Ausbildung „Auch Auszubildende wollen Benefits wie ein ÖPNV-Ticket“

Bundesweit konnten die Unternehmen 2023 bundesweit mehr als 73.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen Quelle: dpa

Während die IHK feierlich Deutschlands beste Azubis ehrt, bleibt der Blick auf die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze eher düster. Sebastian Stietzel, der Präsident der IHK Berlin, sieht vor allem einen Grund dafür.

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WirtschaftsWoche: Herr Stietzel, nun wurden die besten Azubis von der Industrie- und Handelskammer (IHK) ausgezeichnet. Die meisten Jugendlichen entscheiden sich aber für ein Studium nach der Schule. Wie sah es in diesem Jahr aus?
Sebastian Stietzel: Auch dieses Jahr gibt es in Deutschland mehr als doppelt so viele Schulabgänger und -abgängerinnen, die sich für ein Studium und gegen eine Ausbildung entscheiden. Die letzten offiziellen Zahlen haben wir von 2021. In diesem Jahr kamen auf zehn Studierende 4,3 Auszubildende. Das wird sich in diesem Jahr nicht großartig verändert haben. Bundesweit konnten die Unternehmen 2023 mehr als 73.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen, das sind 13,5 Prozent aller gemeldeten Stellen und 6,6 Prozent mehr als im Vorjahr.

War das schon immer so?
Nein, und wie niedrig die Zahlen im Vergleich zum Studium gerade sind, ist vor allem erkennbar, wenn wir einige Jahrzehnte zurückblicken: In den 50er und 60er Jahren gab es sieben Mal so viele Azubis wie Studierende. Zusätzlich war seinerzeit die Zahl an Bewerbenden viel höher als die Zahl an Ausbildungsplätzen. Heute haben dagegen viele Unternehmen Schwierigkeiten, ihr Plätze zu besetzen – entweder weil gar keine oder wenige Bewerbungen kommen oder die Schülerinnen und Schüler nicht ausreichend qualifiziert sind.

Gibt es Branchen, die es besonders schwer oder besonders leicht haben, Stellen zu besetzen?
Das Problem der unbesetzten Stellen besteht über alle Branchen hinweg. Es gibt einige besonders beliebte Berufsbilder, vor allem im kaufmännischen Bereich, weil es sich da oft anbietet, ein Studium anzuschließen. Aber auch Kfz-Mechatroniker, Verkauf, Fach-Informatiker und medizinische Fachberufe sind gefragt.

Zur Person

Was sehen Sie als größtes Problem bei den unbesetzten Stellen?
Das größte Problem an dieser Stelle ist, dass viele der Jugendlichen keinen Überblick über das Angebot haben. Es gibt über 300 anerkannte Ausbildungsberufe, fragt man aber bei den Jugendlichen nach, kennen sie in der Regel nur zwischen 10 und 15 Berufe. Das heißt, sie wissen oft nicht, welche Möglichkeiten sie überhaupt haben. Auch deshalb gibt es viele Jugendliche, die keine Stelle finden, die auf ihre Bedürfnisse passt. Da sehen wir große Herausforderungen in der Berufsorientierung. Schülerinnen und Schüler müssen früh aufgeklärt werden, welche Optionen es für sie gibt und was ihren Talenten gerecht wird.

Was können Unternehmen tun, um auf sich aufmerksam zu machen?
Generell muss darauf geachtet werden, dass die Ausbildung attraktiv ausgestaltet wird – auch Auszubildende wollen Benefits wie ein ÖPNV-Ticket. Die Qualität der Berufsschule muss gut sein und es sollte Angebote für Nachhilfe oder zum Coaching geben. Unternehmen sollten frühzeitig den Kontakt zu den umliegenden Schulen suchen, um durch Praktika oder Ferienangebote Jugendliche für sich zu interessieren. Das bringt ja auch den Jugendlichen was, weil sie sich so schon früh mit ihrer Zukunft beschäftigen können und zum Beispiel auch ein Berufsbild nach einem Praktikum ausschließen können, wenn sie merken, es ist nichts für sie.

Wie sieht es mit der Bezahlung von Ausbildungsplätzen aus?
In der Regel scheitert es nicht an der Vergütung. Im Schnitt verdienen Azubis rund 1000 Euro pro Monat. Gerade im gewerblich-technischen Bereich liegen die Vergütungen aber in der Regel höher. Das Argument, dass die Bezahlung zu niedrig ist, wirkt deshalb oft aus der Zeit gefallen. Dafür ist die Sorge von Unternehmen viel zu groß, dass sie ihren eigenen Nachwuchsbedarf nicht gedeckt bekommen. Für viele Jugendliche ist wichtiger, dass sie sich in dem Unternehmen entfalten können, dass es flache Hierarchien gibt und sie sich mit den Werten des Unternehmens identifizieren.

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Auf diese Faktoren legt vor allem die Gen Z bei der Wahl ihres Arbeitgebers wert. Wie verhält sich diese Generation auf dem Ausbildungsmarkt?
Das kann zwar nicht so pauschalisiert werden, aber ein Trend ist auf jeden Fall zu erkennen: Work-Life-Balance ist definitiv Thema und wichtiger geworden, vor allem der Aspekt „Life“ scheint immer mehr in den Vordergrund zu rücken. Trotzdem funktionieren Konzepte wie etwa das duale Studium immer noch sehr gut, obwohl die eher den Ruf haben, sehr viel Zeit der Jugendlichen in Anspruch zu nehmen. Das heißt, auch die junge Generation ist durchaus leistungsbereit.

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