Eigentlich hatte er nur einen Vortrag vor gleichgesinnten Spezialisten halten wollen. „Was erwartet ein Konzern wie die Deutsche Telekom bei Ausschreibungen von Abschlussprüfern?“, fragte Telekom-Finanzvorstand Timotheus Höttges in die illustre Runde. Und die 320 Wirtschafts- und Finanzexperten, die die Schmalenbach-Gesellschaft zu ihrer traditionellen Jahrestagung nach Köln geladen hatte, staunten nicht schlecht über die Antworten, die Höttges auf seine rhetorische Frage parat hatte.
Wirtschaftsprüfer müssten ihm, dem Finanzvorstand, „rund um die Uhr, sieben Tage die Woche“ zur Verfügung stehen. Er fordere zudem aktive Beratung der Verwaltung in aktuellen Entscheidungssituationen, „um Haftungsfragen zu entgehen“. Außerdem sollten sowohl die Vertretung der Unternehmensinteressen bei internationalen Standardsetzern als auch die Telekom – gemeint war wohl der Vorstand – jederzeit den „Bearbeitungsstand des Prüfungsprozesses einsehen können“.
Dumm nur, dass die Usancen, die Telekom-Vorstand Höttges als vorbildlich deklarierte, glatt gegen geltendes Recht verstießen. Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der deutschen Wirtschaftsprüfer (IDW), klärte den Top-Manager daraufhin vor dem fachkundigen Publikum auf, dass Wirtschaftsprüfer von Berufs wegen zwar das Management kontrollierten – dass sie aber mitnichten dessen Hilfsorgan seien.
Ein Jahr liegt der Vorfall mittlerweile zurück. Doch das fulminante Eigentor des bekennenden Bayern-Fans, der außerdem im Aufsichtsrat des Münchner Fußballclubs sitzt, löst in Fachkreisen immer noch wahlweise Schmunzeln oder Kopfschütteln aus. Vor allem aus einem Grund: Höttges’ entlarvendes öffentliches Bekenntnis ist ein klares Indiz dafür, dass die Machtbalance zwischen Aufsichtsrat, Abschlussprüfer und Vorstand nicht austariert ist – und das nicht nur bei der Telekom.
Mehr Abstand
„Per Gesetz ist zwar der Aufsichtsrat der offizielle Auftraggeber des Wirtschaftsprüfers“, sagt Manuel Theisen, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Herausgeber der Zeitschrift „Der Aufsichtsrat“: „Die Prüfer aber konzentrieren sich lieber auf den Finanzvorstand, weil sie sich von ihm zusätzliche Beratungsaufträge erhoffen.“
„Der Abstand zwischen Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsrat ist häufig noch zu groß“, sagt auch Klaus-Peter Müller, Aufsichtsratschef der Commerzbank und Präsident der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. „Aufsichtsrat und Abschlussprüfer tragen Mitverantwortung für die Zukunft des Unternehmens. Beide sind völlig zu Recht in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten.“
Verbindliche Grundsätze
Als vor drei Jahren die Banken infolge der Finanzkrise reihenweise zusammenklappten, läuteten nicht einmal die Alarmglocken. Seitdem werden alle rund 100 000 Aufsichtsräte in den etwa 18 000 Aktiengesellschaften hierzulande mit neuen Gesetzen, Regelungen und Verbesserungsvorschlägen konfrontiert. Und zwar gleich von mehreren Seiten: vom deutschen Gesetzgeber, von der Regierungskommission Corporate Governance sowie der Europäischen Union.
„Die Anforderungen werden immer höher“, sagt dementsprechend auch Ex-Metro-Chef und Multi-Aufsichtsrat Hans-Joachim Körber. „Die Aufsichtsräte sollen unabhängiger, weiblicher, professioneller werden. Bei all diesen Initiativen und Vorschlägen wurde bislang aber mehr über als mit denjenigen gesprochen, die all das in der Praxis umsetzen sollen.“
Auch deshalb hat Körber gemeinsam mit rund 20 weiteren Aufsichtsratskollegen gehandelt und vor acht Wochen die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD) gegründet.
Der Berufsverband will erstmals verbindliche Grundsätze für die Arbeit von Aufsichtsräten formulieren. Außerdem will er erreichen, dass der Berufsstand in der Diskussion um die Verbesserung der Unternehmenskontrolle erstmals mit einer eigenen Stimme spricht.
„Der Posten eines Aufsichtsrats ist längst kein Ehrenamt mehr, sondern ein Beruf“, sagt auch Peter Dehnen, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Aufsichtsratsagentur Germanboardroom in Düsseldorf. Er unterstützt Aufsichtsräte bei ihrer Arbeit mit Back-Office-Dienstleistungen und hat die Gründung des Berufsverbands mit vorangetrieben. „Die gestiegenen Anforderungen an die Aufsichtsräte erfordern eine zunehmende Professionalisierung der Arbeit, des Einzelnen wie auch des gesamten Gremiums.“
Blind in die Falle
Und ein Überdenken der Rahmenbedingungen, die sich durch seinen besonderen Status als freiberuflich tätiger Unternehmer ergeben. Denn Aufsichtsräte werden von der Hauptversammlung gewählt. Einen Vertrag mit dem Unternehmen, das sie kontrollieren und für dessen Schicksal sie mit ihrem persönlichen Vermögen haften, hat aber keiner von ihnen.
Um nicht blindlings in die Haftungsfalle zu tappen, brauchen Unternehmenskontrolleure heute in sehr viel stärkerem Maße operatives Know-how in der Branche des Unternehmens, über das sie wachen sollen. „Außerdem ist ein starkes Selbstbewusstsein gefragt. Aufsichtsräte müssen Rückgrat besitzen. Ihr Job ist es, dem Vorstand die richtigen Fragen zu stellen“, sagt Dehnen. „Nur so kann Kontrolle wirksam funktionieren.“
Multi-Aufsichtsrat Körber, erster Präsident der VARD, will deshalb Mindeststandards erarbeiten, die sich auf unterschiedliche Unternehmenstypen übertragen lassen. „Schließlich macht es einen Riesenunterschied, ob man Aufsichtsrat in einem Dax-Konzern, in einem Familienunternehmen mit Fremdgeschäftsführer oder einem familiengeführten Unternehmen ist.“
Keine einfache Aufgabe
Für alle Aufsichtsräte gilt jedoch: Die Anforderungen, die allein die Beurteilung der Risiken neuer Geschäftsmodelle mit sich bringt, sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Denn die Geschäftsmodelle müssen immer häufiger und immer fixer umgebaut werden. Das führt automatisch zu mehr Konflikten innerhalb der Vorstandsetagen und zu öffentlichen Auseinandersetzungen mit den Kapitalgebern. „Der Aufsichtsrat hat die Rolle des Vermittlers“, sagt Stephan Kufferath, VARD-Mitbegründer, Vorstand der GKD Gebrüder Kufferath AG, einer technischen Weberei für Metall und Kunststoffe, und Aufsichtsrat von verschiedenen Familienunternehmen. „Er muss die richtigen Fragen stellen, damit die unterschiedlichen Truppen im Interesse des Unternehmens am gleichen Strang ziehen.“
Keine einfache Aufgabe. Denn den Räten fehlt es in der Regel sowohl an eigenem Budget als auch an Personal, um unabhängig von der Unternehmensverwaltung arbeiten zu können. Also etwa Wirtschaftsprüfer tatsächlich selbstständig auswählen und bestellen zu können. Ganz zu schweigen von der eigenen Bezahlung.
„Die Anforderungen, die zeitliche Beanspruchung und das Haftungsrisiko sind gestiegen“, sagt Astrid Hamker, Aufsichtsrätin des Türschlossherstellers Dorma in Ennepetal. „Ein engagierter Aufsichtsrat aus Unternehmertypen in den besten Jahren bedarf auch einer entsprechenden Bezahlung.“
Neuland bei der Vergütung
Wie eine Vergütung von Aufsichtsräten aussieht, die zugleich aufwandsorientiert ist, ohne übers Ziel hinauszuschießen, hat jüngst der Pumpen- und Armaturenhersteller KSB aus Frankenthal bei Ludwigshafen vorgemacht. Bekamen die zwölf Aufsichtsräte des 15 000-Mann-Betriebs bislang ein Fixum, Sitzungsgelder plus einen variablen Anteil, der von der Dividende abhing, beschloss die Hauptversammlung Mitte Mai den Kontrolleuren zusätzlichen Arbeitsaufwand künftig mit einem Honorar von 250 Euro pro Stunde zu vergüten.
Überprüft wird der Arbeitsaufwand von dem Personalausschuss des Aufsichtsrats. Allerdings darf die Zusatzvergütung auf Stundenbasis mehr als 900 000 Euro im Jahr nicht überschreiten. Das Budget hierfür ist also gedeckelt. „Wir betreten mit dieser Regelung bewusst Neuland“, sagt KSB-Vorstandssprecher Wolfgang Schmitt. „Wir wollen aber dem unterschiedlichen Aufwand der Mitglieder im Aufsichtsrat gerecht werden und glauben, dass dies eine faire und transparente Lösung ist.“