dagegen zuständig ist. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete von Hinweisen, dass Scheuer zum Thema Volksentscheide in Bayern auch von einer Publikation der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung abgeschrieben haben könnte. „Das ist eindeutig abgeschrieben“, sagte der Münchner Jura-Professor Volker Rieble dem Blatt. Allerdings sei die Zahl der Fundstellen und der Umfang der übernommenen Texte gering. „Das reicht nicht, um von einer plagiatorischen Arbeitsweise zu sprechen.“ Dass mal an wenigen Stellen die Fußnote fehle, könne durchaus passieren. Aber Rieble fügte auch hinzu: „Acht bis zehn Stellen von dieser Qualität, dann ist er geliefert.“ Quelle: dpa
Norbert LammertDie Universität Bochum wird kein Verfahren zur Aberkennung des Doktorgrades von Bundestagspräsident Norbert Lammert eröffnen. Das beschloss das Rektorat der Hochschule auf der Grundlage einer eingehenden Prüfung, wie die Ruhr-Universität am Mittwoch mitteilte. „In der Dissertation finden sich zwar vermeidbare Schwächen in den Zitationen, die aber den Verdacht des Plagiats oder der Täuschung keineswegs rechtfertigen“, heißt es in der Mitteilung. Ein anonymer Blogger mit dem Pseudonym „Robert Schmidt“ hatte Lammert Ende Juli vorgeworfen, dass sich auf 42 Seiten seiner Arbeit Unregelmäßigkeiten fänden. Quelle: dpa
Frank-Walter SteinmeierDie Universität Gießen geht Plagiatsvorwürfen gegen den SPD-Fraktionschef nach. Es sei ein Schreiben eingegangen, in dem die Überprüfung von Steinmeiers Doktorarbeit angeregt werde, teilte die mittelhessische Hochschule am Sonntag mit. Voraussichtlich an diesem Montag (30.9.) werde entschieden, wie man weiter vorgehen wolle. Zuvor hatte das Magazin „Focus“ unter Berufung auf den Wirtschaftswissenschaftler Uwe Kamenz gemeldet, Steinmeiers 1991 in Gießen eingereichte Promotion weise „umfangreiche Plagiatsindizien“ auf. Steinmeier sprach auf „Focus“-Anfrage von einem „absurden Vorwurf“. „Sollte sich die Uni Gießen zu einer Überprüfung entschließen, sehe ich dem Ergebnis mit großer Gelassenheit entgegen.“ Professor Kamenz hatte Steinmeiers Arbeit „Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit“ per Computersoftware mit 50 in der Arbeit genannten Quellen verglichen, wie er am Sonntag der dpa sagte. An mehr als 400 Stellen seien problematische Übereinstimmungen registriert worden. „Wenn man 400-mal die Anführungszeichen vergisst, kann das kein Versehen sein“, urteilte Kamenz. Der Berliner Jura-Professor Gerhard Dannemann, der eine Zwischenversion des Prüfberichts von Kamenz ansehen konnte, wertete nach „Focus“-Angaben einen Großteil der Indizien als „lässliche Sünden“. Mindestens drei Passagen seien aber kritisch: „Wenn der Prüfungsbericht hier die Quellen richtig wiedergibt, wären das Verstöße gegen die Zitierregeln, die den Bereich des Tolerierbaren klar überschreiten würden.“ Quelle: dpa
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) Quelle: dapd
German Defence Minister Karl-Theodor zu Guttenberg Quelle: dapd

Ganz klar nein, sagt Andrea Bausch, Schreibberaterin der Universität Bayreuth. In ihren Beratungen und Workshops zum wissenschaftlichen Schreiben sei die Angst vor dem Plagiat seit der Affäre Guttenberg verstärkt Thema. "Die Studierenden fragen besorgt nach, ab wann es denn ein Plagiat sei und was sie denn alles zitieren müssten. Und sie fragen das nicht, weil sie möglichst elegant plagiieren möchten, sondern weil sie Angst haben, aus Versehen ein Plagiat zu produzieren", so Bausch. Genauso beobachten es Christine Braun von der Schreibberatung der Uni Regensburg: "Auf jeden Fall ist die Furcht, unbeabsichtigt ein Plagiat zu begehen, bei den Studierenden sehr hoch. Sie sind verunsichert."

So zitieren Sie richtig!

Doch woher genau rührt diese Angst? Plagiate sind kein neues Phänomen - das zeigen auch die enttarnten Kopiearbeiten der Politiker, denn die liegen schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück.

Die drei nützlichsten Programme zum Aufspüren von Plagiaten

"Ich glaube, dass Thema Plagiat ist kein neues für Studenten, aber ihr Bewusstsein hat sich durch die öffentliche Diskussion geschärft", sagt die Schreibberaterin der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität Monika Beck. Die Germanistin hält an der Hochschule regelmäßig Vorträge, bietet Schreibkurse an und berät Studenten.

Mängel bei der wissenschaftlichen Vorbereitung?

Studenten hätten die Regeln in den ersten Semestern durchaus gelernt, so Beck, etwa in Tutorien und Vorlesungen, vielen falle aber am Ende, wenn es denn ernst wird, die praktische Umsetzung schwer. Dann komme häufiger die Aussage "Ich habe das gar nicht richtig gelernt." Hohe Fehlerquoten beim Zitieren, viele Nachfragen und ängstliche Studenten zeigen: Die Lehre scheint nicht ausreichend auf das wissenschaftliche Schreiben vorzubereiten. Nicht eine Anleitung zu Zitiertechniken oder Fußnoten fehle, sondern die Heranführung an die Wissenschaft an sich. Anders lassen sich viele Fragen von Studierenden nicht erklären. Wie etwa ein Forumseintrag auf studis-online von einer gewissen Greggoria zeigt: "Was ist aber, wenn man jetzt etwas schreiben möchte dass man sich selbst logisch erschlossen hat und es so auch höchstwahrscheinlich stimmt? Kann man das dann einfach so ohne Quelle aufschreiben oder muss man wirklich alles mit fremden Quellen belegen? Habe da Angst, dass jetzt meine Behauptungen als Plagiat abgestempelt werden, falls jemand anderes meine Behauptung schon veröffentlicht hat."

Zehn Grundregeln zum wissenschaftlichen Schreiben

Grund für die Unsicherheit: Zitieren wird häufig eher formal in Einführungsveranstaltungen thematisiert, wenn Studierende noch keine Seminararbeiten schreiben. "Sie können die Information noch nicht einordnen", sagt Christine Braun von der Schreibberatung der Uni Regensburg. "Es sollte gezielte Übungen zu Zusammenfassungen, Paraphrasen und Kommentierung in den Fächern geben, auch sollte ganz intensiv diskutiert werden, warum wie zitiert wird." Die formalen Regeln erlerne man schnell, wenn man wisse, was man warum machen möchte.

In Fächern wie Geschichte, Soziologie oder Germanistik sei das Problem des falschen Zitierens deutlich seltener, da Studenten dieser Fächer sich viel häufiger mit Quellenkritik auseinandersetzen, sagt Beck. In anderen Fächern seien diese Probleme dann aber größer.

Wie an deutschen Unis gemogelt wird
Gehört das Schummeln zum Studium dazu? Diese Frage lässt sich jetzt zum ersten Mal beantworten. Drei Jahre lang haben Bielefelder Soziologen im Auftrag des Bundesbildungsministeriums erforscht, wie ehrlich an Unis in Deutschland studiert wird. Für die Fairuse-Studie haben sie mehrere Tausend Studenten anonym befragt. Die Wissenschaftler fragten nicht nur nach Plagiaten, sondern auch nach spicken, abschreiben und danach, wie oft bei Experimenten die Messergebnisse gefälscht wurden. Zeit Campus hat die wichtigsten Zahlen vorab bekommen. Sie zeigen: Das Schummeln gehört an der Uni zum Alltag. Wer ganz brav studiert, ist in der Minderheit. Vier von fünf Befragten haben sich im Laufe eines Semesters zumindest eine Kleinigkeit zuschulden kommen lassen. Fast jeder fünfte der Befragten hat innerhalb eines Semesters mindestens einmal bewusst eine Arbeit abgegeben, die teilweise oder vollständig von anderen geschrieben worden war. Quelle: dpa
Entdeckt wird fast niemand: Die Bielefelder Studie zeigt, dass 94 Prozent derjenigen, die ein Plagiat abgeben, nicht erwischt werden. Und rechtliche Konsequenzen gibt es ohnehin fast nie. Darf man das? Ist ein bisschen Schummeln in Ordnung? Oder ist jeder Spickzettel knallharter Betrug? Darüber wird angesichts dieser Studie wohl wieder gestritten werden. Aber anders als während der Guttenberg-Debatte und der Aufregung um weitere Promiplagiate gibt es diesmal detaillierte Zahlen darüber, wie es wirklich an den Unis aussieht. Zahlen, die Anlass geben, nach den Ursachen für das Schummeln zu fragen – Zahlen, mit denen sich einige gängige Behauptungen überprüfen lassen: „Copy and Paste ist der neue Zeitgeist!“ oder „In Karrierefächern wird am meisten geschummelt!“ oder „Ein Plagiat kann jedem passieren!“ – Stimmt das wirklich? Quelle: dpa
1. Behauptung: „In Karrierefächern wird am meisten geschummelt“Stimmt nicht. Die klassischen Karrierefächer Jura und BWL stehen sogar vergleichsweise gut da. Immerhin jeder vierte Student der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hat sich laut der Studie gar nichts zuschulden kommen lassen; im Durchschnitt aller Fächer ist es nur jeder fünfte. Plagiiert wird nicht etwa besonders oft unter Juristen, wie die Promotionsskandale vermuten lassen, sondern unter Ingenieuren – fast jeder dritte gab in der Studie zu, die Texte anderer Autoren als seine eigenen ausgegeben zu haben. Bei den Sportwissenschaftlern war es jeder vierte, bei den Juristen jeder fünfte, unter Wirtschaftsstudenten sogar nur jeder zehnte. Ob und auf welche Weise geschummelt wird, hat viel mit der Art der Prüfungen zu tun. Wo vor allem Multiple-Choice-Tests eingesetzt werden, fällt das Abschauen leichter als in Klausuren mit komplexen Essayfragen. Und Messergebnisse fälschen können Natur- und Sozialwissenschaftler, aber nicht Philosophen oder Kunsthistoriker. Deshalb sticht nicht ein einzelnes Schummelfach hervor. Quelle: dpa
1. Behauptung: „In Karrierefächern wird am meisten geschummelt“Anders als bei Plagiaten liegen die Ingenieure beim Abschreiben in Klausuren mit rund 30 Prozent etwas unter dem Durchschnitt. Aber fast 70 Prozent der Mediziner schauen zum Nachbarn. Kunststudenten wiederum lassen sich oft falsche Atteste ausstellen, um damit ihre Prüfungstermine zu verschieben. Der Mythos vom karrieregeilen Schummler ist jedenfalls genau das – ein Mythos. Das gilt ganz unabhängig von allen Fächerklischees, zeigt die Studie: Wer nicht in erster Linie durch seine Liebe zum Fach motiviert wird, sondern durch gute Noten oder verbesserte Berufsaussichten, schummelt deswegen nicht häufiger. Wem aber die Motivation fehlt, wer oft aufschiebt oder Konzentrationsschwierigkeiten hat, der schummelt auch eher. Frauen schummeln übrigens ähnlich häufig wie Männer, aber etwas anders: Männer haben beim Plagiieren die Nase knapp vorn, Frauen schreiben dafür eher Spickzettel und mogeln in Klausuren. Quelle: dpa
2. Behauptung: „Wer in Klausuren spickt, wird später zum Plagiator“Stimmt nicht. Denn längst nicht jeder Schummler ist zu allem bereit. So hat mehr als jeder dritte Befragte zugegeben, in einer Klausur abgeschaut zu haben, plagiiert hat aber nicht mal jeder fünfte. Viele nehmen manchmal Spickzettel mit (31 Prozent), aber nur manche benutzen sie dann auch (17 Prozent). Zudem wird das Spicken, Plagiieren und Fälschen in höheren Semestern weniger: Im Schnitt wird im dritten Jahr an der Uni weniger geschummelt als im ersten und zweiten – und im vierten Jahr noch weniger. Nur falsche Atteste werden mit jedem Jahr etwas öfter benutzt. Aber: Wer keine Angst davor hat, erwischt und bestraft zu werden, schummelt häufiger. „Viele Schummler bekommen keine Credit Points, wenn sie erwischt werden, aber auch keine Strafe“, sagt Sebastian Sattler, der Leiter der Fairuse-Studie. „Das ist so, als würde man einem Bankräuber das Geld wegnehmen, das er geklaut hat, aber keine Gefängnisstrafe verhängen.“ Quelle: dpa
2. Behauptung: „Wer in Klausuren spickt, wird später zum Plagiator“Ginge es nach Sattler, müsste man Schummlern auch Credit Points früherer Seminare aberkennen, um sie auf diese Weise abzuschrecken. Durch Bestrafung allein wird sich aber nicht viel verändern. Das Lernklima muss besser werden. Einer von fünf Studenten leidet stark unter Prüfungsangst, nur jeder hundertste ist angstfrei. Das könnte sich noch verschärfen, wenn permanent mit harten Strafen gedroht wird. Wer Angst vor Prüfungen hat, greift wiederum öfter zu unerlaubten Mitteln, zeigt die Fairuse-Studie. Quelle: dpa
3. Behauptung: „Ein Plagiat kann jedem mal passieren“Eher nein. Die meisten Schummeleien passieren nicht versehentlich. Wer mit dem Seminarordner auf dem Schoß in der Klausur erwischt wird oder denselben Essay wie sein Nachbar abgibt, kann sich nicht mehr rausreden, ertappt ist ertappt. Bei Plagiaten ist das schwieriger: Ausgerechnet der schwerste Verstoß gegen die Prüfungsordnung ist nur unscharf definiert. „Was ein Plagiat ist und was nicht, ist immer eine Einzelfallentscheidung“, meint die Berliner Informatikprofessorin und Plagiatjägerin Debora Weber-Wulff. Und die amerikanische Bildungswissenschaftlerin Melissa Anderson, die seit vielen Jahren zum Thema forscht, sagt: „Es ist schwierig, sich mit absoluter Sicherheit davor zu schützen, versehentlich zu plagiieren.“ Manche Plagiate passieren ungewollt, zum Beispiel, wenn man sich auf Allgemeinwissen beruft. Schließlich wäre es albern, in jeder Arbeit über das Sonnensystem erst einmal Kopernikus zu zitieren. Doch wo hört Allgemeinwissen auf? Das ist unklar. Manchmal liest man auch etwas, das einem später als eigene Idee erscheint. Psychologen sprechen dabei von Kryptomnesie. Quelle: dpa

So etwa in Fächern wie Ingenieurswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre oder etwa Architektur. In letzterem Studiengang machte die 23-jährige Laura Wagner (Name geändert) die Erfahrung, wie mangelhaft die wissenschaftliche Vorbereitung im Studium sein kann: Als sie mit ihrer Bachelorarbeit begann, lag die letzte schriftliche Arbeit schon Jahre zurück. "Zitiert habe ich das letzte Mal im Abitur", so die Architekturstudentin. Von ihrem Professor an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe habe sie lediglich eine kurze PDF bekommen. "Darin stand das Gröbste noch einmal drin. Vor allem wie Quellen angegeben werden." Als jedoch ihre Schwester - Geschichtsstudentin - einen Blick auf die fertigen Kapitel warf, wurde einiges korrigiert. "Da die meisten Abschlussarbeiten im Studiengang Architektur nicht schriftlich sind, ist das Zitieren generell nicht so wichtig bei uns, aber bei schriftlichen Arbeiten achten die Professoren schon drauf." In anderen Fächern sei es wahrscheinlich wichtiger, mutmaßt die Studentin.

Aber nicht nur in 'schriftarmen' Fächern begegnen viele Studierende erst mit der Abschlussarbeit der Hürde des wissenschaftlichen Schreibens. Manche Studienordnung geben den Studenten zudem die Möglichkeit gezieltes wissenschaftliches Arbeiten einfach zu umgehen: "Ich habe häufiger Studenten in der Schreibberatung sitzen, die sich häufig durchgemogelt haben, weil sie beispielsweise für Studienarbeiten nur Referate gehalten oder kurze Essays geschrieben haben", sagt Beck. Diese hätten dann bei der Abschlussarbeit häufig große Probleme.

Ähnlich sieht es auch Bausch von der Uni Bayreuth: "Ich denke, sie sind deshalb unsicher, weil sie sich oft noch gar keine Gedanken darüber gemacht haben, wofür das Zitieren eigentlich gut sein soll. Außerdem ist das gesamte Handwerkszeug rund ums Zitieren für die meisten neu und erscheint zunächst umständlich - und es fehlt ganz oft die Übung im kritischen Lesen wissenschaftlicher Texte und natürlich im Schreiben von eigenen Texten.“ Braun von der Uni Regensburg spricht sogar von "massiven Schreibhemmungen", die manche Studenten aus Angst vor unfreiwilligen Plagiaten entwickelten. "Sie gehen davon aus, dass sie alles, was sie wissen, aufgrund von Texten anderer erlernen oder entwickeln. Daher können sie nicht klar und selbstbewusst zwischen eigenen Gedanken und den Gedanken anderer unterscheiden. Wo beginnt ein Kommentar?"

Wege aus der Paranoia

Sprüche, die Studenten nicht mehr hören können
Studenten und das frühe Aufstehen passt für viele nicht zusammen - vielleicht auch, weil sie es aus ihrer Studienzeit so kennen. Heute können Studenten Sprüche wie "Studenten stehen ja schon um sieben Uhr auf - weil um acht die Geschäfte zumachen" nicht mehr hören. Auch Fragen um die Mittagszeit von besorgten Familienmitglieder wie "Oh, habe ich dich etwa wach gemacht? Studenten von heute schlafen ja immer so lang" sorgen nicht gerade für gute Laune bei Studierenden, deren Vorlesungen mittlerweile häufig morgens um acht Uhr oder noch früher beginnen und zu denen sie auch erscheinen müssen... Quelle: Fotolia
Nicht nur das lange Schlafen wird von Älteren oder Nicht-Akademikern häufig angeführt, um das Leben von Studenten zu verherrlichen. Ein anderer Vorwurf trifft viele Studierende noch deutlich härter als dass sie zu lange schlafen würden: "Studenten haben ja keine Ahnung, was es bedeutet zu arbeiten." Passend dazu auch: "Du weißt auch nicht, was Stress ist." Oder besonders direkt: "Studenten sind doch faul." Quelle: dpa
Es mag manche überraschen, aber nur weil jemand ein Fach studiert, das viele auch in der Schule belegt haben, heißt das noch lange nicht, dass derjenige auch Lehrer werden möchte. Wer Geschichte, Mathematik, Englisch oder ähnliche Studiengänge im Studentenausweis stehen hat, kennt "Auf Lehramt?" bestimmt - und hasst es. Alternativ: "Ach, dann willst du Lehrerin werden?" Für "normale" Bachelor- und Masterstudenten ein Alptraum - und eine der häufigsten Fragen überhaupt. Quelle: dpa
Übrigens die häufigste Nachfrage, wenn der Lehramtsspruch überstanden ist: "Und was macht man dann damit?" Alternative Formulierungen, die den Studiengang noch stärker in Frage stellen sind etwa "Ist so ein Studium überhaupt notwendig?" oder gleich ohne Fragestellung: "Dein Studium hat ja gar nichts mit der Realität zu tun." Wer mit Studenten nett im Gespräch bleiben will, Finger weg von solchen Aussagen! Quelle: dpa
Überfüllter Hörsaal Quelle: dapd
Passend zur Kritik an der mangelnden Arbeitsmoral verabscheuen Studenten einen weiteren allseits beliebten Spruch: "Es muss ja auch Arbeiter geben!" Wie ein Vorwurf fühlen sich Studenten dann häufig in der Situation als müssten sie rechtfertigen, warum sie den akademischen Weg gewählt haben. Erweitert wird er häufig durch Fragen wie "Wenn heute alle studieren, wer repariert dann die Rohre und wer holt den Müll ab?!" Übrigens ein weiterer Spruch, den Familienmitglieder gerne nutzen: "Dein kleiner Bruder hat ja schon eine feste Stelle! Hättest du mal eine Ausbildung gemacht!" Quelle: dpa
"Das Sekretariat ist mittwochs zwischen 10 und 12 geöffnet." Ähnliche Sätze kennen Studenten vom Prüfungsamt, Beratungsbüros oder Sprechstunden bei Dozenten und Professoren. Bei Beschwerde folgt darauf gerne der Hinweis: "Studenten haben doch alle Zeit der Welt" oder "Studenten können sich ihre Zeit frei einteilen." Die Anwesenheitspflicht bei gleichzeitig stattfindenden Seminaren wird dabei häufig vergessen. Quelle: dpa

Die einzige Rettung vor der Plagiatsparanoia ist daher wohl eine gute wissenschaftliche Ausbildung. Dazu gehört vor allem der kritische Umgang mit Sekundärliteratur und schriftlichen Quellen. Und dazu gehört das Schreiben eigener Texte, an denen die Technik wissenschaftlichen Arbeitens unter Anleitung erprobt wird. Es reicht jedenfalls nicht, den Studenten ein Buch über Zitiertechniken zu empfehlen, um zu verstehen was wissenschaftliches Arbeiten heißt.

Wissenschaftsberaterin Natascha Miljković hält die bisherigen Maßnahmen der Hochschulen – etwa durch Einführung von Plagiatssoftware und Erneuerung ihrer „Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis“ – nicht für ausreichend. „Als präventive Plagiatsprüferin stelle ich fest – diese Umsetzungen alleine nützen so nicht viel“, so Miljković. „Wissenschaftliches Schreiben muss man einüben!“ Verhindern könne man jedoch ein „Zuviel an fehlenden Zitaten“, indem man Studierende schon während des Studiums schreiben lasse und ihnen entsprechende Rückmeldung gebe. „Studierenden muss aufgezeigt werden, warum man zitieren muss“, so Miljković. „Das wird häufig nicht verstanden, da man fast ausschließlich lehrt, wie man zitieren soll.“

Andrea Bausch versucht ihren Kunden in der Schreibberatung „zu erklären, dass so gut wie jedes Thema, das die Studierenden bearbeiten, eine lange wissenschaftliche Vorgeschichte hat, weswegen sie in ihren Hausarbeiten auch nicht bei null beginnen müssen“, so Bausch. Diese Vorgeschichte vergleicht sie mit einem Flickenteppich: „Da gibt es ältere und neuere Flicken, größere und kleinere – will heißen: Es gibt ältere und neuere Forschung zu dem Thema, es gibt einerseits bedeutsame, gesicherte, tragfähige Erkenntnisse und andererseits noch ungesichertes Wissen, Hypothesen oder Diskussionsbeiträge.“ Sie mache den Studierenden dann klar, dass sie in ihren Arbeiten die Flicken nutzen müssen – wie ausführlich, das hänge von der Art der Arbeit ab. Und ganz wichtig: „Ich versuche zu vermitteln, dass die Studierenden mit ihren Arbeiten diesem Flickenteppich spätestens ab der Bachelorarbeit, garantiert aber ab der Masterarbeit,  auch selbst einen kleinen Teil hinzufügen.“ Außerdem lasse sie Studierende in anderen Texten selbst nach absichtlich eingebauten Plagiaten suchen. „Und: Die Studierenden finden in der Regel die Plagiate!“, so Bausch.

Schreibberaterin Christine Braun empfiehlt Studenten, Ausschnitte aus fremden Texten zu lesen und herauszufinden, was daran eine Eigenleistung des Autors ist, und wie er zitiert. In der Beratung selbst arbeitet sie dann – wie auch ihre Kolleginnen – konkret an den mitgebrachten Texten. Monika Beck nimmt den Studenten, die sich vor dem „versehentlichen Plagiat“ fürchten, die Angst: „Wenn Prüfer eine Abschlussarbeit lesen, geht es darum, dass der Student das Prinzip verstanden hat.“ Wer die Grundlagen beherrscht und selbst formuliert, aber auch sicher mit den Zitiertechniken umgeht, der müsse sich keine Sorgen machen, so die Schreibberaterin. Wer in seiner Arbeit einen eigenen Gedanken aufschreibt, den zufälligerweise bereits ein anderer in einem Buch veröffentlichte, muss den Plagiatsvorwurf nicht fürchten. Wenn die entsprechende Passage selbst formuliert wurde, wird der Gedanke nicht als absichtliches Plagiat gewertet werden. „Der Dozent erkennt schon, ob der Text selbst formuliert ist."

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