Der Jargon der Wirtschaft „Die meisten Manager reden erschreckend einfallslos“

Viele Manager glänzen nicht gerade mit einer geglätteten Sprache voller Floskeln und verklausulierter Satzkonstrukte. Quelle: imago images

Führungsfähigkeit beruht auf Sprachfähigkeit. Doch in den Unternehmen verkümmere die Sprache, sagt Philosoph Jürgen Werner: Die meisten Manager reden fantasiefrei.

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Dieses Interview mit dem Philosophen Jürgen Werner stammt aus dem Jahr 2014. Werner berät Manager und lehrt Philosophie und Rhetorik an der Universität Witten/Herdecke.

WirtschaftsWoche: Herr Werner, kann es sein, dass Sie ein gestörtes Verhältnis zu Zahlen haben?
Jürgen Werner: Wie kommen Sie darauf?

Weil Sie in Ihrem Buch „Tagesrationen. Ein Alphabet des Lebens“ in einem Kapitel über die Sprache der Wirtschaft schreiben: „Die Herrschaft der Zahlen hat dazu geführt, dass Buchstaben sich nicht mehr wie Buchstaben verhalten, sondern wie Zahlen.“ Das müssen Sie erklären.
Damit bezeichne ich einen imperialistischen Anspruch. Nicht die Zahlen sind das Problem. Aber deren Herrschaft. Vor allem in Lebenswelten, in denen sie ihr Talent, genau zu sein, gar nicht recht ausspielen können.

Und zu diesen Lebenswelten zählen Sie auch die Wirtschaft?
Selbstverständlich. Wirtschaft erschöpft sich nicht in Zahlenreihen. In Unternehmen haben wir es nicht zuletzt damit zu tun, dass sich Menschen finden, um etwas Neues zu schaffen, um qualitative Werte zu bilden. Sie sind gesellschaftliche Gebilde, kommunikative Kraftzentren, in denen es auch zu überzeugen gilt, wo ich mich nicht auf präzise Daten berufen kann. Man kann sie nicht nur über „Financials“ steuern. Nicht ich habe also ein gestörtes Verhältnis zu Zahlen, aber die Zahlen stören manchmal die Verhältnisse.

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Was ist das überhaupt, Sprache der Zahlen, und warum ist sie so erfolgreich?
Diese Sprache ist geprägt vom Vergleich. Da wird gewogen, eingeschätzt, abgegrenzt. Die Welt erscheint in ihr auf eine faszinierende Weise beherrschbar und berechenbar. Besser oder schlechter bedeutet da nur: Verkauft sich das Produkt gut? Hat ein Mitarbeiter seine Leistung gesteigert? Ist der Aktienkurs gestiegen?

Wo ist das Problem?
In Wahrheit handelt es sich um eine Scheinsicherheit. Zahlen erzählen nichts. Oft verbergen sie sogar, wie sie entstanden sind. Und in jedem Fall verraten sie seltener, als man denkt, wie man zu handeln hat. Aber sie suggerieren, dass man alles im Griff hat. Das ist für einen Manager höchst attraktiv. Dabei verarmt, ja verkümmert seine Sprache. Die meisten Manager reden erschreckend einfallslos und fantasiefrei.

Woran erkennen Sie das?
Am Siegeszug des mechanischen Jargons. Die Liebe zu gestanzten Formeln – auch das ein Sprachbild aus der Mechanik – scheint nicht abzukühlen, selbst in Zeiten, da wir längst mit sehr viel komplexeren Phänomenen zu tun haben. Solche einfachen Wendungen, wie „eng takten“ oder „das Momentum ausnutzen“, stammen aus einer Welt, in der sich über analytische Schärfe und Effizienzorientierung äußerst befriedigende Resultate erzielen lassen.

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Sie meinen, die Wörter scheinen ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein?
Ja, man redet von „Werthebeln“ gerade so, als lebten wir noch im Zeitalter der Schwerindustrie. Eine der prominentesten Metaphern ist die „Stellschraube“, an der gedreht werden müsse, damit das Ganze einer Organisation funktioniert, eine Vokabel aus der Ingenieursprache. Die Stellschraube heißt ja so, weil man damit etwas feinjustieren kann. Es geht also um Steuerung. Aber die meisten, die das Wort benutzen, meinen, es müsse etwas fester gezogen werden, weil es zu locker sitzt.

Das heißt, man denkt gar nicht mehr über den Sinn des Wortes nach.
Das führt dann manchmal dazu, dass die Metaphern völlig verrutschen. Mir jedenfalls fehlt die Vorstellung, was ein Satz bedeuten soll, in dem es heißt: „Damit die Energiewende ein Erfolg wird, müssen viele Weichen und Stellschrauben klug verzahnt werden.“ Unsinnlicher und unsinniger lässt sich kaum reden. Beim Bemühen, die Angelegenheit möglichst klar auszudrücken, wird sie trübe. Mich interessiert, was jemand denkt, wenn er so formuliert.

Großes Bedürfnis nach Sicherheit

Aber warum kann sich dieser Jargon ausbreiten, sodass in Unternehmen bis in die unteren Kader „aufgegleist“ wird?
Allgemein: weil Sprache etwas Infektiöses hat, weil man sie durch Nachahmung lernt. Im Besonderen: weil offensichtlich innerhalb eines Unternehmens das Bedürfnis nach Sicherheit so groß ist, dass man es über Floskeln befriedigen kann, welche die Welt als eine zeigen, die sich einfach handhaben lässt. Die Botschaft lautet: Es muss nichts schiefgehen, solange man sich nur an wenige schlichte Regeln hält.

Was ist daran schlecht?
Ich bin kein Stilkritiker. Aber ich glaube, empfindsam zu sein für die Vorstellungen vom Leben und der Welt, die sich in unseren Wörtern zeigen. Und die wir mit diesen Wörtern, oft unwillkürlich, vermitteln. In der Art, wie wir reden, öffnen wir Räume, schaffen Atmosphären oder vergiften sie. In der Sprache der Mechanik ist die vorherrschende Idee die der Kontrolle.

Und deswegen ist sie so verführerisch?
Genau, selbst das Vertrauen, also das Gegenteil des Überprüfbaren, wird funktionalisiert: Es soll wieder hergestellt werden können, als handele es sich um ein defektes Standardbauteil. Das klappt freilich nicht. Vertrauen lässt sich nicht herstellen. Es stellt sich allenfalls ein.

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Manchmal hat man den Eindruck, die Sprache der Wirtschaft solle Tatsachen beschönigen, vor allem wenn es um unangenehme Wahrheiten geht.
Wenn Manager davon reden, dass sie „strukturelle Anpassungen“ im Unternehmen vornehmen müssen, ist das allerdings kaum noch ein Geheimcode. Jeder weiß, was die Stunde geschlagen hat. Geradezu begeistert klingt das „Freisetzen“ von Mitarbeitern. Als hätten hier Wesen jahrelang eingesperrt gehaust in einer wenig artgerechten Umgebung und dürften nun endlich hinaus ins lockende Freie. Das erinnert an das Huhn, das bisher in der Legebatterie täglich sein Ei produzieren musste und jetzt auf dem Hof wieder nach Gutdünken Körner picken darf.

Blanker Zynismus?
Struktureller Zynismus. Da unterstelle ich keinem persönliche Absichten. Wer so redet, verrät unwillkürlich, wie wirklichkeitsfremd er agiert. Oder hilflos. Nehmen Sie die pompöse Rede vom „Strategiewechsel“, der in Unternehmen erstaunlich häufig stattfindet – eigentlich verwunderlich, da Strategien sich dadurch auszeichnen, dass sie langfristig angesetzte Szenarien abbilden. Nur weil die Geduld, auf ein gutes Ergebnis zu warten, schnell aufgebraucht ist, wird ein großes Wort genommen, das etwas ganz Kleines bezeichnet: Willkür. Dann hilft es auch nicht, wenn man „proaktiv“, gemeint ist wohl: von sich aus miteinander spricht, weil ohnehin keiner genau weiß, wo es langgeht. Statt zu sagen: Es war falsch, heißt es: Wir wechseln die Strategie. Mit der Folge, dass Mitarbeiter verwirrt sind.

Heißt das, die Sprache der Wirtschaft sei der Wirklichkeit nicht gewachsen?
Will sie ihr denn überhaupt entsprechen? Meine Vermutung ist, dass Wirklichkeitsnähe eine untergeordnete Rolle spielt. Wichtiger ist der Anschein, man könne das Projekt jederzeit sicher und genau steuern. In Wahrheit ist diese Sprache angstbesetzt.

Angst wovor?
Angst vor Risiko, vor Macht- und Kontrollverlust, vor Fehlern. Um es zuzuspitzen: vor dem, was Menschen menschlich sein lässt. Letztlich ist es die Angst davor, zur Verantwortung gezogen zu werden. All die Controlling-Routinen, die endlosen Dokumentationspflichten, Performance-Messungen, Feedback-Runden, Projektanträge, all diese mühseligen Aufgaben, die uns abhalten von dem, was beim Arbeiten Freude bereiten kann, dienen einem Zweck: der Absicherung. Alles ist zu rechtfertigen, manchmal sogar, bevor man weiß, was dabei herauskommt. So wächst eine Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens.

„Soft skills“ und „hard facts“

Misstrauen von oben?
Von allen Seiten, es ist ein systemisches Misstrauen. Jeder muss sich fortlaufend legitimieren: der Kollege vor dem Projektleiter, der Partner vor den Mitgesellschaftern, der Vorstandsvorsitzende vor den Eigentümern. Wenn ich aber in einem Dauermodus der Rechtfertigung bin, versuche ich mich zu schützen: in einer Sprache, die verschachtelte Satzungetüme baut und Sperrgut aus Leerformeln auftürmt. Diese leblose, sprachliche Neutralität kommt aus der Angst, nur ja nichts Falsches zu sagen, sich keine Blöße zu geben.

Also hält man sich ausschließlich an Fakten. Warum nicht?
Auch die gehören zur Lebenswirklichkeit eines Unternehmens. Aber nicht nur. Mir liegt daran, dass unser Sprechen nicht ohne Not beschränkt wird. Und zwar nicht weil dadurch viele schöne Aspekte gelingenden Redens verloren gehen. Sondern weil so entscheidende Eigenschaften des Lebens und der Arbeitswirklichkeit ausgeblendet werden. Weil die echten Schwierigkeiten einer Organisation so oft nicht zu erkennen sind. Weil Menschen am besten „funktionieren“, wenn sie nicht nur funktionieren sollen.

Wie soll es denn sonst gehen?
Es ist ein merklicher Unterschied, ob ich die Identität einer Marke anhand von Performance-Gewinnen und Reichweiten-Analysen aufschlüssele oder eine Geschichte zum Unternehmen erzähle. So wie Menschen über sich Auskunft geben, indem sie berichten, was sie erlebt haben und in welchem Verhältnis sie dazu stehen. Das können die wenigsten Manager, auch wenn sie gerade erst einen Kurs im „Storytelling“ besucht haben.

Also mehr „soft skills“ statt „hard facts“?
Die Differenz von „hard facts“ und „soft skills“ kennzeichnet die Lebenswirklichkeit nicht. Sie ist einer Verlegenheit geschuldet. Die sogenannten „weichen Faktoren“ in einem Unternehmen sind knallharte Wirklichkeiten. Das spürt man sofort, wenn sie mitverantwortlich sind für messbar schlechte Leistungen und Resultate, weil sich über Jahre atmosphärische Verstimmungen aufgestaut haben oder weil das Gespräch in einem Wust von Kommunikationsregeln erstickt ist. Für viele beginnt dann ein operatives Problem. Sie verstehen nicht, wie sich solche Zustände bearbeiten lassen. Gerade wenn ihnen jenseits von Zahlen und Fakten die Worte fehlen. Ich stelle bei Managern oft einen erstaunlichen Mangel an Urteilskraft dort fest, wo sie sich nicht auf die Analyse von Zahlen und in die Funktionsroutinen zurückziehen können. Das hat auch mit Spracharmut zu tun. Führungsfähigkeit beruht auf Sprachfähigkeit. Und die wiederum verlangt überzeugende Haltungen. Erst so entstehen starke Geschichten, die sich zum Leben hin öffnen…

...Geschichten, wie sie Steve Jobs erzählt hat?
Darin war er genial: Jobs hat immer wieder mit „dem nächsten großen Ding“ gespielt und nie alles verraten, eindeutig gemacht, aufgelöst in seine Funktionen. Zahlen dagegen kennen kein Geheimnis. Sie sind nur manchmal rätselhaft.


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Mag sein, aber was ist so schlimm an der von Ihnen kritisierten Sprache? Nehmen wir Schaden an unserer Seele?
Ja, weil unsere Welt durch diese angstgelenkte Reduktion der Sprache sehr viel kleiner und ärmer wird. Der alte Satz von Ludwig Wittgenstein, dass die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt bedeuten, heißt, übertragen auf die Wirtschaft: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meines Erfolgs. Das ahnen viele Manager. Spätestens wenn die üblichen Steuerungsinstrumentarien nicht mehr greifen. Dann rächt es sich, dass ihnen für die nicht funktionalen Dimensionen eines Unternehmens die angemessene Sprache fehlt und mit ihr die entsprechende Form des Denkens.

Mehr zum Thema: Chefs, die nicht führen können – warum mehr Frauen helfen würden und Psychopathen nur richtig eingesetzt werden müssen.

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