Selbstständigkeit in Deutschland "Wenn man alles gut macht, kommt die Kohle von allein"
Deutschland sei gründerfeindlich, sagt ein Verband. Vielleicht fehlt den Deutschen aber auch nur ein bisschen Mut. Denn ganz ohne geht es nicht, wie die Gründer von Titus, Fritz Kola, Outfittery oder Jimdo beweisen.
Gründen erfordert Mut
Unternehmensgründer werden rar in Deutschland, beklagt der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD). „Noch 2003 wurde jedem Arbeitslosen geraten, doch einen Senfladen aufzumachen. Heute haben wir aber das Gegenteil: Selbstständigkeit wird systematisch schlecht geredet, mit Scheinselbstständigkeit gleichgesetzt und unter staatliches Kuratel gestellt“, kritisiert Verbandschef Andreas Lutz. Als Beispiel verweist er auf die derzeit diskutierte und von vielen Freiberuflern abgelehnte Rentenversicherungspflicht für Solo-Selbstständige. Schon die zweifelhaft berechneten Krankenkassenbeiträge könnten Teilzeit-Selbstständige oft nur schwer aufbringen.
Angesichts der weitgehend gestrichenen staatlichen Gründungsförderung wagten oftmals nur jene den Sprung in die Selbstständigkeit, die eine wohlhabende Familie hinter sich wissen, die sie dabei finanziell unterstütze. Auf der anderen Seite braucht der Schritt in die Selbstständigkeit aber vor allem eines: Mut. Zwölf deutsche Gründer erzählen in "Lionhearted" (Bourdon Verlag, 16. August 2017) von ihrem – manchmal steinigen – Weg in die Selbstständigkeit und was sie daraus gelernt haben.
Bild: Pressebild, Montage
Anna Alex, Outfittery: "Wir haben nicht angefangen zu überlegen, was alles schiefgehen könnte. Wir haben eher überlegt, was alles gut gehen könnte."
Anna Alex ist Mitbegründerin von Outfittery, einer Online-Variante des Personal Shoppings. Der Kunde beantwortet auf der Homepage einige Fragen zu Kleidungsstil und Größe und erhält dann zwei bis drei für ihn zusammengestellte Outfits auf dem Postweg. Was ihm gefällt, behält er, den Rest schickt er zurück. Alex interessierte sich schon während des Studiums für die Start-up-Welt und arbeitete bei Rocket Internet und in einem Schweizer Start-up, bevor sie ihr eigenes Unternehmen gründete. Für die damals 26-Jährige keine mutige, sondern eine unabwendbare Entscheidung. „Weil ich mir einfach in den Kopf gesetzt hatte, es mir zu beweisen.“ Das sei vielleicht naiv gewesen, aber auch entscheidend fürs Durchhalten: „So und so und so läuft das und das sind die Gründe, warum eure Idee nicht funktionieren wird“, mussten sich die Gründerinnen oft sagen lassen. Ihr Weg: Weder grübeln, noch zweifeln, sondern Schritt für Schritt ein Problem nach dem anderen lösen und positiv denken.
Bild: Bastien Carrillo
Albrecht Krockow, Post Collective: "Ich glaube, es ist bei jeder Firmengründung so, dass man sich das am Anfang ein bisschen romantisch vorstellt"
Albrecht Krockow ist Mitbegründer von Post Collective, einer Online-Galerie für „Social Influencer“, also Fotografen, die bei der Fotosharing-Plattform Instagram viele Follower haben. Ihre Werke können bei Post Collective in verschiedenen Materialien und Rahmungen erworben werden.
Kein ungewöhnlicher Weg für jemanden, der sich schon im Studium auf das „Digital Business“ spezialisiert und anschließend eigens bei der Holding Rocket Internet einsteigt, um das Gründen als Handwerk zu lernen. Was nicht bedeutet, dass immer alles glatt läuft: Die Erwartung „wir haben dann dieses Produkt und das ist so super, das reißen uns die Leute aus den Händen“ hielt in der Umsetzung nicht stand. Stattdessen treten komplexere Probleme auf, „die man am Anfang gar nicht antizipieren konnte“, so Krockow. Sein Weg: Nicht zu sehr auf die allererste Vorstellung fokussieren, flexibel bleiben und sich vernetzen: „Es hilft einem wahnsinnig, wenn man sich mit anderen Gründern austauschen kann.“
Bild: Bastien Carrillo
Detlef Isermann, P&M Cosmetics: "Man kann kein Unternehmen gründen oder führen, wenn man nicht lernbereit ist und konstant daran arbeitet."
Detlef Isermann ist einer der Gründer von P&M Cosmetics mit der Marke Dermasence. In Zusammenarbeit mit Hautärzten wurde diese für Menschen mit Problemhaut oder Hauterkrankungen entwickelt und deckt inzwischen ein breites Spektrum an Pflege-Produkten für jeden Hauttyp ab. Dabei hatte Isermann eigentlich die „Zucht und Haltung von Pferden“ im Sinn, als er sich bei den Agrarwissenschaften einschrieb. Doch der Markt für Pferdezüchter erwies sich als zu eng und Isermann wollte sich nicht hinten anstellen.
Über den Kontakt zu Dermatologen, die einen Bedarf in der täglichen Praxis sahen, entstand die Geschäftsidee, für die der 29-Jährige belächelt wurde – auch noch Jahre nach der Gründung: „Die wenigsten haben allerdings verstanden, was wir genau vorhaben, und haben sich auch über unseren Erfolg immer gewundert.“ Den Gründer wiederum wundert, „warum nicht mehr Leute gründen, um Unternehmer statt Unterlasser zu sein.“
Bild: Bastien Carrillo
Fridtjof Detzner, Jimdo: "Wenn mehr Leute das tun, was sie lieben, macht es die Welt ein bisschen besser."
Fridtjof Detzner ist einer von drei Jimdo-Gründern – so der Name eines kostenlosen, einfachen Webseiten-Baukastens. Ohne Vorkenntnisse lässt sich damit eine eigene Online-Präsenz mit vielen Zusatzfunktionen wie Blog, Bildergalerien oder einem Online-Shop erstellen – über 20 Millionen Webseitenbetreiber haben das bereits weltweit getan. Detzner gründete das Unternehmen bereits als Schüler. Zunächst ging es darum, Computer zu verkaufen, als die drei 16-Jährigen es noch toll fanden, Computer zusammenzubauen. „Das ist Gott sei Dank schnell vorbeigegangen“, sagt Detzner.
Anfragen, Webseiten zu bauen, sind hinzugekommen. Aber auch dabei entstehen Routinetätigkeiten: „Und da ist bei uns die Idee entstanden, wie cool wäre das eigentlich, nicht die Serviceleistung anzubieten, sondern ein Produkt zu haben, welches das Problem löst.“ Ein Experiment, das die drei Jungs am Anfang nicht so ernst genommen – einerseits. Andererseits waren sie stur genug, die Sache durchzuziehen: „Wie lange glaubst du an eine Idee? Letztendlich geht es darum, als Unternehmer etwas sehen und zeichnen zu können, was es noch gar nicht gibt.“
Bild: Bastien Carrillo
Kai Böringschulte, Compeon: "Wenn ich es jetzt nicht tue und in ein paar Jahren lese, jemand anderes hat es getan, dann würde ich es bereuen."
Kai Böringschulte ist einer von drei Compeon-Gründern, einem Finanzportal für den Mittelstand. Unternehmer oder Freiberufler können dort ihren Finanzierungsbedarf ausschreiben, die angeschlossenen Banken ein Angebot abgeben und bei der Auswahl des besten Angebotes wird der Kunde neutral beraten.
Vor der Gründung arbeitete Böringschulte bei einer Bank und einer Unternehmensberatung – die solide Basis für den Schritt in die Selbstständigkeit, wie er sagt: „Ich war ich gut ausgebildet, hatte viel Erfahrung im Berufsleben gesammelt und auch Jobangebote als Backup.“ Der Wunsch, eine neue Idee selbst zu realisieren gab den Ausschlag, auch wenn sich der Gründer damals schon in einer Lebensphase befand, „in der die Risikoaffinität schon nachlässt: Da war ich 38 Jahre alt, hatte gerade ein Haus gebaut, und Kind Nummer zwei war auf dem Weg.“ Sein Weg: Das Risiko überschaubar halten, auch eigenes Geld investieren und das Modell immer wieder genau hinterfragen.
Bild: Bastien Carrillo
Franziska von Hardenberg, Bloomy Days: "Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass noch niemand diese Idee hatte."
Franziska von Hardenberg ist die Gründerin von Bloomy Days, einem Versandhandel für frische Schnittblumen. Die Bouquets sind im flexiblen Abo oder als Einzelbestellungen erhältlich. Für den Geschäftsbereich werden Blumen etwa für das Beschwerdemanagement oder als Kundengeschenke angeboten. Von Hardenberg gründete ihr Unternehmen mit 27 Jahren, hatte zuvor Marketing und Kommunikationswissenschaften studiert und in der Start-up-Schmiede Rocket Internet gearbeitet.
Dort hat sie auch schon immer Schnittblumen auf den Tischen der Mitarbeiter verteilt und sich überlegt, was man sonst noch alles besser machen könnte: „Ich habe mich in meiner Festanstellung über so viele Dinge aufgeregt, weil ich so viel Verbesserungspotenzial gesehen habe und ich so viele Entscheidungen von anderen nicht gut fand.“ Als die Firma umzog und der Blumenladen nicht mehr auf dem Weg lag, entstand die Idee. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Der Wille etwas zu tun, mich weiterzuentwickeln und etwas zu erschaffen, der ist intrinsisch.“
Bild: Bastien Carrillo
Maurice Schadowske, Paulibird: "Man darf es nicht machen, nur weil man selbständig sein möchte. Man muss wirklich viel Spaß daran haben."
Maurice Schadowske ist der Gründer von Paulibird. Das Kreativlabel steht für Handgefertigtes wie Schmuck, Lampenschirme oder Pokale aus Cellulose-Acetat und gebrauchten Skateboards. Durch die unterschiedlichen Farben der einzelnen Holzschichten der Skateboards entsteht ein charakteristisches Muster. Den thermoplastischen Kunststoff Cellulose-Acetat lernte Schadowske bereits in seiner Ausbildung zum Optiker kennen.
„Wenn ich früher fertig und die Zeit noch da war, fing ich an Ringe zu machen und ganz viel anderes kurioses Zeugs. Wie zum Beispiel einen kleinen Tennisschläger.“ Eine Art Hobby, aus dem der Wunsch entstand, sich damit selbstständig zu machen. „In der Werkstatt sitzen und das machen, was man möchte. Einfach basteln.“ Anfangs lebte der Künstler davon von der Hand in den Mund, durch einen TV-Spot wurde er über Nacht berühmt: „Das, was ich jetzt anbiete, ist auch nur der Anfang. Mein Buch ist voll mit Ideen.“
Bild: Florian Greschkowiak
Mirco Wiegert: "Man kann nur große Ziele erreichen, wenn man große Ziele hat."
Mirco Wiegert ist Mitbegründer von Fritz Kola, einem Hersteller von Kola und Limonaden. Seit 2015 lässt das Unternehmen die alte Limo-Marke Anjola aufleben und nimmt damit Bio- und Fairtrade-Limonaden mit ins Sortiment. Dass Wiegert einmal Unternehmer werden wollte, war spätestens in der Ausbildung zum Speditionskaufmann klar, wo der Azubi regelmäßig mit seinen Verbesserungsvorschlägen scheiterte. „Das hat mich bestätigt, dass ich mich selbständig machen muss“, sagt Wiegert, der sich selbst eine Machermentalität ausstellt.
Das Studium „Außenwirtschaft und Internationales Management“ an der HAW Hamburg sollte dafür das nötige Handwerkszeug liefern. „Für mich ist das wie Sport. Dieses: Was kostet etwas, was kann man damit machen, kann man das verwerten, kann man das verkaufen und wie funktioniert etwas überhaupt?“ Sich nicht ausbeuten lassen und unabhängig arbeiten, war das Ziel. Womit? Damals gab es in der Gastronomie nur eine Kola. „Eine bessere Kola zu machen, wurde unser Traum.“
Bild: Bastien Carrillo
Titus Dittmann, Titus: "Man muss sich inhaltliche Ziele setzen. Und wenn man das alles gut macht, kommt die Kohle von alleine hinterher."
Der Gymnasiallehrer Titus Dittmann brauchte eigentlich nur neue Skateboards für die Schüler seiner Skate-AG – in den 1970ern ein schwieriges Unterfangen. Anfänglich besorgte er einzelne Boards aus den USA. Als die Nachfrage größer wurde, professionalisierte er den Handel und wurde zum führenden Einzelhändel für Skateboards und Zubehör in Europa. Dass er dafür den sicheren Beamtenstatus aufgab, als gerade der Sohn geboren war, stieß das überall auf Unverständnis.
Aber Dittmann war sich seiner Sache sicher: „Ich habe schon ganz früh gemerkt: Alle finden zwar, dass ich nichts auf die Reihe kriege, aber mir ging das, was ich erreichen wollte, immer ganz locker von der Hand. Solange ich den anderen nicht erzählt habe, was ich erreichen wollte.“
Sein Ziel war es, eine Skater-Szene in Deutschland aufzubauen und nicht, Unternehmer zu werden. „So eine Type wollte ich doch nie werden!“ Mit brennendem Herzen ist aus dem „Vater der deutschen Skateboard-Szene“ dann aber doch ein erfolgreicher Unternehmer geworden.
Bild: Rieke Penninger
Wolfgang Hölker, Die Spiegelburg: "Du musst aufzeigen, wenn es den Kuchen zu verteilen gibt."
Wolfgang Hölker übernahm 1977 den traditionsreichen Coppenrath Verlag und schlug mit der Edition „Die Spiegelburg“, einer Kombination aus Buch und passenden Non-Book-Artikeln neue Wege ein. Prinzessin Lillifee und der Hase Felix sind zumindest für Kinder berühmte Beispiele, aber auch Erwachsene finden Geschenkideen in der „Spiegelburg Collection.“ Damals war aber Hölker schon längst Gründer: Mit 18 Jahren eröffnete er bereits gemeinsam mit einem Freund eine Galerie in einem leerstehenden Schusterladen, ganz ohne Business-Plan und langfristige Ziele – die Galerie gibt es inzwischen seit 50 Jahren.
Sie steht für das, was Hölker immer machen wollte: „Die Geschäftsidee bei Gründung war Unabhängigkeit.“ Aus einem ersten regionalen Kochbuch aus dem Münsterland entstand eine Serie und der Kontakt zum Coppenrath Verlag: „Ich bin in viele Dinge hineingestolpert und habe an gewissen Lebenskreuzungen andere ungewöhnliche und inspirierende Menschen kennengelernt“, sagt Hölker. Sein Weg: Antennen entwickeln, aufpassen und sich gut vernetzen.
Bild: Hermann Willers
Lea-Sophie Cramer, Amorelie: "Es heißt nicht, nur weil Rocket alles anders macht, dass es auch der beste Weg für deine Company sein muss."
Lea-Sophie Cramer ist Mitbegründerin des Online-Sexshops Amorelie. Ziel war es, die Branche von ihrem angestaubten Schmuddel-Image zu befreien und mehr Menschen erfüllte Beziehungen ohne Routine zu ermöglichen. Schon in ihrem BWL-Studium riet ihr ein Mentor, Unternehmerin zu werden: „Er meinte, dass ich Dinge überdenke, die andere als gegeben hinnehmen.“
Zunächst arbeitete Cramer aber bei einer Unternehmensberatung, dann bei der Start-up Schmiede Rocket Internet, wo sie schnell Karriere machte und einen asiatischen Bereich mit insgesamt 1200 Leuten leitete. Ihre Kündigung und Gründung eines Online-Shop für Sexspielzeug waren daher ein Schock für die Eltern, der Freundeskreis reagierte mit Unverständnis – für Cramer beides ein Ansporn: „Mir war es wichtig, nicht in der Masse von BWLern unterzugehen.“ Als Cramer feststellte, dass die erotische Romantrilogie „Shades of Grey“ öffentlich im Zug gelesen wurde, gab das den Anstoß: „Ich glaube, dass man seinem inneren Antrieb und seinem inneren Ziel folgen muss.“
Bild: Bastien Carrillo
Bruno Lammers, Saertex: "Und nicht nur sagen: „Die Mitarbeiter sind das Kapital der Firma“, sondern es auch wirklich meinen und leben."
Bruno Lammers ist Mitbegründer von Saertex, einem Produzenten für Höchstleistungstextilien und Leichtbaulösungen an neun Standorten auf fünf Kontinenten. Die Faserverbundstoffe, die bei einem Bruchteil des Gewichtes härter als Stahl sind, werden etwa in Windkraftanlagen, Flugzeugen, Raketen, aber auch in Rohren verwendet.
Dabei hatte der angehende Textilingenieur im Grunde schon bei seiner Studienwahl aus Familientradition auf das falsche Pferd gesetzt, wie er sagt: „Zu dieser Zeit ging in Deutschland die Textilindustrie steil bergab.“ Als sein Arbeitgeber Insolvenz anmelden musste, fragte ihn ein älterer Kollege, ob man sich nicht zusammen selbständig machen wollte. Die Idee der beiden Ingenieure: das Fachwissen über konventionelle Textilien für technische Anwendungen zu nutzen. Mutige Pioniere? „Der Mut kam einmal aus der Not, weil man ja auf der Straße stand, genauso wie alle anderen auch. Und dem Wissen, dass man schon was kann. Die zwei Faktoren hat man zusammengepackt.“
Bild: Rasmus Schübel
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