Eine Vielfalt wie gemacht für David Tang. Vor fünf Jahren begann der 24-Jährige sein Bachelor-Studium der Physikalischen Technik in München – und seine Modelkarriere. Sechs Semester Ingenieur-Studium in München, immer wieder unterbrochen von zwei bis drei Monaten modeln in Brasilien, Singapur, China, zum Schluss ein Auslandssemester im australischen Queensland. Und ständig die Frage, wohin ihn das alles mal führt. Zehn Monate lang bereiste er nach dem Studium die Welt als Fotomodell, nebenbei lernte er Portugiesisch. "Ich war in einer Phase, in der ich nicht mehr genau wusste, was ich machen will", sagt er.
Wer geht wohin?
Am liebsten gehen die Studenten nach Spanien. „Da spielt sicher auch der Sunshine-Faktor eine Rolle“, sagt Wuttig. Die Austauschplätze in Madrid & Co. sind allerdings begrenzt: Jedes Land soll ungefähr so viele Studenten in ein anderes Land entsenden, wie es von dort empfängt.
Sozial- und Geisteswissenschaftler packt das akademische Fernweh häufiger als Naturwissenschaftler. Der Prototyp des deutschen Erasmus-Teilnehmers studiert Wirtschaftswissenschaften.
Obwohl nicht im sonnigen Süden gelegen, ist Deutschland in Europa Empfängerland Nummer drei.
In der Umstellungsphase auf Bachelor- und Masterstudiengänge sind die Teilnehmerzahlen zeitweise leicht eingebrochen, haben sich aber wieder erholt. Tendenz: Steigend. Allerdings habe sich die Dauer der Aufenthalte verkürzt. „Seit der Einführung von Bachelor und Master schauen die Studenten mehr darauf, ob ein Auslandsaufenthalt ins Studium integrierbar ist“, sagt Christiane Biehl von der Uni Köln. Der Freiraum, im Ausland auch einmal in andere Disziplinen hineinzuschnuppern, sei geschwunden.
Nun weiß er es besser: Er will ins Management – und hat den Start seines Master-Studiums kurzerhand noch ein weiteres Jahr verschoben. Statt für Klausuren zu lernen, sitzt er jetzt in Shanghai und entwickelt das Geschäftsmodell des chinesischen Online-Versandhandels Muyingzhijia.com weiter, Seite an Seite mit den Hauptinvestoren Philipp Georgi und Ekkehard Rathgeber, früheren Managern von Axel Springer und Bertelsmann. "Ich erlebe gerade eine gigantische Lernkurve", sagt Tang.
Es geht aber auch ohne Netzwerk
Die setzt er fort: Mitte November zieht Tang weiter zu Porsche Consulting nach São Paulo, ab April 2013 folgt ein drittes Praktikum im Management der Post-Tochter DHL. "Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, was einen nach dem Studium erwartet", sagt er. Wenn er im kommenden Oktober an der TU München seinen Master in Wirtschaftsingenieurwesen beginnt, wird er es besser wissen als viele Kommilitonen. Und eins ist sicher: Es wird kein Leben in Deutschland sein.
Inès Olbrisch schaffte es auch ohne Karrierenetzwerk. Die 23-jährige Ingenieurin hat vor wenigen Wochen ihre Bachelor-Arbeit eingereicht. Bis dahin studierte sie dual, wechselte stets zwischen Hörsaal an der Krefelder Hochschule Niederrhein und der Fabrikhalle in der Kunststofftechnik bei Bayer in Dormagen. Alles lief nach Plan, jetzt könnte sie einsteigen. Ein Angebot für eine Vollzeitstelle lehnte sie aber ab.
Vielfältige Bereiche kennenlernen
"Im dualen Studium hatte ich so wenig Zeit für anderes als Arbeit und Hochschule. Ich brauche jetzt einfach eine Pause", sagt sie. Bis November gönnt sie sich Ruhe, dann zieht sie nach München und macht ein längeres Praktikum bei einem ortsansässigen Kunststoffspezialisten. Bevor sie im kommenden Sommersemester mit dem Master-Studium, Schwerpunkt Kunststofftechnik, an der Universität Paderborn beginnt, will sie neue Abläufe und neue Leute kennenlernen. "Denn gerade im Maschinenbau sind die Bereiche so vielfältig, da würde ich ohne weitere Praktika vieles gar nicht sehen."
Teilzeit-Kadett Rantzau kann das nur bestätigen. Seit September studiert er wieder, in Peking und London, Master Internationale Beziehungen. Was die in der Praxis bedeuten, weiß er durch sein Gap Year ganz genau. "Das Gesicht des Welthandels", sagt er, "habe ich in den letzten Monaten schon gesehen."