WirtschaftsWoche: Herr Nitsche, waren Sie Klassenbester in Mathematik?
Maxim Nitsche: Mathematik war eigentlich gar nicht mein Lieblingsfach. Chemie mochte ich viel mehr. In Mathe ging's mal besser und mal schlechter, aber zu einem Sehr Gut hat es immer gereicht.
Wie kamen Sie denn dann auf die Idee, mit Ihrem Bruder eine Mathe-App zu programmieren?
Ich gab damals Nachhilfe in Mathe und von den Schülern kamen einfach immer dieselben Fragen. Fast alle hatten dieselben Probleme beim Bruchrechnen. Weil unser Vater Schachcomputer programmierte, lag die Idee nahe, die Antworten einfach zu automatisieren. Und so entstand eine automatisierte Mathe-Nachhilfe. Die ist immer und überall verfügbar, geduldiger als viele Lehrer und kostet nur einen Bruchteil von herkömmlicher Nachhilfe.
Diese Mathematik-Aufgaben sollen Viertklässler lösen
Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Berliner Humboldt-Universität hat die Kompetenzen von 29.259 Viertklässlern aus allen Bundesländern getestet. Die Ergebnisse waren in den meisten Ländern deutlich schlechter als in vergangenen Jahren. Hauptaugenmerk beim „Bildungstrend 2016“ lag dabei auf Deutsch und Mathematik. Die Aufgaben waren teilweise durch Ankreuzen der richtigen Antwort (Multiple-Choice-Format) oder mit kurzen Antwortsätzen zu lösen.
Die tatsächlichen Testaufgaben veröffentlicht das IQB nicht, stellt aber eine Auswahl von Aufgaben online, die beispielhaft sind:
Das IQB testete die Schüler nicht etwa in den Grundrechenarten, sondern in Bezug auf die fünf in den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz beschriebenen „Kompetenzbereiche“:
Beispielaufgabe "Muster und Strukturen": Gegeben ist eine Aneinanderreihung von Dreiecken, die mit jedem neuen Tag gleichmäßig anwächst. Die Schüler sehen die Dreiecke am ersten, zweiten und dritten Tag und sollen angeben, wie viele Dreiecke es nach vier, zehn und 100 Tagen wären.
Beispielaufgabe "Zahlen und Operationen": Es stehen „Ziffernkärtchen“ von eins bis neun zur Verfügung. Wie lautet die kleinste (größte) Zahl, die man damit legen kann, wenn jedes Kärtchen nur einmal zu benutzen ist?
Beispielaufgabe "Raum und Form": Die Schüler sollen eine gegebene Strichfigur in einem linken Feld gespiegelt auf das noch unvollständige rechte Feld zeichnen.
Beispielaufgabe "Größen und Messen": Die Kinder sollen Zeitangaben zwischen Sekunden, Minuten und Stunden umrechnen, zum Beispiel angeben, wie viele Sekunden 2,5 Minuten haben.
Beispielaufgabe "Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit": Hier sollen die Kinder die richtigen Informationen aus zwei Tabellen ablesen, die das Gewicht und die durchschnittlicher Zahl der Eier verschiedener Vogel-Arten zeigen.
Sie haben Ihre App nun an den US-Lernanbieter Chegg verkauft und dafür 12,5 Millionen Euro kassiert. Ein gigantischer Erfolg. Was waren die größten Hürden dorthin?
Der Erfolg kam nicht über Nacht. Wir arbeiteten fast acht Jahre an der App. Und natürlich gab es zahlreiche Rückschläge. Gleich am Anfang merkten wir, dass man am iPhone mit freier Technologie überhaupt keine Formeln zeichnen kann. Da hätten wir um ein Haar aufgehört mit der App. Aber dann haben wir den Formelsatz einfach komplett selber entwickelt, und so ging es eben weiter. Konstante Enttäuschungen erlebten wir dann bei den Gesprächen mit den Investoren. Viele belächelten uns oder lehnten uns ab. Damit muss man schon umgehen können.
Hatten Sie eine persönliche Strategie, mit den Rückschlägen umzugehen?
Man muss sich selber immer bewusst sein, warum das sinnvoll ist, was man da macht. Und das sollte man auch argumentieren können. Wir hatten natürlich den speziellen Vorteil, dass wir die App als Familie entwickelten. Je mehr wir diskutierten und stritten, desto deutlicher sahen wir auch die Schwächen des Produkts, aber eben auch dessen Stärken.
Verbuchen Sie Ihren damaligen Auftritt in der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“ als Erfolg oder Rückschlag?
Das hat uns wahnsinnig geholfen. Im ersten Moment war es natürlich eine Enttäuschung, dass wir die Investition nicht bekommen haben. Aber es war eben doch ein Sprungbrett in neue Sphären. In der Woche der Ausstrahlung hatte unsere App auf einmal 250.000 Downloads. Zudem sind wir dann mit den richtigen Leuten ins Gespräch gekommen.
Wie schwer fällt Ihnen denn nun die Trennung von Ihrer App nach dem Verkauf an Chegg?
Wir sind ja nicht ganz getrennt. Mein Vater, mein Bruder und ich leiten die Abteilung Chegg Maths in Berlin. Aber natürlich war die Entscheidung schwierig. Chegg hat uns aber überzeugt durch die strukturierte Herangehensweise und wegen der perfekten Organisation. Sie haben die App etwa monatelang von hunderten Schülern testen lassen.
"Nichtstun macht mich wahnsinnig."
Was machen Sie denn jetzt mit dem vielen Geld? Werden Sie sich zur Ruhe setzen?
Nichtstun macht mich wahnsinnig. Ich kann auch keine Woche am Strand verbringen, da würde ich ausrasten. Natürlich haben wir jetzt finanzielle Freiheit und ich freue mich jetzt auf die eine oder andere kleine Reise. Aber im Freundeskreise hat sich nicht viel geändert. Wir freuen uns über dieselben Sachen wie vorher und ich werde wegen derselben Sachen angemotzt wie vorher.
Gibt es nicht viele Leute, die jetzt Ihren Kontakt suchen? Ihr Facebook-Account quillt ja geradezu über vor Einträgen. Was wollen die Leute denn alle von Ihnen?
Viele wollen sich mit uns treffen oder Geld für ihre Projekte. Das reicht von Ideen für neue Lieferservices bis zu Fitnesstrackern. Da ist einfach alles dabei. Manche schreiben auch, dass ihre Projekte so geheim sind, dass sie sie erst bei einem Treffen verraten. Es gibt aber auch ganz viele positive Nachrichten, etwa, wenn sich durch die vielen Berichte über uns alte Freunde melden.
Wollen Sie in Projekte und Start-Ups investieren?
Nein, vorerst werden wir nicht in solche Projekte investieren. Ich selbst habe auch einfach zu wenig Erfahrung damit.
Und was haben Sie vor mit dem ganzen Geld? Haben sich schon Banken bei Ihnen gemeldet?
Wir feilen gerade an einer Anlagestrategie. Aber natürlich denken wir darüber nach, was in den kommenden Jahren groß wird und welche Firmen für diese Trends stehen. Dafür sehen wir uns auch an, welche Unternehmen in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie auch ein gutes Management und eine Innovationskultur haben. Dementsprechend werden wir investieren.
Hilft Ihnen denn eine Bank bei der Anlageentscheidung?
Meine Familie kennt sich ganz gut in diesem Bereich aus und das machen wir zu hundert Prozent innerhalb der Familie, also mein Bruder, mein Vater, meine Stiefmutter und ich. Mein Vater hat etwa sehr früh in Apple investiert und das hat uns natürlich auch bei unserem Start-Up geholfen. Wir schauen uns die Unternehmen an der Börse einfach nach dem Kriterium an, welche Gebiete in Zukunft groß werden könnten. Sei das autonomes Fahren oder andere Bereiche, in denen gigantisches Wachstum zu erwarten ist. Und natürlich werden wir das Risiko streuen.
Zehn Fakten aus dem Deutschen Start-up-Monitor 2017
Gründungen in der digitalen Wirtschaft sind weiterhin attraktiv und acht von zehn deutschen Start-ups spüren einen signifikanten Einfluss der Digitalisierung auf ihr Geschäftsmodell.
Quelle: DSM
Mehr als die Hälfte der befragten Start-ups, denen Cluster bekannt sind, sind Teil eines regionalen Clusters und haben drei klare Erwartungen an Cluster: Wissenstransfer, Kooperationen und Sichtbarkeit.
Der Anteil von Gründerinnen in deutschen Start-ups steigt das dritte Jahr in Folge leicht auf nunmehr 14,6 Prozent.
Die Technische Universität München ist die Top-Gründerhochschule unter den Gründern des DSM 2017, wenngleich sich die Gründer auf viele verschiedene Hochschulen verteilen.
82,7 Prozent der Start-ups planen eine (weitere) Internationalisierungen. Die wichtigsten Internationalisierungsziele sind dabei Europa, Nordamerika und Asien.
Neun von zehn Gründern beurteilen ihre Geschäftslage weiterhin optimistisch, werden beim Ausblick jedoch etwas zurückhaltender.
Fast ein Drittel aller Start-up-Mitarbeiter kommt aus dem (EU-)Ausland. Außerdem stimmen 63,9 Prozent der Gründer (voll und ganz) zu, dass die deutsche Start-up-Landschaft durch die Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland profitiert.
Im Bundestags-Wahljahr ist die FDP unter den DSM-Gründern mit 39,4 Prozent der Stimmen stärkste Partei. Die Top Drei der Erwartungen an die Politik sind für die Start-ups dabei weiterhin klar: weniger Bürokratie, weniger Steuern sowie mehr Unterstützung bei der Kapitalbeschaffung.
Die Start-ups im DSM 2017 schaffen durchschnittlich 13,2 Arbeitsplätze (inklusive Gründer) und planen wieder mehr Neueinstellungen. Durchschnittlich 7,5 Mitarbeiter sollen je Start-up im nächsten Jahr neu eingestellt werden.
Die DSM-Start-ups sammelten bis dato knapp 2,1 Milliarden Euro an externem Kapital ein. Ihr weiterer Kapitalbedarf in den kommenden zwölf Monaten beläuft sich auf knapp eine Milliarde Euro.
Was würden Sie anderen Gründern raten, die es Ihnen nachmachen und Millionär werden wollen?
Entscheidend ist die Idee. Und die ist nur dann verfolgenswert, wenn man damit ein Problem von vielen Menschen löst. Je mehr Leute etwas stört, desto wertvoller wird die Lösung. Und man muss von dieser Idee auch selbst begeistert sein. Sonst fehlt einfach die Motivation, das so viele Jahre durchzuhalten. Dann sollte man sehr hartnäckig sein und lernen, mit vielen, vielen Absagen klarzukommen. Gleichzeitig muss man aber offen bleiben für gerechtfertigte Kritik und sich auch immer selbst hinterfragen.
Welches Start-up gründen Sie als nächstes?
(lacht) Ich hab ein paar Ideen, zum Beispiel im Bereich Smart Home und intelligente Architektur. Genaueres will ich aber noch nicht sagen. In den nächsten Jahren möchte ich erst einmal zusammen mit Chegg die Technologie unsere Mathe-App noch um einiges größer machen. Und viel weiter in die Zukunft zu blicken, hat wohl wenig Sinn.